Das Schweizer Fernsehen schlug im April Alarm: «Die «Krankenkassenprämien könnten durch die Decke gehen», hiess es in einem SRF-Beitrag. Die NZZ schrieb von «explodierenden Gesundheitskosten». Und «20 Minuten» prognostiziert für kommenden Herbst gar einen «Prämienschock».
Anlass für diese Schlagzeilen: Der Krankenkassenverband Santesuisse warnte vor einem möglichen Prämienanstieg von bis zu 10 Prozent im nächsten Jahr. Bei einer Erwachsenenprämie von durchschnittlich rund 378 Franken pro Monat würde dies im Jahr 2023 Mehrkosten von fast 38 Franken pro Person und Monat ausmachen. Anfang Mai zog das Vergleichsportal Comparis nach und sprach von einem möglichen Prämienanstieg von bis 5 Prozent. Die Kassen hätten im laufenden Jahr zu viele Reserven abgebaut. Das Geschäftsmodell von Comparis beruht wesentlich auf der Hoffnung auf viele Kassenwechsel.
Kassen schwimmen im Geld
Fakt ist: Prämienerhöhungen im nächsten Jahr wären unbegründet. Ein Blick in die Geschäftsbücher der Krankenkassen und die aktuellsten Zahlen des Bundesamts für Gesundheit zeigt: Die Krankenkassen schwimmen im Geld, das die Versicherten zu viel bezahlt haben. Gemäss dem sogenannten Solvenztest des Bundesamtes hatten die Krankenversicherungen im vergangenen Jahr 12,4 Milliarden Franken auf der hohen Kante. Das sind 6 Milliarden mehr als vorgeschrieben.
Diese überschüssigen Reserven würden es erlauben, die Prämien selbst dann stabil zu belassen, wenn die Krankheitskosten in der Schweiz nächstes Jahr tatsächlich um 10 Prozent steigen. Zum Vergleich: In den vergangenen fünf Jahren stiegen die Kosten um durchschnittlich 2,8 Prozent pro Jahr. Die Reserven der Kassen haben sich in der gleichen Zeit verdoppelt. Reto Wyss, Krankenkassenexperte des Gewerkschaftsbunds, fordert angesichts der «chronisch zu hohen» Reserven: «Mit diesem Geld sind die Prämien stabil zu halten. Ein Prämienschub ist nicht gerechtfertigt.»
Vor allem die grossen Kassen häuften hohe Überschüsse an. Laut den Daten des Bundes hatte etwa die Concordia 1,1 Milliarden Franken Reserven in den Büchern – das sind 657 Millionen mehr, als der Bund verlangt. Die CSS weist 1,3 Milliarden Reserven aus – 750 Millionen mehr als vorgeschrieben. Und die Helsana äufnete 1,4 Milliarden. Die überschüssigen Reserven betragen 761 Millionen.
Vergangenes Jahr forderte der Bundesrat die Krankenkassen auf, ihre zu hohen Reserven abzubauen. Dazu zwingen kann er sie nicht. 14 von 51 Kassen kündigten darauf einen moderaten Abbau an (K-Tipp 16/2021). Grundversicherte der Concordia zum Beispiel erhalten im kommenden Herbst einmalig insgesamt 73 Millionen Franken ausbezahlt – pro erwachsenen Versicherten 150 Franken. Die CSS zahlt 90 Millionen an die Versicherten zurück.Bei der Helsana sind es 76 Millionen – in Form eines 5-Franken-Prämienrabattes pro Monat für das ganze Jahr 2022.
Neue Forderung nach Reservenabbau
Das reicht den Kantonen nicht: Die Basler Regierung will die Kassen mit einer Standesinitiative zu einem umfangreichen Reserveabbau zwingen, wie sie Mitte Mai mitteilte. Die Erfolgsaussichten scheinen mässig. Andere Kantone und Bundesparlamentarier sind bisher mit ähnlichen Forderungen für einen verbindlichen Abbau übermässiger Reserven an der erfolgreichen Lobby der Krankenkassenvertreter im Parlament gescheitert.