Schweizer Hotelsterne mit trügerischem Glanz
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Die Reklamationen sind zahlreich: Viele Hotels versprechen mit ihren Sternen einen Standard, den sie aus Gästesicht niemals erreichen.
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K-Tipp 8/2003
23.04.2003
Gery Schwager - gschwager@ktipp.ch
Krieg, Wirtschaftsflaute, Sars - des Schweizers Lust auf Reisen in die Ferne h?lt sich zurzeit in Grenzen. Umgekehrt ist der Zustrom ausl?ndischer G?ste ins Tourismusland Schweiz zum Rinnsal mutiert. Die Hotelpreise sind bereits unter Druck geraten - was «Familie Schweizer» zus?tzlich motivieren d?rfte, die Ferien 2003 im eigenen Land zu verbringen.
Bei der Wahl des geeigneten Hotels spielen die Sterne eine Hauptrolle. Bloss: Wer sie zur einzigen Richtschnur nimmt, kann herbe En...
Krieg, Wirtschaftsflaute, Sars - des Schweizers Lust auf Reisen in die Ferne h?lt sich zurzeit in Grenzen. Umgekehrt ist der Zustrom ausl?ndischer G?ste ins Tourismusland Schweiz zum Rinnsal mutiert. Die Hotelpreise sind bereits unter Druck geraten - was «Familie Schweizer» zus?tzlich motivieren d?rfte, die Ferien 2003 im eigenen Land zu verbringen.
Bei der Wahl des geeigneten Hotels spielen die Sterne eine Hauptrolle. Bloss: Wer sie zur einzigen Richtschnur nimmt, kann herbe Entt?uschungen erleben. Die Sterne sind verantwortlich f?r rund 40 Prozent der 300 Beschwerden, die bei der Ombudsstelle der Schweizer Hotellerie j?hrlich eingehen.
Lage und Architektur z?hlen kaum
Besonders h?ufig sind laut Ombudsfrau Brigitta Schaffner Klagen ?ber den allgemeinen Zustand des Hotels und die Zimmerausstattung. Viele G?ste erwarten aufgrund der Sternezahl mehr, als sie effektiv erhalten.
Erstaunlich ist das nicht. Denn die Schweizer Hotelklassifikation, die dem Branchenverband Hotelleriesuisse untersteht, weist teils gravierende M?ngel auf. So sind bei der Sternevergabe Faktoren wie die Lage des Hotels sowie die Architektur und der Charakter des Geb?udes und seiner R?ume fast bedeutungslos. 4- oder 5-Sterne-Hotels k?nnen daher auch zwischen Bahngleis und Autobahn liegen und von der Ausstrahlung her an einen Plattenbau der ehemaligen DDR gemahnen.
Christian Hodler, stellvertretender Direktor von Hotelleriesuisse, hat damit kein Problem (siehe Interview "Unser System …"). Das Bild des romantischen M?rchenhotels am See, das viele Leute mit 4- oder 5-Sterne-H?usern verkn?pften, sei zu einseitig. «Es entspricht vielleicht dem Ferien-, aber kaum dem Business-Hotel.» Letztlich seien nicht Standort und Architektur, sondern Infrastruktur und Dienstleistungsangebot massgeblich f?r die Qualit?t eines Hotels.
Doch gerade bez?glich Bewertung der Infrastruktur gibts arge Schwachstellen. Ein Hotel, dessen Zimmer ungen?gend schallisoliert sind, kann trotzdem die f?r drei oder vier Sterne erforderliche Mindestpunktzahl erreichen. Grund: Vers?umnisse im einen lassen sich ?ber Vorz?ge in einem anderen Bereich kompensieren.
F?r den Hotelgast entsteht so grosse Ungewissheit dar?ber, was ihn im Hotel effektiv erwartet. Oder um beim Beispiel zu bleiben: Die Zahl der Sterne gibt ihm nicht einmal Aufschluss dar?ber, ob er im Zimmer vor L?rm gesch?tzt ist oder nicht.
