Schutzräume für Flaschen
Bei einem AKW-Unfall blieben die öffentlichen Schutzräume geschlossen, sagt das zuständige Bundesamt. Die Notfallplanung des Bundesrats sieht anderes vor.
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K-Tipp 06/2012
17.03.2012
Letzte Aktualisierung:
21.03.2012
Marco Diener
K-Tipp-Leserin Madeleine Hilfiker (Name geändert) wohnt in der Nähe des AKW Mühleberg BE. Deshalb hat sie die Informationsbroschüren, die sie erhalten hat, genau gelesen (siehe K-Tipp 4/12).
Aufgefallen ist ihr dabei ein Satz: «Die öffentlichen Schutzräume werden nicht in Betrieb genommen.» Sie fragte beim kantonalen Amt für Bevölkerungsschutz: Warum ni...
K-Tipp-Leserin Madeleine Hilfiker (Name geändert) wohnt in der Nähe des AKW Mühleberg BE. Deshalb hat sie die Informationsbroschüren, die sie erhalten hat, genau gelesen (siehe K-Tipp 4/12).
Aufgefallen ist ihr dabei ein Satz: «Die öffentlichen Schutzräume werden nicht in Betrieb genommen.» Sie fragte beim kantonalen Amt für Bevölkerungsschutz: Warum nicht? Die Antwort kam nicht vom Kanton, sondern vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz.
«Würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen»
Das Bundesamt gibt zu, dass ein Schutzraum zehnmal besser vor Strahlen schützt als ein Haus. Aber der Bezug öffentlicher Schutzräume würde bei einem AKW-Unfall «zu viel Zeit in Anspruch nehmen». Und: «Die dauernde Bereitschaft wäre mit unverhältnismässig grossem organisatorischem und personellem Aufwand verbunden.»
Doch wofür gibt es dann die Schutzräume überhaupt? Eine unfreiwillig komische Antwort lieferte vor Jahren die Arbeitsgemeinschaft Schutz + Sicherheit (AGSS), in der Firmen aus der Schutzraumbranche zusammengeschlossen sind: «In Friedenszeiten ist der Schutzraum vielfältig nutzbar als Lagerraum für selbstgemachte Konfitüre, brandsicheres Archiv, Musikraum für pubertierende Rockstars und Weinkeller für wertvolle Flaschen.»
Nicht minder komisch: «Käme es wirklich zu einem Atomkrieg, dann wären die Überlebenden die US-Regierung, ausgewählte Israelis, einige Insektenarten und die gesamte Schweizer Bevölkerung.» Die AGSS schreibt aber auch: «Unsere Schutzbauten sind Bestandteil der Notfallplanung bei einem möglichen AKW-Unfall.»
Was jetzt? Gehören die Schutzräume zur Notfallplanung oder nicht? Die privaten Schutzräume schon, heisst es heute beim Bundesamt. Aber die öffentlichen – immerhin mit insgesamt einer Million Plätzen – blieben geschlossen. Der Aufenthalt im eigenen Haus biete einen genügenden Schutz – auch wenn es über keinen speziellen Schutzraum verfüge. Zur Erinnerung: Im Schutzraum wäre der Schutz zehnmal besser. Das Bundesamt schreibt weiter, die Schutzräume seien «primär für den Fall eines bewaffneten Konflikts konzipiert».
Das sehen aber die eidgenössischen Parlamentarier mehrheitlich anders. Ebenso Bundesrat Ueli Maurer. Am 9. März 2011 beschloss der Nationalrat, die Pflicht zum Bau privater Schutzräume abzuschaffen. Das war zwei Tage vor dem AKW-Unfall in Fukushima. Drei Monate später kam der Nationalrat auf den Entscheid zurück. Wo noch Schutzplätze fehlen, müssen beim Bau von Gebäuden mit mehr als 38 Zimmern weiterhin Schutzräume gebaut werden. Maurer sagte in der Debatte: «Ein Schutzraum kann vor sehr viel Unbill schützen, sei das nun ein Konflikt oder ein Unfall irgendwelcher Art.»
Das war kein Sololauf Maurers unter dem Eindruck von Fukushima. Der Bundesrat hatte im Antrag ans Parlament schon vor dem Unfall geschrieben: «Die Schutzbauten, die Alarmierungssysteme und die Systeme zur Information über Radio und Telematik bilden ein Konzept, auf dem auch die Notfallplanungen für radiologische Verstrahlungslagen basieren.»
Mehr für Bauindustrie als für Bevölkerung
Frage also ans Bundesamt: Ist Ueli Maurer, ja sogar der ganze Bundesrat falsch informiert? Antwort: «Wir sehen keinen Anlass, die Aussagen von Bundesrat Maurer und die Anträge des Gesamtbundesrats zu kommentieren.»
Bleibt der Eindruck, dass der Schutzraumbau vor allem der Bauindustrie dient, aber kaum der Bevölkerung – ausser vielleicht pubertierenden Rockstars.
Marco Diener