Snacks mit Nervengift
Ein Labor-Test hat gezeigt: Der bedenkliche Stoff Acrylamid ist auch in Knabber-Snacks enthalten. Am stärksten belastet waren die Bio-Chips von Coop.
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K-Tipp 8/2003
23.04.2003
Patrick Gut - pgut@ktipp.ch
Acrylamid gilt nicht nur als krebsauslösend; der Stoff wirkt beim Menschen erwiesenermassen auch als Nerven-gift und erbgutschädigend. Gründe genug also, um die Belastung möglichst tief zu halten.
Studien haben ergeben, dass eine Person mit der täglichen Nahrung rund 10 Mikrogramm von der gefährlichen Substanz zu sich nimmt. Nicht mitgerechnet sind dabei Produkte aus Kartoffeln. Und gerade diese haben es in sich: Rösti, Bratkartoffeln, Pommes frites und Pommes Chips gehöre...
Acrylamid gilt nicht nur als krebsauslösend; der Stoff wirkt beim Menschen erwiesenermassen auch als Nerven-gift und erbgutschädigend. Gründe genug also, um die Belastung möglichst tief zu halten.
Studien haben ergeben, dass eine Person mit der täglichen Nahrung rund 10 Mikrogramm von der gefährlichen Substanz zu sich nimmt. Nicht mitgerechnet sind dabei Produkte aus Kartoffeln. Und gerade diese haben es in sich: Rösti, Bratkartoffeln, Pommes frites und Pommes Chips gehören nämlich zu den grössten Acrylamid-Lieferanten (siehe Kasten unten).
Der K-Tipp wollte wissen, wie stark Kartoffel-Snacks tatsächlich mit Acrylamid belastet sind. Bei Migros, Coop, Denner und Carrefour wurden 12 unterschiedliche Produkte eingekauft und ins Naturwissenschaftliche Forschungs- und Untersuchungslaboratorium Nafu in Berlin gesandt. Das Nafu-Labor ist unter anderem auf die Analyse von Acrylamid spezialisiert.
Zum Vergleich liess der K-Tipp 6 Snacks aus Mais analysieren. Resultat: Die Mais-Snacks enthielten ausnahmslos weniger von dem problematischen Stoff als die Kartoffel-Produkte.
«Im Mais kommt die Aminosäure Asparagin generell in viel geringerem Masse vor als in Kartoffeln», sagt Konrad Grob, Acrylamid-Spezialist des Kantonalen Labors Zürich. Acrylamid entsteht durch Zersetzung von Asparagin. Am Prozess beteiligt sind die Zucker Fructose und Glucose. Damit man nicht Äpfel mit Birnen vergleicht, wurde dieser Umstand bei der Bewertung berücksichtigt (siehe Kasten).
Deutlich höher belastet als die Mais-Snacks sind allerdings die Kartoffel-Produkte im Test. Durchschnittlich fand das Labor in den 12 Snacks 572Mikrogramm pro Kilogramm (µg/kg).
Mitte Mai letzten Jahres lagen die Konzentrationen bei den Messungen des Kantonalen Labors Zürich meist deutlich über 1000 µg/kg. Grob: «500 Mikrogramm pro Kilo ist von der Produktion her zwar eine gute Leistung - was die Belastung angeht, ist das aber immer noch ein hoher Wert.» Zum Vergleich: «Wenn jemand zu Hause mit jetzt erhältlichen Kartoffeln Chips frittieren würde, läge die Belastung im Bereich von 10 000 Mikrogramm pro Kilo», so Grob.
Ob die tieferen Werte nur mit verbesserten Produktionsmethoden zu tun haben, ist indes unklar. «Die heikle Zeit für die Produzenten beginnt erst jetzt», sagt Grob. «Momentan kommen nämlich Kartoffeln in die Produktion, die relativ lange gelagert wurden.» Falls durch Kälte oder Auskeimen der Zuckergehalt der Kartoffeln angestiegen sei, werde sich das durch mehr Acrylamid niederschlagen.
