Die Schweizer Apotheker können zurzeit nur gerade vier rezeptpflichtige Medikamente aus der EU verkaufen, welche die Krankenkassen erstatten müssen: das Antikrebsmedikament Femara, das Psychopharmakon Seroquel sowie die Immunpräparate Cellcept und Prograf. Diese importierten Präparate sind in der Apotheke 15 Prozent günstiger als die gleichen Produkte aus der Schweiz. Patienten und Krankenkassen sparten so im vergangenen Jahr 80 000 Franken.
Das Sparpotenzial durch den Import von Medikamenten aus dem Ausland wäre aber viel grösser. Der Walliser Nationalrat Philippe Nantermod (FDP) forderte deshalb im Parlament, dass viel mehr günstige kassenpflichtige Medikamente aus der EU importiert werden dürfen.
Das wäre leicht möglich, wenn Importhindernisse wegfallen. Heute muss etwa das Heilmittelinstitut Swissmedic für den Import jeder Arznei eine Bewilligung erteilen, und Händler müssen ausländische Präparate in Schweizer Packungen mit drei Landessprachen umpacken. Ende August stimmte der Nationalrat Nantermods Vorstoss mit 137 zu 33 Stimmen zu. Er kommt in den nächsten Monaten vor den Ständerat.
Ein erleichterter Import ist der Schweizer Pharmabranche ein Dorn im Auge. Sie wehrt sich gegen günstigere importierte Medikamente – selbst wenn sie von den gleichen Firmen wie Novartis oder Pfizer stammen, aber in der EU produziert werden. Medikamente, die nicht mehr patentgeschützt sind, kosten in der Schweiz im Durchschnitt 64 Prozent mehr als in 15 europäischen Ländern wie Deutschland oder Österreich. Generika sind in der Schweiz gar 165 Prozent teurer. Das zeigt eine Studie des Preisüberwachers.
Ernst Niemack von der Vereinigung Pharmafirmen der Schweiz (Vips) behauptet, dass Schweizer Krankenkassen durch mehr Einfuhren maximal 10 Millionen Franken pro Jahr sparen würden. Er beruft sich auf Schätzungen aus Deutschland. Die deutschen Arzneimittel-Importeure kommen auf der Basis einer Studie des Forschungsinstituts Prognos zu anderen Zahlen: Deutsche Kassen sparten durch Importe im letzten Jahr 380 Millionen Franken ein. Zudem verbilligten nationale Hersteller ihre Pillen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Das entlastete die Krankenkassen um weitere vier Milliarden Franken. Nimmt man diese Zahlen zum Massstab, liegen für Schweizer Krankenkassen mindestens jährliche Einsparungen von 100 Millionen Franken drin.
Pharmaindustrie schürt Zweifel an Sicherheit
Die Pharmakonzerne schüren Zweifel an der Sicherheit ausländischer Arzneimittel. Pharmaverbände wie Vips und Interpharma warnen, dass durch Importe, die nicht von Swissmedic bewilligt sind, ein «unkontrollierbares Risiko bestehe, dass Fälschungen» ins Land kämen. Karoline Mathys von Swissmedic sagte im Radio SRF: In der EU seien in den letzten fünf Jahren über 100 gefälschte Medikamente entdeckt worden – «meistens Parallel-Importe.»
Der K-Tipp verlangte Belege für diese Aussagen. Doch konkrete Zahlen zu Fälschungen im EU-Parallelhandel lieferte Swissmedic nicht.
Preisüberwacher Stefan Meierhans hält «das Schreckgespenst von mehr Fälschungen für unbegründet». Denn in der EU trat 2019 eine Anti-Fälschungs-Richtlinie in Kraft. Hersteller müssen individuelle Sicherheitsmerkmale auf den Verpackungen rezeptpflichtiger Arzneimittel anbringen. Apotheker scannen den Sicherheitscode, bevor sie eine Medikamentenpackung abgeben. Fälschungen fliegen so unweigerlich auf.