Was Kaspar P. Woker kürzlich beim Einsteigen in einen Zug der BLS (ehemalige Lötschbergbahn) erlebte, wird er so schnell nicht vergessen. Der 71-Jährige plante zusammen mit zwei Freunden eine Velotour ab Ins BE. Um dorthin zu kommen, wollten die drei Männer den BLS-Zug ab dem Hauptbahnhof Bern nehmen.
Der Zug hatte bereits Verspätung, als er im Bahnhof Bern eintraf. Den Passagieren blieb nur wenig Zeit, um einzusteigen. Hektik machte sich breit. Noch während des Einsteigens begann sich die Türe zu schliessen. Auf die Türöffnungsknöpfe zu drücken, nützte laut Woker nichts.
Dann setzte sich der Zug in Bewegung. Woker: «Ich selber war daran, das zweite Velo hochzuheben. Dann realisierte ich, dass der Zug bei halboffener Tür wegfuhr. Ich konnte gerade noch auf den Perron zurückweichen.»
Niemand kontrolliert die Türen
Woker beschwerte sich umgehend bei der BLS. Diese bestätigte ihm, dass die betroffenen Züge des Typs EWIII keine Wegfahrsperre haben. Das heisst: Sie können auch bei offenen Türen abfahren. In diesen Zügen sind auch keine Kondukteure. Niemand kontrolliert also, ob alle Passagiere eingestiegen und die Türen geschlossen sind. Für Kaspar P. Woker, Mitglied der Kundenorganisation Pro Bahn, ist das ein unhaltbarer Zustand.
Die BLS wiegelt gegenüber dem K-Tipp ab: Es seien «aus den letzten Jahren keine Zwischenfälle bekannt, bei denen Fahrgäste zu Schaden gekommen sind».
Eine Kontrolllampe im Führerstand signalisiere dem Lokführer, dass alle Türen geschlossen seien. Weshalb der Zug im Fall von Kaspar P. Woker trotzdem mit offenen Türen losfuhr, sei «im Nachhinein schwierig zu beurteilen». Eine Störung am Zug habe nicht festgestellt werden können.
Auch bei den SBB sind im Fernverkehr noch mehrere Zugstypen ohne automatische Wegfahrsperre unterwegs, so zum Beispiel die ICN- und IC2000-Züge. Es seien keine Fälle bekannt, bei denen Lokführer trotz leuchtender Türtaste losgefahren sind, sagt SBB-Sprecher Oli Dischoe. Aber: «Aufgrund von technischen Störungen oder Fehlfunktionen gibt es vereinzelte Fälle von Zügen, die mit offenen Einstiegstüren fahren.»
ICN und IC2000 auch ohne Wegfahrsperre
Die Züge ohne Wegfahrsperre verkehren mit dem Segen des Bundes. Zum konkreten BLS-Fall schreibt das Bundesamt für Verkehr auf Anfrage: «Die EWIII-Wagen wurden durch die BLS von den SBB übernommen und 2004 umgebaut. Die heute übliche Fahrsperre war zu diesem Zeitpunkt noch nicht gefordert.» Dennoch sieht das Bundesamt keinen Grund, einzugreifen: «Es ist Sache des Bahnunternehmens, die Sicherheit seiner Fahrzeuge einzuschätzen und notwendige Verbesserungen anzustossen.»
Die BLS will nun neue Züge beschaffen, die die alten EWIII-Wagen ab 2021 ablösen sollen. Ein Teil der SBB-Züge dagegen, etwa der ICN und der IC2000, werden laut Dischoe noch rund 30 Jahre in Betrieb sein.