«Schlampiger Umgang»
Eine ausreichende Mobilfunkversorgung wäre auch mit viel weniger Sendeleistung möglich. Doch Mobilfunklobby und Politiker wollen davon nichts wissen.
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K-Tipp 19/2005
16.11.2005
Ernst Meierhofer - ernst.meierhofer@ktipp.ch
Der Baubiologe und Messtechniker Guido Huwiler aus Maschwanden ZH spricht von einer extremen «Penetrierung bis in den Luftschutzkeller». Er kritisiert damit, dass die Mobilfunkbetreiber heute praktisch ungehindert flächendeckend Antennen aufstellen - und diese so intensiv strahlen lassen, dass Handys nicht nur im Freien Empfang haben, sondern auch in Autos, in Kellern, in der hintersten Ecke der Wohnung, hinter den dicksten Wänden. Und eben auch im Luftschutzkeller.
Die Betrei...
Der Baubiologe und Messtechniker Guido Huwiler aus Maschwanden ZH spricht von einer extremen «Penetrierung bis in den Luftschutzkeller». Er kritisiert damit, dass die Mobilfunkbetreiber heute praktisch ungehindert flächendeckend Antennen aufstellen - und diese so intensiv strahlen lassen, dass Handys nicht nur im Freien Empfang haben, sondern auch in Autos, in Kellern, in der hintersten Ecke der Wohnung, hinter den dicksten Wänden. Und eben auch im Luftschutzkeller.
Die Betreiber argumentieren, 70 Prozent der Handygespräche würden in Häusern geführt, deshalb müssten alle Signale auch hinter massiven Wänden und Mauern zu empfangen sein.
Und ein Ende der zunehmenden E-Smog-Belastung - auch durch künstlich geschaffene neue Bedürfnisse - ist nicht abzusehen. Für Schnickschnack wie etwa Live-Fernsehen am Handy werden die Sendekapazitäten noch weiter erhöht. Alles zusammen ergibt ein beträchtliches Gesundheitsrisiko (siehe K-Tipp 15/05).
Der deutsche Mobilfunkkritiker Stefan Spaarmann schreibt von «schlampigem Umgang» mit Mobilfunkstrahlung. Er ist Initiant des so genannten Tauchaer Mobilfunkkonzepts, benannt nach einer Kleinstadt im deutschen Bundesland Sachsen. Das Ziel: Den Mobilfunk zunächst E-Smog-arm und später gar E-Smog-frei gestalten.
Grenzwert könnte 100-mal tiefer sein
Der deutsche Ingenieur Martin Virnich schreibt dazu, die jetzige Sendeleistung der Antennen könne «um den Faktor 100 bis 1000» reduziert werden. Damit wäre die Handybenützung im Freien immer noch möglich, aber nicht mehr in Häusern. Die Idee läuft unter dem Motto «Trennung von Outdoor- und Indoor-Versorgung».
Handybenützung im Haus («indoors») wäre nur dann noch möglich, wenn auf dem Dach ein Empfänger mit direktem Sichtkontakt zu einer Antenne steht. Dieser Empfänger leitet das Signal in einzelne Räume und strahlt es dort mit sehr reduzierter Leistung ab. In Strassenschluchten könnte das Antennensignal mit passiven Reflektoren oder aktiven schwachen Sendern verbreitet werden.
Die «grossen» herkömmlichen Antennen könnten dann tendenziell ausserhalb der Siedlungen stehen.
Die Befürworter dieser Idee sind der Ansicht, der Grenzwert für die Mobilfunkstrahlung könne so mindestens um den Faktor 100 reduziert werden (von 6 auf 0,06 Volt pro Meter). Natürlich müssten die Handys selber dann auch weniger strahlen.
Dass eine «ausreichende Netzqualität» mit massiv reduzierter Sendeleistung möglich ist, zeigt auch eine Studie für die deutsche Gemeinde Gräfelfing unter dem Motto «Integrierte kommunale Mobilfunkplanung» (Ikom). Allein durch optimierte Antennenstandorte lässt sich der Grenzwert gemäss diesen Überlegungen auf 0,6 Volt pro Meter drücken (wobei Baubiologen jedoch einwenden, für empfindliche Personen sei das immer noch zu viel). Auf dieser Basis würden Handys auch im Innern der Häuser noch funktionieren.
Die Studie stammt von der Enorm GmbH aus München. Diese Beratungsfirma hat soeben ein Gutachten für das Fürstentum Liechtenstein abgeliefert. Ergebnis: Im Talgebiet Liechtensteins wäre eine vollständige Versorgung (auch innerhalb der Häuser) mit einem Grenzwert möglich, der für Wohngebiete bei nur 0,2 V/m liegt. Die Antennen müssten dazu ausserhalb der Siedlungsgebiete stehen, und zwar 50 Meter über Grund.
Schweizer strahlen nach Liechtenstein
Aber: Die Verfasser schreiben, das Ziel sei nur zu erreichen, wenn auch die umliegenden Länder - also insbesondere die Schweiz - mitmachen. Denn: Gemäss dieser Studie strahlen Schweizer Mobilfunkbetreiber «enorm» auf Liechtensteiner Staatsgebiet ein. Und zwar mit einer Feldstärke, die ausreiche, «um Liechtenstein praktisch vollständig auch auf Indoor-Niveau zu versorgen».
Der Grund dafür ist klar: Damit können die Schweizer Betreiber die rund 7000 Berufspendler, die täglich nach Liechtenstein zur Arbeit fahren, in ihrem eigenen Mobilfunknetz behalten.
Die offizielle Schweiz will aber von «sanftem» Mobilfunk nichts wissen. Im September 2003 schrieb der Bundesrat als Antwort auf eine parlamentarische Interpellation der Nationalrätin Pia Hollenstein von der Grünen Partei, er wolle ein solches Pilotprojekt nicht verfolgen.
Der Regierungsrat des Kantons Zürich antwortete im März 2005 auf ein Postulat, für sanften Mobilfunk gebe es «keinen Spielraum».
Auch das «Forum Mobil», das für die Mobilfunkbetreiber die Öffentlichkeitsarbeit besorgt, winkt ab: «Wer ein Handy besitzt, möchte es in der Regel auch uneingeschränkt benützen können, ob zu Hause, im Büro oder unterwegs, was aber zwingend bedeutet, dass genügend Antennen mit ausreichender Leistungskapazität dort stehen müssen, wo telefoniert wird. Ein Netz mit so tiefen Sendeleistungen, wie in den angeführten Konzepten gefordert, kann diese Bedürfnisse nicht erfüllen.»
Und: «Die angeführten Konzepte stammen aus Deutschland und Österreich, wo sie bisher nicht umgesetzt wurden.» Dem widerspricht Johannes Kamp von der Firma Enorm GmbH: «Gräfelfing wird umgesetzt.»
«Strahlenbelastung absenken»
Von alledem lassen sich die Initianten von «Sanfter Mobilfunk Seetal» nicht irritieren. Die Projektgruppe rund um den Hallwylersee hat eine klare Zielsetzung: «Wir wollen, dass die Strahlenbelastung auf das tiefstmögliche Niveau abgesenkt wird und dass neue Mobilfunktechnologien erprobt werden.»
In einem ersten Schritt wollen die Initianten erreichen, dass die Mobilfunkbetreiber die Sendeleistung der Antennen freiwillig reduzieren. Für einen späteren Zeitpunkt wird auch hier die Trennung von Indoor- und Outdoor-Versorgung ins Auge gefasst.
Man darf gespannt sein.