Zwölf Kilometer misst die Langlaufstrecke, die über den Silser-, Silvaplaner- und Champfèrersee führt. «Sobald die Eisfläche auf den Seen tragfähig ist, werden wunderbare Loipen in das glitzernde Weiss gespurt», wirbt das Engadin für die Strecke.
Unter dem Eis endet die heile Welt. Laut dem kantonalen Amt für Jagd und Fischerei Graubünden werden bis zu 80 Prozent weniger Fische gefangen als vor zwanzig Jahren.
Der kantonale Fischereiverband ist alarmiert. «Vergiften Langläufer unsere Fische?», fragte Präsident Radi Hofstetter in der Zeitschrift «Bündner Fischer». Denn in vielen Skiwachsen stecken giftige Fluorverbindungen. Sie machen Ski wasserabweisend und verbessern die Gleitfähigkeit im Schnee.
Doch mit der Schneeschmelze gelangt das Gift ins Wasser. Radi Hofstetter: «Schon wenige Mikrogramm pro Liter Wasser können Jungfische töten.» Beim Menschen gefährden die Substanzen die Fortpflanzung und können Krebs verursachen. Sie bauen sich weder in der Umwelt noch im Körper ab. Laut dem Bundesamt für Umwelt bleiben diese Fluorverbindungen länger in der Umwelt als jeder andere von Menschen hergestellte Stoff: «Selbst wenn ab morgen keine solchen Substanzen mehr verwendet würden, wären sie in der Umwelt und in Menschen noch über Generationen hinweg vorhanden.»
Schweiz hinkt mit Verbot hinterher
Eine Stichprobe des K-Tipp bestätigt die Befürchtung der Bündner Fischer. Ein Labor untersuchte 44 Fische und fand in 13 Tieren Perfluoroctansäure (siehe Tabelle im PDF). Der Stoff mit der Abkürzung PFOA ist eine der gefährlichsten Fluorverbindungen. Die Europäische Chemikalienverordnung hat sie bereits 2013 als «besonders besorgniserregende Chemikalie» eingestuft. In der EU ist PFOA seit Juli 2020 verboten. In der Schweiz gilt das Verbot erst ab kommendem Juni.
Am schlimmsten ist die Situation im Silsersee: Fast jeder zweite Fisch wies PFOA auf. Beim Silvaplanersee enthielt jedes vierte Tier PFOA, beim Champfèrersee jedes fünfte. Die nachgewiesenen Mengen lagen zwischen 0,5 und 2,68 Milligramm PFOA pro Kilogramm Innereien. Das Labor prüfte auch drei Fische aus dem Lago Bianco. Der Stausee am Berninapass liegt fern von Langlaufloipen. Keines der Tiere wies Spuren von PFOA auf.
Für Fischereipräsident Hofstetter ist klar, woher das Gift stammt: «Ausser PFOA wurde keine andere Fluorverbindung in den Fischen gefunden. Dieser Stoff ist in den Fluorwachsen der Langläufer enthalten.» Die Proben aus dem Lago Bianco würden den Zusammenhang mit dem Skisport bestätigen.
Der Silsersee ist laut Hofstetter deshalb am stärksten belastet, weil die Langläufer am Start des Engadiner Marathons ihre Ski direkt auf dem gefrorenen See wachsen. «Naturgemäss bleibt auf dem ersten Kilometer am meisten Abrieb liegen.»
«Die Werte sind extrem hoch»
Umwelttoxikologin Joëlle Rüegg von der Uni Uppsala in Schweden hält die Annahme, dass das PFOA in den Fischen vom Skiwachs stammt, «für gerechtfertigt». Die nachgewiesenen Werte bezeichnet sie als «extrem hoch». Studien würden zeigen, dass sich solche Mengen auf die Fortpflanzung der Fische auswirken können – und damit auf die Bestände. Rüegg rät davon ab, solche Fische zu essen: «Es könnte zusammen mit anderen PFOA-Quellen zum Gesundheitsrisiko werden.»
Für das kantonale Amt für Jagd und Fischerei Graubünden lassen die Laborergebnisse hingegen «keine vertieften Interpretationen» zu.
Wachshersteller Toko gibt keine Auskunft
Das Unternehmen Toko aus Altstätten SG stellt seit über 100 Jahren Skiwachse her. Auf seiner Website schreibt Toko: «Wir schützen die Natur, weil wir sie lieben.» Der K-Tipp fragte nach, seit wann Toko die schädlichen Auswirkungen von PFOA kennt und welche Mengen Skiwachs mit PFOA noch im Schweizer Handel sind. Die Firma gab keine Auskunft.
Die Gefahr ist auch mit einem Verbot von PFOA nicht gebannt. Gemäss dem Bundesamt für Gesundheit verwenden Hersteller von Skiwachs andere Fluorverbindungen, für die das Gesetz keine Grenzwerte nennt. Auch diese seien «eine Gefahr für die Gesundheit und Umwelt». Trotzdem sperrt sich der Bundesrat gegen ein Verbot.
Immerhin: Der internationale Ski-Verband untersagt ab der Saison 2021/22 fluorhaltige Skiwachse im Profisport.