Die Schweizerischen Bundesbahnen veröffentlichten Anfang April eine unverfängliche Mitteilung, die kaum Beachtung fand. Titel: «Das stille Örtchen am Bahnhof wird neu.» Darunter folgte die Ankündigung, dass die SBB die Preise für Bahnhoftoiletten «vereinheitlichen» wollen.
Zwischen den Zeilen machte die Bahn klar, was sie unter vereinheitlichen versteht: Wer am Bahnhof das WC benutzen will, wird künftig überall Fr. 1.– bis 1.50 Eintritt bezahlen müssen.
Recherchen des K-Tipp zeigen: Für die Manager der SBB gilt heute jede Toilette als Renditeobjekt. Es gilt, Kosten zu vermeiden und Einnahmen zu erzielen. Beispiel: Der Bahnhof Luchsingen-Hätzingen im Glarnerland: Die SBB klagten dort 2008 über «Randalierer» im kostenlosen Bahnhofs-WC, worauf der Dorfverein die Reinigung ohne Lohn übernahm. Dennoch rissen die SBB später das Häuschen ab und boten dem Dorf 2016 einen Neubau aus Chromstahl an. Bedingung: Die Gemeinde müsse 86'400 Franken beisteuern.
Seither kassieren die SBB für die Benützung der Toilette einen Franken. Heinz Hürzeler, damals Präsident des Vereins Pro Luchsingen, ärgert sich: «Zuerst übernehmen wir für die SBB die Kosten der Reinigung sowie einen Teil der Umbaukosten. Und zum Dank machen die SBB bei jedem WC-Benutzer die hohle Hand.»
Gemeinden werden zur Kasse gebeten
Über 100 Bahnhoftoiletten funktionierten die SBB so in den letzten zehn Jahren zu Renditeobjekten um. In den meisten Fällen kamen die Toiletten des Schweizer Herstellers Fierz GmbH zum Einsatz. Und wie Luchsingen baten die SBB auch andere Gemeinden zur Kasse: In Mitlödi GL etwa zahlte die Dorfkasse 65'000 Franken. Im St. Galler Rheintal beteiligte sich Sevelen SG mit 80'000 Franken am Kauf des sanitären Edelstahlwürfels. In Ossingen ZH betrug der Beitrag der Gemeinde 60'000 Franken.
Für die SBB wurde Pinkeln zum Massengeschäft. SBB-Projektleiter Markus Rast nahm an über 60 Eröffnungsfeiern teil, wo er die neue Eintrittsgebühr jeweils rechtfertigte.
Noch 2011 hatte der damalige SBB-Chef Andreas Meyer in der «NZZ am Sonntag» versprochen: «Wir werden wieder mehr öffentliche Toiletten gratis anbieten.» Davon ist heute nichts zu sehen: Die SBB unterhalten aktuell 340 Toiletten, davon ist rund die Hälfte kostenlos. K-Tipp-Recherchen zeigen, dass die Bahn 56 WC-Standorte an die Gemeinden abstossen will, die übrigen werden kostenpflichtig. Die Liste der betroffenen Bahnhöfe halten die SBB geheim.
Gratis war bisher auch das SBB-WC im Bahnhof Chur: Aktuell wird es umgebaut, und ab nächstem Sommer werden Bahnreisende ebenfalls zur Kasse gebeten.
Das Eisenbahngesetz verpflichtet Bahnunternehmen zwar, «Publikumsanlagen» zu finanzieren und zu betreiben. Gemeint sind damit die Infrastrukturen, die für Bahnreisende notwendig sind – also Perrons, Treppen oder Anzeigetafeln. Kostenlose WCs zählte man jahrzehntelang ebenfalls dazu. Doch heute schreibt das zuständige Bundesamt für Verkehr dem K-Tipp, es liege «im Ermessen der Bahnunternehmen», ob sie eine Toilette anbieten wollen oder nicht.
Die SBB bestreiten in einer Stellungnahme gegenüber dem K-Tipp, dass die WCs ein «Profitgeschäft» seien: «Die WC-Anlagen können nur knapp kostendeckend betrieben werden.»
Rhätische Bahn zeigt, dass es anders geht
Bei der Rhätischen Bahn (RhB) haben es Kunden besser: Sie können rund 60 Toiletten gratis nutzen. Die Kosten von rund 5000 Franken pro Bahnhof übernimmt die RhB. Nur in Landquart und St. Moritz zahlen die Gemeinden mit, weil der Unterhalt dort pro Jahr rund 25'000 Franken kostet. Auf diese Strategie setzt auch die Südostbahn: 18 Bahnhoftoiletten bleiben gratis – auch weil sich die betroffenen Gemeinden an den Unterhaltskosten beteiligen.
Übrigens: Für das Bahnhof-WC in Walenstadt SG dürfen die SBB bis 2036 keine Eintrittsgebühr verlangen. Dies dank einem Vertrag, in dem die Gemeinde mit den SBB vereinbarte, jährlich rund 5100 Franken für die Reinigung zu zahlen. Gemeindepräsident Angelo Umberg: «Das gehört für uns zum Service public.»
Korrekturhinweis: In einer ersten Version wurde Fierz GmbH fälschlicherweise als deutsche Firma bezeichnet