Pro Jahr erkranken in der Schweiz rund 5400 Frauen an Brustkrebs. 1400 sterben daran. Spezielle Programme zur Brustuntersuchung sollen helfen, Tumoren in einem frühen Stadium zu erkennen. In einigen Kantonen werden Frauen zwischen 50 und 69 Jahren alle zwei Jahre zu einer Mammografie aufgefordert – einer Röntgenaufnahme der Brust. Auf der Aufnahme sind auch winzige Tumoren sichtbar, lange bevor sie ertastbar sind.
Die Wirksamkeit ist jedoch umstritten. Zwar kann dank den sogenannten Screenings ein Todesfall auf 1000 untersuchte Frauen verhindert werden. Demgegenüber stehen aber bei der gleichen Anzahl Frauen 100 Fehldiagnosen.
Das führt zu unnötigen Behandlungen sowie körperlichen und psychischen Belastungen für die betroffenen Frauen. Zu diesem Schluss kommt das medizinische Fachgremium Swiss Medical Board in einer Studie. Mitglieder sind unter anderem die kantonalen Gesundheitsdirektoren und die Verbindung der Schweizer Ärzte FMH.
Ähnlich sieht das Hans Stalder, ehemaliger Leiter der medizinischen Polyklinik in Genf: «Das Problem bei der Mammografie ist, dass es viele falsch positive Resultate gibt.» Es gebe auch Brustkrebsarten, die nicht tödlich seien. Dennoch würden solche Frauen bestrahlt. «Das verursacht Angst und Kosten.»
Unangenehme Seiten der Screenings wenig beachtet
Die negativen Folgen der Programme sind aber kaum ein Thema. So schreibt der Schweizerische Verband der Krebs-Früherkennungsprogramme in einer Broschüre: «Eine Frau, die ab 50 Jahren alle zwei Jahre am Früherkennungsprogramm teilnimmt, verringert ihr Risiko, an Brustkrebs zu sterben, deutlich.» Die nachteiligen Aspekte werden bloss auf 2 von 19 Seiten erwähnt.
Rechtsanwalt Max Baumann vom Swiss Medical Board wirft Befürwortern der Mammografieprogramme vor, die Screenings über «Marketingstrategien anzupreisen», anstatt die potenziellen Teilnehmerinnen seriös aufzuklären. Gar als «skandalös» bezeichnet er in einem Aufsatz der juristischen Internetplattform Weblaw, wie die Befürworter der Screenings mit Zahlen umgehen.
Zum Beispiel bei der Berechnung der Sterberate. Nachgewiesen ist: Von 1000 Frauen, die sich über zehn Jahre regelmässig einer Mammografie unterzogen, sterben 4 an Brustkrebs. 5 sind es bei Frauen, die keine Vorsorgeuntersuchungen machen. Mit anderen Worten: Das Risiko, an Brustkrebs zu sterben, vermindert sich durch regelmässige Mammografien um 0,1 Prozent.
Bei den gleichen Zahlen spricht die Screening-Lobby aber nicht von 0,1 Prozent Erfolgsfällen, sondern von 20 Prozent. Denn von 5 Todesfällen auf 1000 Frauen infolge Brustkrebs können die Screenings einen verhindern. In den meisten Werbeunterlagen wird laut Baumann «prominent hervorgehoben», dass das Brustkrebs-Screening die Sterblichkeit um 20 bis 25 Prozent verringere. Eine solche Fehlinformation mache es Frauen unmöglich, eine «informierte und selbstbestimmte Entscheidung zu fällen, ob sie an einem solchen Programm teilnehmen sollen oder nicht».
Mammografie zeigt nicht an, ob ein Tumor gut- oder bösartig ist
Eine neue Studie über die Aufklärung von Teilnehmerinnen an Screening-Programmen in Deutschland gibt Baumann recht. Die Forscher fanden heraus, dass 30 Prozent der befragten Frauen glaubten, dass das Screening Brustkrebs verhindern kann. Das ist jedoch falsch. Auf den Röntgenaufnahmen sind bloss bestehende Tumoren sichtbar, ohne dass man weiss, ob sie bösartig sind. Deren Entstehung wird jedoch nicht verhindert.
Auch der Genfer Mediziner Stalder stützt die Vermutung von Baumann über die Werbestrategie der Gesundheitsindustrie: «Die Anbieter haben ein Interesse daran, die Teilnehmerzahl an den Screening-Programmen so hoch wie möglich zu halten. Und deshalb sprechen sie die Risiken kaum an.»
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