Die Prophezeiungen waren düster. Das Bundesamt für Sozialversicherungen hatte vorausgesagt, dass die AHV das Jahr 2017 mit einem Minus von 101 Millionen Franken abschliessen würde. Doch davon kann keine Rede sein.
Kurz nach Neujahr gab Manuel Leuthold, Präsident des AHV-Ausgleichsfonds, bekannt, der Fonds habe im vergangenen Jahr auf dem Finanzmarkt eine Rendite von sechs Prozent erzielt. Damit könne die AHV das Defizit aus dem Verhältnis zwischen Rentenausgaben und Beitragseinnahmen auch 2017 «mehr als ausgleichen». Präzise Zahlen werden zwar erst in ein paar Wochen veröffentlicht. Doch schon jetzt steht fest: Das AHV-Vermögen wird weiter wachsen – wie fast immer in den vergangenen 15 Jahren: Von Ende 2001 bis Ende 2016 nahm die Kapitalreserve der AHV um 21,41 Milliarden auf 44,67 Milliarden Franken zu. Das ist fast eine Verdoppelung. Und das, obwohl 2011 nicht weniger als 5 Milliarden Franken an die Invalidenversicherung verschenkt wurden.
Der Bundesrat tritt trotzdem wieder aufs Gaspedal. Nach der Abstimmungsschlappe im vergangenen September will er im Rekordtempo eine neue AHV-Reform aufgleisen. Sie soll schon in zwei bis drei Jahren vors Volk kommen. Bereits vor der Abstimmung hatte die Regierung in einer beispiellosen Angstmacher-Kampagne behauptet, die AHV werde ohne Reform immer tiefer in die roten Zahlen rutschen und bald pleite sein (K-Tipp 15/2017). Es erstaunt darum nicht, dass gemäss jüngstem Sorgenbarometer der Credit Suisse in der Bevölkerung das Bangen um eine gesicherte Altersvorsorge an erster Stelle steht.
Dabei dürfte es die AHV eigentlich schon gar nicht mehr geben: Laut Vorhersagen des Bundes aus den 1990er-Jahren hätte das Sozialwerk längst kollabieren müssen. Inzwischen gilt 2031 als das Schicksalsjahr, in dem der AHV angeblich das Geld ausgeht.
Bei seiner aktuellsten Prognose stützt sich das Bundesamt für Sozialversicherungen unter anderem auf das Szenario zur Bevölkerungsentwicklung, das vom Bundesamt für Statistik im Jahr 2015 erstellt wurde. Und dieses enthält eine Vielzahl von Annahmen, von denen heute niemand weiss, ob sie sich als richtig oder falsch erweisen werden. Drei Beispiele:
Das Szenario rechnet für die nächsten Jahrzehnte mit einer höchstens leicht steigenden Geburtenzahl in der Schweiz. Und dies, obwohl in der jüngeren Vergangenheit ein eigentlicher Babyboom zu verzeichnen war – von 71 848 Geburten im Jahr 2003 auf 87 883 Geburten im Jahr 2016.
Das Szenario rechnet bei Männern und Frauen mit einem weiteren Anstieg der Lebenserwartung. Denn besonders Männer würden immer gesünder leben. Tatsache ist: In den letzten Jahren stagnierte die Lebenserwartung der Frauen, bei den Männern stieg sie nur noch leicht an.
Der Bund rechnet bis 2030 mit einem gleichbleibenden Saldo aus Zu- und Abwanderung – obwohl dieser in den letzten 25 Jahren stark schwankte. Insgesamt stieg die Zahl der Ausländer in der Schweiz in dieser Zeit an.
Diese wenigen Beispiele zeigen: Das Szenario zur Bevölkerungsentwicklung steht auf wackligem Fundament. Ebenso unsicher sind die Annahmen über die Entwicklung von Teuerung, Löhnen und Anlagerenditen. Worauf stützen sie sich? Das Bundesamt für Sozialversicherungen liess diese Frage unbeantwortet.
Die Schwarzmalerei des Bundes in Sachen AHV ist aber noch aus einem weiteren Grund stossend: Seit 1999 hat er dem Sozialwerk nämlich gut acht Milliarden Franken vorenthalten und stattdessen in die eigene Kasse geleitet.
Bei dieser Summe handelt es sich um einen Teil des Mehrwertsteuerprozents, das die Stimmbürger 1993 für die AHV bewilligten. Konkret: Anfang 1999 wurde die Steuer, gestützt auf die Abstimmung, um dieses Prozent erhöht. Laut Bundesverfassung müsste dieses «Demografieprozent» voll und ganz der AHV zukommen. Doch das Parlament beschloss unter Missachtung der Volksabstimmung, jährlich 17 Prozent davon in die allgemeine Bundeskasse fliessen zu lassen («Saldo» 19/2017).
Diesen Entscheid hätten National- und Ständerat im Dezember mindestens für ein Jahr korrigieren können. Nur: Die Mehrheit des Ständerats stellte sich quer. Fast alle Nein-Stimmen kamen von CVP und FDP.
Diese 25 Parlamentarier missachten den Volkswillen
Soll das vom Volk 1993 für die AHV bewilligte Mehrwertsteuerprozent mindestens 2018 in vollem Umfang der AHV zugutekommen? Darüber hatte das Parlament im Dezember abzustimmen. Die Mehrheit des Ständerates sagte Nein. Damit werden auch dieses Jahr wieder rund 450 Millionen für die AHV bestimmte Mehrwertsteuereinnahmen für die allgemeine Bundeskasse abgezweigt. Hier die verantwortlichen Neinsager auf einen Blick.
BDP: Werner Luginbühl (BE). CVP: Isidor Baumann (UR), Pirmin Bischof (SO), Ivo Bischofberger (AI), Stefan Engler (GR), Erich Ettlin (OW), Jean-René Fournier (VS), Konrad Graber (LU), Brigitte Häberli-Koller (TG), Peter Hegglin (ZG), Filippo Lombardi (TI), Beat Rieder (VS), Beat Vonlanthen (FR). FDP: Fabio Abate (TI), Andrea Caroni (AR), Josef Dittli (UR), Joachim Eder (ZG), Olivier Français (VD), Thomas Hefti (GL), Philipp Müller (AG), Damian Müller (LU), Ruedi Noser (ZH), Martin Schmid (GR), Hans Wicki (NW). SVP: Werner Hösli (GL).