Hoteliers vergeben Sterne in Eigenregie
Aber auch Hoteliers haben mit der Klassifikation durch Hotelleriesuisse ihre M?he. Das unter Denkmalschutz stehende Luzerner 4-Sterne-Hotel Hofgarten ist aus diesem Grund gar aus dem Verband ausgetreten. «Bei der Klassifikation waren quantitative Aspekte wie Gr?sse der Zimmer und Tische wichtiger als die Individualit?t unserer historischen R?ume», sagt Hoteli?re Claudia Moser. Der «Hofgarten» erteilt sich heute - wie rund ein Drittel aller H?user auf der Hotelliste von Luzern Tourismus - die Sterne in Eigenregie.
Damit wird zudem deutlich, dass nicht alle Hotels, die sich mit Sternen auszeichnen, offiziell klassifiziert worden sind. Gleichzeitig k?nnen sich H?user vor der Bewertung dr?cken, indem sie dem Branchenverband fernbleiben.
Klassifikation soll verbessert werden
Hansruedi M?ller, Professor am Forschungsinstitut f?r Freizeit und Tourismus der Uni Bern, h?lt das f?r «st?rend» - st?render noch als die Tatsache, dass auch jene Hotels, die sich klassifizieren lassen, nur vom Verband statt von einer branchenunabh?ngigen Instanz ?berpr?ft werden.
«Im Prinzip k?nnte sich heute jedes Hotel mit einer beliebigen Anzahl Sterne schm?cken, um sein Image aufzubessern», bringt Roger Jutzi, Direktor des Z?rcher 4-Sterne-Hotels Krone Unterstrass, das Problem auf den Punkt. Ohne verbindliche Rechtsgrundlage f?r die Klassifikation bleibe die Qualit?t der Sterne begrenzt. «In unserem Kundensegment besitzt die Zugeh?rigkeit zu einer Hotelkette viel st?rkere Aussagekraft.»
Beim Verband st?sst solche Kritik nicht g?nzlich auf taube Ohren. Er ist daran, die Normen der Hotelklassifikation einer Revision zu unterziehen, die ab 2006 greifen soll. Unter anderem soll es laut Christian Hodler dann nicht mehr m?glich sein, «eine br?ckelnde Fassade durch einen neuen Teppich oder eine alte Nasszelle durch einen Blumenstrauss zu kompensieren».
Hotelleriesuisse r?umt auch ein, dass vorab innerhalb der 3-, 4- und 5-Sterne-Kategorie heute «nicht mehr vertretbare Diskrepanzen in Bezug auf Infrastruktur und Dienstleistung» vorhanden sind. Daher soll in diesen Kategorien jetzt eine Subklasse «Superior» geschaffen werden, die den jeweils besten Hotels vorbehalten bleibt. Freim?tig f?gt der Verband hinzu: «Eine Alternative best?nde einzig in der Deklassierung von hunderten von Betrieben.»
So weit will man dann doch nicht gehen.
TV gibts ab drei, eine Badehaube erst ab vier Sternen
Hotelleriesuisse vergibt Sterne aufgrund von Normen, die teils ziemlich antiquiert anmuten.
- So wird etwa die «Minimalgr?sse f?r 70 % der Zimmer mit Vorplatz» definiert. Sie betr?gt f?r Doppelzimmer 23 m2 (5 Sterne), 17 m2 (4 Sterne), 14 m2 (3 Sterne) und 12 m2 (1 und 2 Sterne).
- In 5- und 4-Sterne-Hotels sollten alle, in 3-Sterne-H?usern 90 % und 2-Sterne-Herbergen 50 % der Zimmer mit Bad oder Dusche und WC ausgestattet sein.
- Radio, Fernsehen, Telefon, Schreibtisch mit Stuhl und Tischlampe, Schreibzeug und Korrespondenzmappe, Garderobe oder Kleiderhaken sowie einen W?schesack d?rfen G?ste erst ab drei Sternen, Badehaube, Shampoo und F?hn gar erst ab vier Sternen erwarten.
