Schlechte Aussichten für Versicherte
Das Versicherungsvertragsgesetz benachteiligt die Konsumenten. Daran wird sich nicht viel ändern. Denn Bundesrat und vorberatende Kommission haben dem Druck der Versicherungslobby bereits nachgegeben.
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K-Tipp 14/2003
03.09.2003
Thomas Müller - tmueller@ktipp.ch
Es betrifft alle Konsumenten - und es ist hoffnungslos veraltet. Jetzt soll das Versicherungsvertragsgesetz aus dem Jahr 1908 geändert werden. Noch dieses Jahr kommt die Teilrevision in den Ständerat. Doch die Vorarbeiten verheissen wenig Gutes. Die meisten Konsumentenärgernisse werden bleiben.
Ärgernis Nummer 1: Unverhältnismässige Folgen bei unkorrekten Angaben.
Stellen Sie sich vor: Ihr Partner, Ihre Partnerin hat eine Lebensversicherung abgeschlossen und k...
Es betrifft alle Konsumenten - und es ist hoffnungslos veraltet. Jetzt soll das Versicherungsvertragsgesetz aus dem Jahr 1908 geändert werden. Noch dieses Jahr kommt die Teilrevision in den Ständerat. Doch die Vorarbeiten verheissen wenig Gutes. Die meisten Konsumentenärgernisse werden bleiben.
Ärgernis Nummer 1: Unverhältnismässige Folgen bei unkorrekten Angaben.
Stellen Sie sich vor: Ihr Partner, Ihre Partnerin hat eine Lebensversicherung abgeschlossen und kommt bei einem Unfall ums Leben. Nun müssten Sie eigentlich Geld von der Versicherung erhalten, doch diese weigert sich zu zahlen. Begründung: Das Unfallopfer habe beim Abschluss der Versicherung auf dem Antragsformular seinen erhöhten Blutdruck nicht angegeben.
Kein Witz. Solche Fälle sind bei den Versicherungs-Ombudsstellen ein Dauerbrenner. Denn das Gesetz gestattet den Gesellschaften, sämtliche Leistungen zu streichen, wenn der Versicherte den Fragebogen falsch oder unvollständig ausgefüllt hat.
Besonders stossend dabei: Die Versicherungen dürfen auch dann kneifen, wenn die nicht deklarierte Gesundheitsstörung (Bluthochdruck) mit dem aktuellen Ereignis (Unfall) gar nichts zu tun hat. Und: Sie dürfen bereits erbrachte Leistungen auch Jahre später noch zurückfordern.
Das schlägt der Bundesrat vor: Leistungsverweigerungen sollen nur noch erlaubt sein, wenn zwischen der nicht deklarierten Gesundheitsstörung und dem Schadenereignis ein Zusammenhang besteht. In unserem Beispiel könnte das der Fall sein, wenn die versicherte Person an einem Herzinfarkt gestorben wäre. Denn Bluthochdruck gilt als Risikofaktor für einen Infarkt.
Versicherungsverband lehnt Änderungen ab
Der Schweizerische Versicherungsverband lehnte den Änderungsvorschlag von Anfang an ab. Die bisherige Regelung sei «durchaus sachgerecht» und sie habe sich «grösstenteils bewährt», schrieb er in seiner Vernehmlassungsantwort.
Gehör fand der Verband nun bei der vorberatenden Kommission des Ständerats. Die Kommission, deren Mitglieder fast zur Hälfte den Versicherungen nahe stehen (siehe Kasten), kommt den Gesellschaften mit einem Gummiparagrafen entgegen. Sie schlägt vor, dass die Leistungspflicht auch dann erlöschen soll, wenn der Kunde falsche Angaben gemacht hat, die zwar nicht mit dem Schadenereignis zusammenhängen, es aber der Versicherung verunmöglicht haben, das Risiko richtig einzuschätzen.
Beispiel: Der Antragsteller für eine Motorfahrzeug-Versicherung hat einen früheren Führerausweisentzug nicht angegeben. Verursacht er nun einen Unfall, steht dieser zwar in keinem direkten Zusammenhang mit dem früheren Ausweisentzug. Die Versicherung kann sich aber aus der Affäre ziehen, indem sie geltend macht, sie habe wegen der falschen Angabe nicht wissen können, dass es sich um einen unsorgfältigen Fahrer handelt.
Auf welche Fälle der Gummiparagraf genau anwendbar wäre, müssten die Gerichte klären, sagt der Kommissionspräsident, der Glarner Ständerat Fritz Schiesser (FDP). Und räumt ein: «Es ändert nicht so viel, wie man denken könnte.» So soll es auch in Zukunft keine Rolle spielen, ob der Versicherungskunde das Antragsformular mit oder ohne Absicht falsch ausfüllte.
Eines sollen Versicherte jedoch nicht mehr befürchten müssen: Dass Versicherungen Leistungen zurückfordern, die sie in Unkenntnis einer Falschdeklaration bereits erbracht haben.
Ärgernis Nummer 2: Versicherungsloch bei bestehenden Leiden.
Angenommen, Sie müssen sich einer Bandscheiben-operation unterziehen. Ihre Rückenbeschwerden hatten Sie im Antragsformular für die Spital-Zusatzversicherung korrekt angegeben und Sie wurden vorbehaltlos aufgenommen.
