Der Satz liest sich, als stünde er in einem Werbeprospekt: «Das Netz von UPC bietet dank seinem hohen Anteil an Glasfaser und neuster Netzelektronik flächendeckend die modernste Datenautobahn der Schweiz.» Die Textpassage stammt aus einem Wikipedia-Eintrag zu UPC. Die Firma hat sie dort selber hingeschrieben. In den letzten fünf Jahren erfasste UPC auf der eigenen Wikipedia-Seite über 60 Beiträge oder änderte bestehende Einträge. Das lässt sich nachvollziehen, weil Wikipedia jede Änderung in der Versionsgeschichte speichert. So kann man alte Versionen einer Seite einsehen.
Laut dem Internetdienst Alexa, der Daten über Abrufe von Websites sammelt, ist Wikipedia in der Schweiz die Nummer fünf der am meisten aufgerufenen Internetseiten. Pro Tag besuchen über eine Million Leser die deutschsprachige Wikipedia-Version.
Leser erfährt nicht, ob der Eintrag bezahlt ist
Das Internetlexikon wird von Zehntausenden Freiwilligen auf der ganzen Welt mit Texten gefüllt. Jede und jeder darf mitschreiben. Das nutzen bezahlte Schreiber aus. Die Werbetexter sind laut Richtlinien lediglich dazu verpflichtet, im Sinne der Transparenz ein Benutzerkonto mit dem Namen der auftraggebenden Firma anzulegen oder bezahlte Mitarbeit zu deklarieren. Unterlassen dies die Autoren, erfahren die Leser auf den ersten Blick nicht, ob sie gerade einen unabhängigen oder einen bezahlten Eintrag lesen.
Immerhin besteht eine gewisse Mindestkontrolle: Alle Einträge werden in der Regel noch von sogenannten Administratoren geprüft. Im Fall der UPC gab es von ihnen denn auch hin und wieder einen Rüffel: «So geht es nicht. Wenn du den PR-Textstil etwas reduzierst und Belege einbringst, wird man deine Arbeit sichten können. Die Seite UPC Schweiz steht unter unserer Beobachtung.» Doch viele PR-Einträge blieben stehen.
UPC ist bei weitem nicht das einzige Unternehmen, das sich beim eigenen Wikipedia-Eintrag im besten Licht darzustellen versucht. Fleissig ist zum Beispiel die Ringier AG: Rund 70 Einträge stammen vom Medienunternehmen selber. Auch Einträge zur Zeitung «Blick» oder zu Ringier-Chef Marc Walder wurden bearbeitet. Bei Letzterem ist beispielsweise zu lesen: «Am 3. September 2019 fand der dritte Digitaltag statt. Mit dieser Initiative möchte Walder die Schweizer Bevölkerung zum lebenslangen Lernen ermutigen.»
Es ist fraglich, ob solche PR-Informationen für die Wikipedia-Leser relevant sind. Doch die Administratoren griffen nicht ein. Ebenso wenig wie bei den Einträgen eines Autors namens «Swisscontent2019», der laut eigener Deklaration im Auftrag der Helvetia-Versicherung Änderungen vornahm. Auch Firmen wie Coop, Migros, Swica und Tamedia eröffneten auf Wikipedia Benutzerkonten und greifen hin und wieder in Texte ein.
Hinweis auf «PR-Text» bei Swisscom-Eintrag
Für die Telecomfirma Swisscom verfasste zum Beispiel ein gewisser «Mendrisiostar» folgenden Eintrag: «Die Swisscom wurde 2020 wie schon im Vorjahr von der Fachzeitschrift Connect zum Mobilfunkanbieter mit dem besten Netz gekürt.» Und: Die Swisscom sei zum weltweit nachhaltigsten Unternehmen der Telekommunikationsbranche gekürt worden. Immerhin wurde ein Teil des Swisscom-Eintrags von Wikipedia mit einer Warnung versehen: «Abschnitt bedarf einer Überarbeitung: PR-Text, nicht enzyklopädisch.»
Die Swisscom sagt dazu, sie habe eine Werbeagentur beauftragt, die den Wikipedia-Eintrag gelegentlich prüfe und redigiere, wenn es notwendig sei. Die gleiche Agentur bearbeitete auch Einträge zu ABB, Siemens oder Helvetic Airways.
Wikipedia ist ein Projekt der gemeinnützigen Wikimedia Foundation mit Sitz in den USA. In der Schweiz beantwortet der Verein Wikimedia CH Fragen zum Internet-Nachschlagewerk. Laut Sprecherin Kerstin Sonnekalb ist es Sache der freiwilligen Bearbeiter, einzugreifen, wenn fragwürdige Inhalte publiziert werden. «Doch oft ist es schwierig, Verstösse aufzudecken – vor allem, wenn ein Eintrag grundsätzlich korrekt und nachprüfbar ist.»
Werber bieten sich als Wikipedia-Autoren an
Gewisse Werbeagenturen sind auf Dienstleistungen rund um Wikipedia spezialisiert. Die Zürcher Metoki zum Beispiel organisiert für ihre Kunden Wikipedia-Schulungen. Und die Berner Webagentur Iqual.ch schreibt: «Wir beraten Sie gerne und helfen Ihnen, einen Wikipedia-Eintrag zu Ihrem Unternehmen oder Thema zu erstellen oder anzupassen.»
Tipp: Die Urheber von Wikipedia-Beiträgen sind in der Versionsgeschichte ersichtlich. Diese kann man oben rechts über jedem Beitrag anklicken. Darauf erscheint eine Liste mit allen Autoren, die am konkreten Eintrag mitwirkten. Wählt man neben einem Autorennamen den Link «Beiträge», werden alle Texte des Schreibers auf Wikipedia angezeigt. Hat er für eine oder mehrere Unternehmen auffällig positive Beiträge verfasst, kann man davon ausgehen, dass es sich um einen bezahlten Autor oder eine Werbeagentur handelt.