Schwierigkeiten mit Bio-Kartoffeln
Den höchsten Wert im Test wiesen ausgerechnet die Bio-Pommes-Chips von Coop auf. Dieses Produkt wird von Marktleader Zweifel produziert. «Vergleiche, die auf einem einzelnen Messresultat basieren, sind zu wenig aussagekräftig», sagt Pietro Realini, Leiter Qualitätssicherung und Entwicklung bei Zweifel. Bei eigenen Messungen hätten die Bio-Chips den tiefsten Acrylamid-Gehalt aufgewiesen. Das Testresultat des K-Tipp sei «rein zufällig und nicht stichhaltig».
«Rein zufällig» dürften die hohen Werte bei den Kartoffel-Bio-Chips kaum sein. «Die Industrie kämpft bei den Bio-Sorten mit besonders grossen Schwierigkeiten. Ihr höherer Zuckergehalt wirkt sich negativ auf die Acrylamid-Menge aus», sagt Fachmann Grob.
Eine weitere Erklärung liefert Bio Suisse, die das Produkt mit der Knospe ausgezeichnet hat. «Je tiefer die Lagertemperatur, desto mehr Acrylamid kann sich bilden.» Kartoffeln für die Chips-Produktion werden daher nie unter 8 °Celsius gelagert. Nachteil: Bei dieser Temperatur keimen die Kartoffeln bereits aus. Und dies erhöht den Zuckergehalt.
Bei nicht-biologischen Kartoffeln werden verschiedene chemische Keimhemmer eingesetzt. Bei Bio-Kartoffeln sei dagegen einzig das weniger wirksame Kümmelöl zugelassen.
Coop äussert sich nicht zu einzelnen Testergebnissen. Coop-Sprecher Jörg Birnstiel hält jedoch fest: «Zurzeit läuft sehr viel, um den Acrylamid-Gehalt zu reduzieren; daher ist es weder sinnvoll noch aussagekräftig, einzelne schlechtere Werte gegen bessere auszuspielen.»
Was den Zusammenhang zwischen Acrylamid-Aufnahme und Krebs-Risiko angeht, herrscht momentan grosse Verunsicherung. «Die Schätzungen reichen von 10 bis 1000 Krebsfällen pro Jahr alleine in der Schweiz. In dieser Bandbreite ist alles denkbar», sagt Konrad Grob vom Zürcher Kantonslabor.
Für den Chemiedirektor des chemischen Untersuchungsamts Hagen, Christian Gertz, ist die Diskussion zu einseitig auf die krebsauslösende Wirkung von Acrylamid ausgerichtet. Gemäss Gertz wirkt Acrylamid beim Menschen erwiesenermassen als Nervengift und erbgutschädigend. «Aus diesem Grund muss die Belastung so niedrig wie möglich gehalten werden.»
Mehr Fett als auf der Packung angegeben
Neben dem Acrylamid liess der K-Tipp im Labor auch den Fettgehalt der Snacks messen. Viele Hersteller halten den deklarierten Wert nicht ein. Mit 18 Prozent mehr Fett als auf dem Chips-Sack angegeben war die Abweichung bei den Coop-Bio-Chips nicht mehr akzeptabel. Eine Abweichung unter 15 Prozent wird von den Behörden toleriert (siehe Kasten). Die Bio-Chips wiesen absolut gesehen zudem den weitaus höchsten Fettanteil der getesteten Produkte auf. Zur grossen Abweichung nahm Zweifel keine Stellung.
Ungenügend war in diesem Prüfpunkt ein zweites Produkt: die Tortilla-Chips von Denner. Sie wiesen nicht zu viel, sondern deutlich zu wenig Fett auf. Die Nacho Chips aus der Migros waren mit 14 Prozent mehr Fett als deklariert gerade noch genügend. Migros-Sprecher Urs-Peter Naef: «Gemäss unserem Lieferanten beträgt der Fettgehalt tatsächlich 26 Prozent. Wir werden den Fehler auf der Verpackung schnellstmöglich korrigieren.»
Es geht auch mit weniger Fett
Mit lediglich 8,4 Prozent wiesen die Cractiv Snacks von Zweifel auffallend wenig Fett auf. Der Grund: Dieser Snack wird nicht in Öl frittiert, sondern in einem Kessel mit extrem heisser Luft hergestellt. «Die 8 Prozent Fett stammen zum Teil aus dem Mehl. Zudem sprühen wir ganz wenig Öl auf, damit das Gewürz am Produkt haftet», sagt Zweifel-Entwicklungschef Realini.