Trotzdem muss die Versicherung an die Operation nichts beisteuern. Grotesk: Nach Artikel 9 des Gesetzes sind Leiden, die beim Abschluss der Versicherung bereits bestanden, generell nicht versichert. Das gilt selbst dann, wenn der Versicherte beim Vertragsabschluss von seinem Leiden - etwa einem angeborenen Herzfehler - noch gar nichts wusste.
Das schlägt der Bundesrat vor: Nichts.
Obwohl Artikel 9 auf Krankheitsfälle nicht passt, soll er unverändert beibehalten werden. Der Krankenkassenverband Santésuisse hatte dies in seiner Vernehmlassung sogar ausdrücklich gefordert.
Ärgernis Nummer 3: Keine Prämienrückerstattung bei Fahrzeugwechsel.
Als Autofahrer haben Sie sich vielleicht schon darüber aufgeregt: Sie verkaufen Ihr Auto und versichern das neue bei einer anderen Gesellschaft. Die bisherige Versicherung darf nun die ganze Jahresprämie behalten, auch wenn sie das Risiko nur für ein paar Monate getragen hat. «Unteilbarkeit der Prämie» heisst dieser alte Zopf.
Das schlägt der Bundesrat vor: Bei einer vorzeitigen Auflösung des Vertrages sollen die Versicherungen verpflichtet sein, die Prämie anteilsmässig zurückzuerstatten. Ausnahme: Wenn der Kunde nach einem Schadenfall im ersten Vertragsjahr kündigt.
Die Ständeratskommission hat nun auf Druck der Versicherungen eine weitere Ausnahme eingefügt: Wer einen Totalschaden erleidet, soll den nicht verbrauchten Prämienanteil ebenfalls nicht zurückerhalten.
Ärgernis Nummer 4: Kein Widerrufsrecht für überrumpelte Kunden.
Beispiel: Ein Versicherungsvertreter klingelt an der Tür und schwatzt so lange auf Sie ein, bis Sie einen Antrag unterschreiben - und schon sitzen Sie in der Falle. Denn das Widerrufsrecht bei den so genannten Haustürgeschäften gilt ausgerechnet nicht für Versicherungsverträge.
Im schlimmsten Fall haben Sie dann einen Vertrag am Hals, der Sie für fünf oder acht Jahre bindet.
Das schlägt der Bundesrat vor: Nichts.
Anders als in den EU-Ländern sollen Konsumenten in der Schweiz kein Widerrufsrecht erhalten. Im Vorentwurf des Bundesamts war wenigstens ein allgemeines Kündigungsrecht vorgesehen: Jeder Versicherungsvertrag, so der Vorschlag, hätte unabhängig von seiner Laufzeit nach drei Jahren gekündigt werden können. Die Versicherungen sahen darin einen unzulässigen Eingriff in die Vertragsfreiheit. Und siehe da: Der Bundesrat hat die Idee fallen gelassen.
Kein Kündigungsrecht für Konsumenten
Ärgernis Nummer 5: Einseitige Prämienerhöhungen.
Das kennen Sie sicher: Die Versicherung kündigt eine Prämienerhöhung an und beruft sich dabei auf ihre Allgemeinen Versicherungsbedingungen. Nun könnten Sie zwar kündigen, aber meist nur innert 25 Tagen. Das reicht oft nicht, um Offerten einzuholen und die Versicherung zu wechseln.
Das schlägt der Bundesrat vor: Nichts.
Der Vorentwurf sah vor, dass Prämienerhöhungen nur zulässig sein sollen, wenn sich «die für die Prämienberechnung massgeblichen Verhältnisse» geändert haben. Auch hätte der Kunde für diesen Fall ein gesetzliches Kündigungsrecht erhalten sollen. Doch die Versicherungen haben diesen Vorschlag erfolgreich bekämpft.
Eine gesetzliche Regelung wäre umso dringender, als das Bundesamt für Privatversicherungen das Kleingedruckte der Versicherungen in Zukunft nicht mehr absegnen soll.
Jacqueline Bachmann, Geschäftsführerin der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS), fordert daher, dass missbräuchliche Klauseln verboten werden. Und: «Das Gesetz muss vorschreiben, dass unklare oder mehrdeutige Klauseln zu Ungunsten der Gesellschaften auszulegen sind.»
Der Schweizerische Versicherungsverband will solche Anliegen erst im Rahmen der eben angelaufenen Totalrevision diskutieren. Bis diese abgeschlossen sein wird, können aber gut und gern nochmals acht bis zehn Jahre vergehen.
Die Lobbyisten der Versicherungen
Dass die ständerätliche Kommission für Wirtschaft und Abgaben wichtige Konsumentenanliegen verwässert, ist kein Zufall: 5 von 12 Mitgliedern sind mit der Versicherungsbranche verbandelt.
- Christoffel Brändli (CVP GR): Verwaltungsratspräsident des Krankenkassenverbands Santésuisse
- Anton Cottier (CVP FR): Verwaltungsrat der Pax Versicherung
- Eugen David (CVP SG): Verwaltungsratspräsident der Krankenkasse Helsana
- Theo Maissen (CVP GR): Verwaltungsrat der Kranken- und Unfallversicherung Concordia
- Fritz Schiesser (FDP GL): Mitglied der Delegiertenversammlung der Mobiliar