Schweizer Haushalte bezahlen dieses Jahr im Durchschnitt 8,7 Prozent mehr für ihre Krankenversicherung als letztes Jahr. In den vergangenen 25 Jahren haben sich die Prämien für die Grundversicherung mehr als verdoppelt.
Am 9. Juni kommt die Prämien-Entlastungs-Initiative der SP und der Gewerkschaften zur Abstimmung: Sagen Stimmberechtigte und Kantone Ja, muss in Zukunft niemand mehr als 10 Prozent des verfügbaren Einkommens für die Grundversicherung bezahlen. Alles, was darüber liegt, übernehmen Bund und Kantone.
Bund rechnet mit überhöhten Kosten
Nicht definiert ist im Initiativtext, was die Initianten unter dem Begriff «verfügbares Einkommen» eines Haushalts verstehen. Und von welcher Franchise die Berechnung ausgeht. Denn je höher die Franchise, desto tiefer die Ausgaben für Prämien – und desto weniger überschreiten sie 10 Prozent des verfügbaren Einkommens.
Wenn der Text einer Initiative unklar ist, entscheidet das Parlament über die konkrete Ausgestaltung mit einem Bundesgesetz.
Der Bundesrat und die Mehrheit des Parlaments empfehlen, die Initiative abzulehnen. Ihr Hauptargument: Sie sei zu teuer. Das Bundesamt für Gesundheit schätzt, dass die Initiative im Jahr 2020 Mehrkosten für Bund und Kantone von 4,5 Milliarden Franken verursacht hätte, wenn sie schon damals in Kraft gewesen wäre. Für das Jahr 2030 prognostiziert das Amt jährliche Mehrkosten für die Prämienverbilligung von 7 bis 11,7 Milliarden Franken. Diese Zahlen stehen im Abstimmungsbüchlein, das in den nächsten Wochen an alle Haushalte verteilt wird.
Die Zahlen des Bundesamts basieren auf Schätzungen. Es geht davon aus, dass die Haushalte, die von der Initiative profitieren würden, eine Krankenversicherung mit der Minimalfranchise von 300 Franken abgeschlossen haben. Landesweit wählen aktuell jedoch nur 15 Prozent aller Versicherten eine Minimalfranchise.
In seinen Prognosen geht das Bundesamt ferner davon aus, dass alle Versicherten, die bei Annahme der Initiative Anspruch auf eine Prämienverbilligung hätten, diese auch geltend machen würden. Das ist bisher bei Prämienverbilligungen nicht der Fall: Eine Studie der Berner Fachhochschule zeigt am Beispiel des Kantons Basel-Stadt, dass jede fünfte bezugsberechtigte Person wegen der administrativen Hürden darauf verzichtet.
Der K-Tipp hat diese Ergebnisse vor zwei Jahren auf die Schweiz hochgerechnet: Jahr für Jahr nehmen mindestens 200'000 Personen ihre Ansprüche nicht wahr. Bund und Kantone sparen dadurch jährlich rund 400 Millionen Franken Prämienverbilligungen (K-Tipp 2/2022).
Gemäss Abstimmungsbüchlein könnten die steigenden Krankheitskosten dazu führen, dass nach der Annahme der Initiative ab 2030 jährlich bis zu 11 Milliarden Franken mehr für Prämienverbilligungen nötig wären. Das Bundesamt geht nämlich davon aus, dass die Prämien jedes Jahr zwischen 2,5 und 3,5 Prozent steigen werden – und dass sich die Einkommen nicht in demselben Mass erhöhen. Deshalb würden immer mehr Versicherte einen Anspruch auf Prämienverbilligung haben.
Im Klartext heisst das auch: Bei einem Nein zur Initiative würden die 11 Milliarden für Prämienverbilligungen von den Versicherten bezahlt. Diese Mehrkosten entstehen nämlich durch die steigenden Krankheitskosten.
Entlastende Effekte vom Bund ignoriert
Kein Thema im Abstimmungsbüchlein sind allfällige entlastende Effekte der Initiative für die Bundeskasse. Laut Ständerat Pierre-Yves Maillard (SP) würden bei einer Erhöhung der Prämienzuschüsse an Haushalte mit tiefen Einkommen Einsparungen bei der Sozialhilfe möglich. Maillard: «Mit der Beschränkung der Prämien auf 10 Prozent des Einkommens unterstützen wir auch Haushalte, die sonst andere Sozialleistungen beantragen müssten.»
Fazit: Die Berechnungen des Bundesamtes beruhen auf Schätzungen, die von einem für die Bundeskasse sehr ungünstigen Szenario ausgehen. Dabei sind in der Schweiz durchaus Erfahrungszahlen vorhanden.
Der Kanton Waadt beschränkte nämlich vor sechs Jahren die Krankenkassenprämien auf maximal 10 Prozent des steuerbaren Einkommens der Haushalte. Diese Regelung kostete die kantonalen Steuerzahler 2019, im Jahr der Einführung, 81 Millionen Franken. Im vergangenen Jahr waren es 122 Millionen Franken.
Für den Kanton Waadt war diese Zunahme ohne Steuererhöhungen tragbar. Mehr noch: Ab 2024 sinkt die Einkommenssteuer sogar um 3,5 Prozent. Und zwar, obwohl in diesem Kanton die Krankenkassenprämien im Vergleich zu den meisten Deutschschweizer Kantonen deutlich höher sind. Die durchschnittliche Prämie beträgt im Kanton Waadt 482 Franken pro Monat. In der Deutschschweiz liegt lediglich Basel-Stadt mit 523 Franken höher.
Das will die Krankenkassen-Initiative der SP
- Krankenkassenprämien dürfen nicht mehr als 10 Prozent des verfügbaren Einkommens betragen – den Rest zahlen Bund und Kantone.
- Der Bund übernimmt die Kosten zu zwei Dritteln, den Rest zahlen die Kantone.
- Bundesrat und Parlament haben einen indirekten Gegenvorschlag verfasst. Er würde die Kantone dazu verpflichten, ihre Beiträge zur Verbilligung der Prämien an die Erhöhung der Krankheitskosten anzupassen. Laut Schätzungen des Bundesamts für Gesundheit würde das den Kantonen zunächst Mehrausgaben von 365 Millionen Franken pro Jahr bescheren. Diese könnten bis 2030 auf bis zu 1 Milliarde steigen. Der Gegenvorschlag tritt in Kraft, falls die Initiative abgelehnt wird und niemand das Referendum ergreift.
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Unfairer Vergleich
"Die durchschnittliche Prämie beträgt im Kanton Waadt 482 Franken pro Monat. In der Deutschschweiz liegt lediglich Basel-Stadt mit 523 Franken höher." Kanton Waadt ist nicht gleich Westschweiz. Kanton Basel-Stadt ist nicht gleich Deutschschweiz. Ich wünsche mir eine höhere Qualität der "journalistischen" Arbeit.