Gegenüber der «Sonntags-Zeitung» sagte Ulrich Gygi: «Heute geht nur noch ein Viertel aller Reisenden an den Schalter.» Daraus folgert er: «Es ist klar, dass wir längerfristig nicht einfach neue Verkaufskanäle wie Online und Mobiltelefon hinzufügen können, ohne die Verkaufsstellen zu reduzieren.»
Und warum wohl kauft nur noch «ein Viertel aller Reisenden» die Billette am Schalter? Weil die SBB ihre Kunden fast zwingen, ihre Billette am Automaten oder im Internet zu kaufen. Denn die Zustände in vielen Schweizer Bahnhöfen sind eine Zumutung:
- Der K-Tipp berichtete schon im Herbst 2012, dass die Wartezeiten an den Schaltern im Bahnhof Bern zeitweise 30 Minuten betragen. Wer für ein Billett nach Zürich ansteht, verpasst unter Umständen zwei Züge.
- An manchen Bahnhöfen stehen in den Schalterhallen SBB-Angestellte, deren einzige Aufgabe es ist, Kunden abzuwimmeln und sie nach draussen, an die Billettautomaten, zu drängen.
- In Locarno TI sind im Winter die Billettschalter am Sonntag geschlossen. Auch die Gepäckaufgabe und -abholung ist am Sonntag nicht möglich.
- Im Urner Hauptort Altdorf sind die Schalter sonntags geschlossen.
- In grösseren Ortschaften wie Hinwil ZH oder Münchenbuchsee BE gilt für die Schalter die Fünftagewoche.
- In Göschenen UR haben die SBB ihre Schalter für immer geschlossen.
- In der ganzen Leventina im Tessin gibts keine Schalter mehr. Ausser in Airolo. Und dort nicht dank den SBB, sondern dank dem Tourismusbüro, das die Bahnbillette verkauft.
Wenn Ulrich Gygi sagt, «längerfristig» würden die SBB die Zahl der Verkaufsstellen reduzieren, dann weiss der SBB-Verwaltungsratspräsident ganz offensichtlich nicht, wovon er spricht – denn der Kahlschlag ist seit Jahren im Gang: Seit 2004 haben die SBB die Zahl der Verkaufsstellen von 279 auf 179 reduziert. Und dort, wo es überhaupt noch Schalter hat, sind selbst zu Stosszeiten längst nicht alle geöffnet.
Keine Alternativen zu den Schaltern
Die SBB können – obwohl sie das Gegenteil behaupten – keine wirklichen Alternativen zu den Schaltern bieten. Ulrich Gygi sagt zwar, die Kunden könnten «bei einem Callcenter anrufen, in dem dann auch tatsächlich jemand abnimmt». Er meint damit den Railservice. Ein Anruf kostet aber happige Fr. 1.19 pro Minute.
Unbefriedigend sind auch die Billettautomaten: Manche Geräte geben nur ein Rückgeld von maximal Fr. 19.90. Das heisst: Viele Billette können nicht einmal mit einer Fünfziger-note bezahlt werden, ohne dass die Kunden wegen des Automaten Geld verlieren.
Zudem ist an den Automaten bei weitem nicht das gesamte Billettsortiment erhältlich. Und die Geräte sind derart kompliziert zu bedienen, dass sogar die Chefin Personenverkehr daran scheitert.
Auch der Ticketshop im Internet ist – über zehn Jahre nach Inbetriebnahme – immer noch eine Baustelle:
- Für bestimmte Verbundgebiete, Privatbahnen und Buslinien gibts keine Billette.
- Auch Multi-Tageskarten und Mehrfahrtenkarten sind nicht erhältlich.
- Internationale Billette gibts nur für Deutschland, Österreich, den TGV nach Paris und den Euro-City nach Mailand und Venedig.
- Die Billette sind nicht übertragbar.
- Mit der Maestro-Karte lassen sich die Billette nicht bezahlen.
- Wenn ein Kunde das Billett am Schalter ausdrucken lassen möchte, weil sein Drucker nicht funktioniert, dann verlangen die SBB dafür nochmals fünf Franken.
Sogar noch deutlich mehr Einschränkungen weisen die Mobile-Billette auf, die sich via Smartphone kaufen lassen. Es ist deshalb kein Wunder, dass die SBB die Hälfte des Umsatzes nach wie vor an ihren Schaltern machen, obwohl angeblich nur noch ein Viertel der Reisenden dort die Billette kauft.
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Verkauf für Dritte öffnen
Würden die SBB den Verkauf von Tickets für Dritte wirklich öffnen, sähe es wohl mancherorts anders aus. Wenn ich recht informiert bin muss ein privater Bahnschalter heute aber Jahr für Jahr einige tausend Franken hinlegen, um überhaupt am System teilnehmen zu können. Über die Marge bei den verkauften Tickets weiss ich nichts, sie dürfte aber, wenn überhaupt, minim sein. Wenn hier ein Markt entstünde, sprängen ganz sicher schnell innovative Leute ein, auch was die Apps betrifft.