- Ab drei Sternen sollte dem Gast zudem eine «funktionst?chtige, dienstbereite R?ception, mehrsprachig» zur Verf?gung stehen.
«Unser System hat Staub angesetzt»
Hotelsterne werden in der Schweiz von der Branche selber vergeben. Das ist problematisch. Doch Christian Hodler, stellvertretender Direktor des Verbandes Hotelleriesuisse, verteidigt das System.
K-Tipp: Das Hotel Waldhaus in St. Moritz ist ein ehrw?rdiges Geb?ude an ruhiger Lage mit Aussicht auf den See. Es hat drei Sterne. Das Swiss?tel Z?rich ist ein strenges Siebzigerjahre-Hochhaus an gesch?ftiger Lage beim Bahnhof Oerlikon mit Aussicht auf Industrie. Es hat vier Sterne. Wie geht das?
Christian Hodler: Die beiden H?user haben komplett unterschiedliche Zielsetzungen. Das Waldhaus ist ein klassisches Ferienhotel, das Swiss?tel ein Stadt- und Businesshotel. Entsprechend liegen sie in anderer Umgebung. Zudem: Im Rahmen der Sterne-Klassifikation werten wir prim?r Qualit?t, Zustand und Pflege der Infrastruktur. Umgebung und Aussehen eines Hotels dagegen beurteilen wir nur ansatzweise.
Aber immer weniger Hotelg?ste verstehen, weshalb f?r die Sterneauszeichnung Faktoren wie Lage und Geb?udearchitektur praktisch keine Rolle spielen, w?hrend Elemente wie minimale Zimmergr?sse und Tischw?schewechsel Gewicht haben. Wird sich das ?ndern?
Zum Teil. Die Normen, nach denen wir die Hotelsterne verteilen und Betriebe allenfalls ein Spezialisierungslabel wie ?ko-Hotel, Kongresshotel und Ferienhotel erlangen k?nnen, befinden sich in ?berarbeitung. Da sind diverse Neuerungen geplant. Wer etwa in ein Ferienhotel reist, soll mit einer Ferienumgebung und einer Ferienarchitektur rechnen d?rfen, zum Beispiel mit einem Belle-Epoque-Geb?ude an Seelage.
In der Schweiz erfolgt die Hotel-Klassifikation durch den Branchenverband Hotelleriesuisse. M?sste diese Aufgabe nicht von einer branchenunabh?ngigen Instanz ausgef?hrt werden, damit sich die G?ste auf die Sterne verlassen k?nnten?
Die Verl?sslichkeit der Klassifikation h?ngt haupts?chlich von der Qualit?t des Normensystems und der Inspektionsweise ab. Und wir geh?ren mit unserer Hotelklassifikation international nach wie vor zu den f?hrenden L?ndern - auch wenn wir zum Teil etwas Staub angesetzt haben. W?rde die Klassifikation durch den Staat vorgenommen, h?tte das zwar den Vorteil, dass sie zwingend auf s?mtliche Hotelbetriebe zur Anwendung k?me. Daf?r best?nde die Gefahr einer l?hmenden Verpolitisierung, wie man sie etwa in Frankreich beobachtet. Dort konnten die Normen seit 1982 nicht mehr revidiert werden.
Daf?r k?nnen sich in der Schweiz Hotels, die nicht im Verband sind, mit Sternen schm?cken, die nie jemand ?berpr?ft hat.
In Verbindung mit dem Signet von Hotelleriesuisse sind die Hotelsterne in der Schweiz gesch?tzt - f?r sich allein sind sie markenrechtlich nicht sch?tzbar. Aber man muss sehen: Rund 170 000 von 200 000 in der Schweiz verf?gbaren Hotelbetten befinden sich in Betrieben, die von Hotelleriesuisse klassifiziert werden. Insofern greift unser System sehr gut.