Der K-Tipp berichtete in der letzten Ausgabe (20/2018) über das selt­same Geschäftsgebaren der Post­finance. Leser Enrico Bossi (Name geändert) aus Ostermundigen BE hatte sein Konto leergeräumt und wollte es auflösen. Das klappte auch. Doch den angefallenen Zins von Fr. 5.98 sackte die Postfinance ein. Dem verdutzten Enrico Bossi schrieb sie: «Betrag wird aufgrund kleiner ­Betrags­höhe nicht aus­bezahlt.»
 
Anschliessend meldeten sich beim K-Tipp eine ­ganze Anzahl Leser, denen es gleich ergangen war. Die Erklärung der Medien­stelle lautete wahlweise: «Leider ist uns ein Fehler passiert.» Oder: «Uns ist leider ein Fehler unterlaufen.»
 
In den AGB steht davon kein Wort
 
Doch der «Fehler» hat System, wie die Recherchen des K-Tipp im Fall von Dino Izzi aus Winterthur ZH zeigen. Izzi rekla­mierte, weil die Postfinance den Zins von Fr. 5.75 auf dem Jugendsparkonto ­seines Sohnes einbehalten hatte. Die Antwort: «Das ist in den AGB geregelt und in der Bankbranche ­üblich.» Doch beides ist falsch. In den AGB steht kein Wort davon, dass die Postfinance kleine Beträge behalten ­dürfe. Und branchenüblich ist es auch nicht, wie eine Umfrage des K-Tipp bei zehn grossen Banken zeigt.
 
Nach mehrwöchigem Hin und Her musste die Postfinance schliesslich zugeben, dass der angebliche Fehler gar kein Fehler ist. Das Vorgehen gehört vielmehr zur Geschäftspolitik. Bereits seit 2007 behält die Postfinance bei Kontoauflösungen Beträge unter 20 Franken für sich, wenn nicht klar ist, wohin sie das Geld überweisen soll. Sie tut so, als ob es sich um nachrichtenlose Vermögen handeln würde.
 
Doch die Postfinance macht es sich zu einfach. Denn sie ist im Besitz von Postadresse, Telefonnummer und E-Mail-Adresse der Kunden. Sie müsste nur schreiben: «Teilen Sie uns bitte mit, wohin wir den Zins überweisen sollen.»
 
Doch viel lieber schiebt die Postfinance die Schuld ihren Kunden in die Schuhe. Dem K-Tipp sagt sie, der Kunde habe eine «Prüfungs- und Beanstandungspflicht». Wenn er diese nicht erfülle und daraus ein Schaden entstehe, dann habe «der Kunde dafür einzustehen». Juristen sind sich einig: Das ist Unsinn.
 
Mit dem Text «Betrag wird nicht ausbezahlt» führt die Postfinance ihre Kunden ganz bewusst hinters Licht. Sie tut so, als ob die Zinsen den Kunden nicht zustünden. Kein Wunder, dass kaum jemand reklamiert. Und wenn doch: Dann versucht die Post­finance die Kunden mit dem Verweis auf die AGB abzuwimmeln.
 
Und: Häufig ist die Postfinance schuld, dass nicht klar ist, wohin allfällige Zinsen zu überweisen sind. Das zeigt der Fall von ­Martin Stahlberger (Name geändert) aus Bischofszell TG. Er kündigte seine fünf ­Konten auf der Poststelle. Der Schalterbeamte füllte die Formulare aus, liess aber die Felder mit der neuen Kontoverbindung leer.
 
«Mögliche Strafbarkeit wegen Veruntreuung»
 
In der Fachwelt fehlt jeg­liches Verständnis für die Praxis der Postfinance. Der Bankenombudsmann Marco Franchetti sagt: «Der Kunde hat auch bei kleinen Beträgen einen Anspruch auf Auszahlung des Abschlusssaldos.» Die Berner Bankrechtsprofessorin Su­san Emmenegger bestätigt: «Ich sehe keinen Rück­behaltungsgrund.» Und der Berner Strafrechtler Christopher Geth ergänzt: «Die Frage nach einer möglichen Strafbarkeit wegen Veruntreuung ist meines Erachtens berechtigt.»
 
Inzwischen scheint die Postfinance die Übersicht verloren zu haben. Am 5. November überwies sie dem Sohn von Dino Izzi die Fr. 5.75. Und am 13. Dezember gleich nochmals.
 
Gebühren sind Glückssache
 
Bei den Kontoführungsgebühren der Post­finance regiert der Zufall. Bis Ende Jahr galt fürs Plus-Set diese Regel: Wer im Monatsdurchschnitt ein Gesamtvermögen von 25 000 Franken bei der Postfinance hat, zahlt keine Gebühr.
 
K-Tipp-Leser Dino Izzi aus Winterthur ZH hatte stets über 25 000 Franken auf seinem Sparkonto. Trotzdem belastete ihm die Postfinance im März und im Oktober je 12 Franken. Die Postfinance gab zu: «Das Vermögen wurde falsch berechnet. Unsere Spezialisten prüfen, wie es zu diesem Fehler kommen konnte.» Weiter schrieb die Postfinance: «Bisher sind uns keine weiteren Fälle bekannt.» Dem K-Tipp schon. Olga Koller (Name geändert) aus Berikon AG. Bei ihr ­wurde in gewissen Monaten das Guthaben in der 3. Säule nicht mitgerechnet. Die Folge: monatliche Kosten von 12 Franken. Nachdem der K-Tipp mehrmals interveniert hatte, gab die Postfinance zu: «Weitere Kunden sind von diesem Fehler betroffen.»
 
In beiden Fällen hat die Postfinance die fälschlicherweise abgebuchten Gebühren rückerstattet. Im einen Fall mit der unpassenden Bemerkung: «Im Sinne eines Entgegenkommens.» 
 
Musterbrief für Reklamationen
 
Falls die Postfinance Ihr Restguthaben einbehalten hat: Füllen Sie die fehlenden Zeilen im unten stehenden Musterbrief aus und schicken Sie ihn an Postfinance, Mingerstrasse 20, 3030 Bern.
 
[Absender][Ort, Datum]
Sehr geehrte Damen und Herren
ich bin nicht damit einverstanden, dass Sie den Saldo 
auf ­meinem Konto behalten. Ich fordere Sie auf, das Geld umgehend an folgende Bank zu überweisen:
 
[Name der Bank, Adresse der Bank
Postkonto der Bank, IBAN-Nummer Ihres Kontos, BIC]
Mit freundlichen Grüssen
[Unterschrift]