«Schlicht unwillkommen»
Für Seniorinnen und Senioren sind vergünstigte Tarife und Eintrittskarten an der Tagesordnung - nicht aber für behinderte Menschen.
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K-Tipp 8/2006
19.04.2006
Gery Schwager - gery.schwager@ktipp.ch
Anina Schnoz ist traurig. Vor kurzem hatte sie sich für einen Ausflug auf die Piste bei den Arosa Bergbahnen nach einem ermässigten Tarif erkundigt. Doch beim Angestellten an der Kasse biss sie auf Granit.
Die 22-Jährige ist aufgrund eines Sauerstoffmangels während der Geburt behindert. Von der Invalidenversicherung (IV) erhält sie eine volle Rente. Zusammen mit Ergänzungsleistungen und einem bescheidenen Lohn für ihre Arbeit in einer betreuten Institution steht ihr ein Mon...
Anina Schnoz ist traurig. Vor kurzem hatte sie sich für einen Ausflug auf die Piste bei den Arosa Bergbahnen nach einem ermässigten Tarif erkundigt. Doch beim Angestellten an der Kasse biss sie auf Granit.
Die 22-Jährige ist aufgrund eines Sauerstoffmangels während der Geburt behindert. Von der Invalidenversicherung (IV) erhält sie eine volle Rente. Zusammen mit Ergänzungsleistungen und einem bescheidenen Lohn für ihre Arbeit in einer betreuten Institution steht ihr ein Monatseinkommen von 2800 Franken zur Verfügung.
Kein IV-Rabatt bei 18 von 27 Betrieben
Entsprechend schwer fällt es der jungen Frau zu verstehen, weshalb etwa Studierende sowie Seniorinnen und Senioren häufig Vergünstigungen erhalten, die wirtschaftlich insgesamt kaum besser gestellten IV-Bezügerinnen und -bezüger jedoch nicht. Anina Schnozs Fazit: «Menschen mit einem Handicap sind vielerorts schlicht unwillkommen.»
Tatsächlich ist das Tarifmodell der Arosa Bergbahnen kein Einzelfall. Der K-Tipp hat bei 27 Bergbahnen und Tarifverbunden nachgefragt. Resultat: Exakt zwei Drittel gewähren Seniorinnen und Senioren zumindest bei einem Teil ihres Billett- und Abo-Angebots Preisnachlässe, Behinderten jedoch nicht.
Anders das Bild bei Museen: Zumindest die fünf vom K-Tipp befragten Einrichtungen - Fondation Beyeler in Riehen BL, Verkehrshaus Luzern, Fotomuseum Winterthur ZH, Landesmuseum und Kunsthaus Zürich - reduzieren den Eintrittspreis für AHV- und IV-Bezügerinnen und -Bezüger im gleichen Mass. Doch weshalb messen so viele Transportunternehmen tarifpolitisch mit verschiedenen Ellen?
Senioren-Rabatte historisch begründet
Die Davos Klosters Bergbahnen AG etwa macht geltend, dass man ja nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern zum Beispiel auch Studierenden keine besseren Preise anbiete. Und wie mehrere andere Unternehmen führt sie weiter an, Seniorinnen und Senioren würden «schon seit einigen Jahren Ermässigungen» erhalten. Die Seniorenrabatte werden also gleichsam historisch begründet.
Immerhin: Die meisten der angefragten Betriebe akzeptieren auf ihren Strecken die so genannte Begleiterkarte. Und bei einzelnen Unternehmen werden IV-Bezügerinnen und -Bezüger gegenüber Seniorinnen und Senioren gar nicht benachteiligt.
Dazu gehören bald auch die Arosa Bergbahnen: Aufgerüttelt durch die Beschwerde von Anina Schnoz haben sie beschlossen, «ab kommender Wintersaison IV-Bezügerinnen und -Bezüger den Seniorinnen und Senioren gleichzustellen».
Ähnliches kündigt die Luftseilbahn Engelberg-Fürenalp AG dem K-Tipp an: «Wir werden ab Beginn der Sommersaison am 13. Mai 2006 den IV-Bezügern (100 % Invalidität) die gleichen Vergünstigungen gewähren wie den Senioren.»
Begleitperson fährt gratis
Unter bestimmten Bedingungen erhalten behinderte Passagiere bei den SBB und anderen schweizerischen Transportunternehmen folgende Fahrvergünstigungen:
- Wer eine Rente der Invalidenversicherung (IV), eine Hilflosenentschädigung oder Leistungen für einen Blindenführhund bezieht, bekommt das Generalabonnement (GA) zu einem ermässigten Preis (Jahres-GA 2. Klasse: Fr. 2150.- statt Fr. 2990.-).
- In der Schweiz wohnhafte Behinderte, die auf Begleitung angewiesen sind, haben Anspruch auf eine kostenlose Beförderung der Begleitperson. Dazu benötigen sie die so genannte Begleiterkarte. Sie wird über die zuständigen Kantonalstellen (meist die IV-Stelle) herausgegeben.
Der «Ausweis für IV-Rentner/in» der kantonalen IV-Stellen wiederum berechtigt bei einigen lokalen und regionalen Verkehrsbetrieben zum Kauf verbilligter Abos.
Und die «Ausweiskarte für Blinde und Sehbehinderte» des Verbandes öffentlicher Verkehr (VöV) schliesslich erlaubt es Betroffenen, gemeinsam mit einer Begleitperson oder einem Führhund die öffentlichen Verkehrsmittel diverser Städte frei zu benützen.
Details zu den diversen Fahrvergünstigungen finden Sie im Internet unter www.sbb.ch/handicap.
Finden Sie es in Ordnung, dass Senioren Rabatte gewährt werden - Behinderten aber nicht? Antworten Sie auf www.ktipp.ch.