Bei diesem Snack wird also nachträglich etwas Fett aufgesprüht. Genau umgekehrt funktioniert die Produktion bei den fettreduzierten Pommes Chips von Zweifel (nicht im Test). «Hier wird zuerst frittiert und dann mit heissem Dampf entfettet.» So erreiche man eine Reduktion des Fettgehaltes um 33 Prozent.
Zusätzlich untersuchte das Labor im Auftrag des K-Tipp die Snacks auf ETU und PTU. Bei diesen beiden Stoffen handelt es sich um Abbauprodukte bestimmter Fungizide, die weltweit im Obst-, Gemüse- und Weinbau eingesetzt werden. ETU und PTU haben sich im Tierversuch als krebserregend herausgestellt.
Das Kantonale Labor Zürich analysierte in den vergangenen Jahren immer wieder zahlreiche Proben auf ETU und PTU. Dabei wurde das Labor besonders bei Kartoffel-Snacks fündig. Während in der Schweiz noch kein Höchstwert festgelegt wurde, gilt in Deutschland eine Höchstmenge von 50 µg/kg. Das Nafu-Labor fand in keiner einzigen Probe Mengen, die über diesem Wert liegen.
Kartoffeln am stärksten belastet
Der Acrylamid-Spezialist des Kantonalen Labors Zürich, Konrad Grob, führt eine Liste, die typische Durchschnittsbelastungen in Mikrogramm (µg) durch Acrylamid aufzeigt:
- 1 Tasse Kaffee - 2 µg
- 150 g Brot (30 µg/kg) - 5 µg
- 30 g Knäckebrot (500 µg/kg) - 15 µg
- 50 g Müesli (300 µg/kg) - 15 µg
- 250 g Pommes frites (500 µg/kg) - 125 µg
- 50 g Pommes Chips (700 µg/kg) - 35 µg
- 300 g Rösti, Bratkartoffeln (2000 µg/kg) - 600 µg
Eine Liste mit weiteren Acrylamid-Werten gibts unter: www.munlv.nrw.de
So hat der K-Tipp die Snacks bewertet
- Acrylamidgehalt
Der Acrylamidgehalt hängt wesentlich vom Ausgangsmaterial ab. Der K-Tipp bewertet Kartoffel- und MaisSnacks deshalb getrennt.
Mais-Snacks: Der am stärksten belastete Mais-Snack enthält immer noch weniger Acrylamid als der am wenigsten belastete Kartoffel-Snack. Die Mais-Snacks erhielten deshalb beim Acrylamid-Gehalt mindestens eine genügende Punktzahl.
Kartoffel-Snacks: Für den Durchschnittswert (572 Mikrogramm/Kilogramm) gabs hier 60 Punkte (genügend). Das Punktemaximum hätte ein Kartoffel-Produkt mit 300 µg und weniger Acrylamid pro Kilo erhalten.
- Abweichung des Fettgehaltes
Bei vier Snacks im Test ist der Fettanteil nicht deklariert. «Die Nährwertkennzeichnung ist freiwillig», sagt denn auch Erhard Walter, stellvertretender Kantonschemiker des Kantons Bern. Wer aber deklariere, müsse das korrekt tun. Wünschenswert wäre eine Deklaration des Fettgehaltes allemal. Allerdings muss dann die vollständige Nährwertangabe vorgenommen werden. Der K-Tipp beurteilte Produkte ohne Nährwertangabe als gerade noch genügend und gab 60 Punkte.
Rechtlich zu beanstanden, ist aber nicht eine fehlende, sondern eine falsche Deklaration. Der Konsument könnte so in die Irre geführt werden. Gemäss Erhard Walter gibt es für Abweichungen Richtlinien der Kantonschemiker und des Handels. Demnach ist eine Abweichung bis 15 Prozent bei einem Fettgehalt von mehr als 30 Gramm pro 100 Gramm noch tolerierbar. Im K-Tipp-Test gibts für eine Abweichung von 15 Prozent daher 60 Punkte.
Obschon die Abmachung für Fettgehalte unter 30 Prozent den Herstellern gegenüber grosszügiger ist, wandte der K-Tipp diesen Massstab auf sämtliche Produkte im Test an.
Beeinflusst die Angst vor Acrylamid in Chips und anderen Lebensmitteln Ihr Konsumverhalten?
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