Der Flug fällt aus, wurde überbucht oder hat Verspätung: Bleiben Passagiere in Europa aus einem dieser Gründe am Flughafen sitzen, sind sie sicher verärgert. Aber nicht rechtlos: Je nach den Umständen steht ihnen unter anderem eine Entschädigung von bis zu 600 Euro zu. So will es die europäische Passagierrechtsverordnung.
Doch immer wieder ignorieren Airlines solche Entschädigungsforderungen (K-Tipp 3/2016). Viele Passagiere betrauen darum spezialisierte Inkassodienste wie Flightright, Fairplane und Airhelp mit der Durchsetzung ihrer Ansprüche. Bleibt deren Einsatz fruchtlos, stellen sie keine Rechnung. Im Erfolgsfall behalten sie etwa 25 bis 30 Prozent der ausbezahlten Entschädigung für sich. Der Rest geht an den Passagier.
Inkassobüros scheuen keinen Aufwand
Den Fluggesellschaften sind die professionellen Inkassodienste ein Dorn im Auge. Denn sie sind hartnäckig und über den europäischen Flugbetrieb gut dokumentiert. Sie bringen Entschädigungsforderungen auch vor Gericht – was ein einzelner Passagier wegen des Aufwands und des Kostenrisikos nur selten macht.
Die irische Fluggesellschaft Ryanair will sich die Inkassodienste jetzt vom Hals schaffen. Die zweitgrösste Airline Europas ergänzte deshalb Artikel 15 ihrer Geschäftsbedingungen mit dem Ziel, den Passagieren zu untersagen, allfällige Entschädigungsansprüche an Inkassodienste abzutreten.
Die Fluggesellschaft verkauft dies als Dienst am Passagier: «Wir möchten sicherstellen, dass alle Ryanair-Kunden 100 Prozent ihrer Entschädigung erhalten, ohne Abzug übermässiger Kosten Dritter», so Sprecher Ronan O’Keefe. Er sieht auch keinen Widerspruch zur Passagierrechtsverordnung.
Kunden werden benachteiligt
Das sieht der Reiserechtsexperte Vito Roberto, Professor an der Uni St. Gallen, anders. Die Klausel in den Ryanair-Bedingungen verstosse gegen Artikel 15 der Passagierrechtsverordnung. Denn sie beschränke die Verpflichtung der Airline, zu zahlen und die Rechte ihrer Kunden, Ansprüche geltend zu machen.
Ausserdem missachte sie «ohne Zweifel» das im Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb enthaltene Verbot, Kunden im Kleingedruckten zu benachteiligen. Robertos ironisches Fazit: «Lustige Klausel. Ich muss gestehen, die sind originell in ihren Versuchen, gesetzliche Ansprüche zu verhindern.»
Das Benachteiligungsverbot gilt nicht nur in der Schweiz. Ebenso sind ungewöhnliche Bestimmungen im Kleingedruckten, mit denen Kunden nicht rechnen müssen, in vielen Ländern Europas ungültig. Darum erstaunt es kaum, dass das Amtsgericht Köln (D) vor wenigen Tagen in einem Vorentscheid wie Vito Roberto zum Schluss kam: «Das Abtretungsverbot dürfte wegen einer unangemessenen Benachteiligung des Fluggastes unwirksam sein.»