Von 1996 bis 2017 stieg die mittlere Krankenkassen-Jahresprämie pro Person von 1539 auf 3605 Franken. Das zeigt die Krankenversicherungsstatistik des Bundesamts für Gesundheit. Zudem zahlen Schweizer sehr viel aus dem eigenen Sack, wenn sie einmal krank werden. Das geht aus dem jüngsten Gesundheitsbericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervor. Danach liegt die Schweiz mit einer privaten Kostenbeteiligung von 5,3 Prozent des durchschnittlichen Haushaltsbudgets an der Spitze aller 36 Mitgliedsländer. Der OECD-Mittelwert liegt bei 3 Prozent.
Angesichts dieser hohen Selbstbehalte erstaunt es nicht, dass Schweizer europaweit am zweitwenigsten zum Arzt gehen. Nur die Schweden suchen noch seltener eine Arztpraxis auf.
Trotzdem entschied die Mehrheit des Nationalrates im vergangenen Jahr gleich zweimal, die Prämienzahler und die Patienten noch stärker zur Kasse zu bitten. Im November hiess er eine Gesetzesänderung gut, wonach die Krankenkassenfranchisen künftig bei steigenden Krankheitskosten automatisch erhöht würden. Die Vorlage hätte zur Folge, dass die Versicherten regelmässig mehr aus dem eigenen Sack an ihre Krankheitskosten zahlen müssten. Konkret sollen sich die Franchisen in Zukunft jeweils automatisch um 50 Franken erhöhen, wenn die Pro-Kopf-Kosten der Grundversicherung die Mindestfranchise um einen bestimmten Prozentsatz überschreiten. Einzig die Franchisen für Kinder wären von diesem Mechanismus ausgenommen.
Höhere Franchisen senken Kosten nicht
Bundesrat Alain Berset hatte vergeblich versucht, den Nationalräten klarzumachen, dass mit der automatischen Franchisenerhöhung keine Kosten gespart werden können: Die bisherigen Erfahrungen hätten widerlegt, dass sich eine höhere Franchise mässigend auf den Konsum medizinischer Leistungen auswirke. Trotzdem winkte der Nationalrat die Vorlage mit 133 zu 53 Stimmen durch. Im März ist der Ständerat am Zug.
Die kleine Kammer wird sich dann noch mit einer zweiten Franchisenvorlage befassen. Ihr Ziel: Wer sich für eine höhere Franchise als die minimalen 300 Franken entscheidet, soll künftig diese Wahlfranchise während drei Jahren behalten müssen. Das soll verhindern, dass Versicherte zum Beispiel wegen einer bevorstehenden Operation zur Minimalfranchise wechseln. Der Nationalrat hat im vergangenen November auch diesem neuen Gesetz gegen den geschlossenen Widerstand von SP und Grünen zugestimmt.
«Franchisehüpfer» gibt es kaum
Der Bundesrat hält auch diese Dreijahresverpflichtung für unnötig. Nach seinen Berechnungen sind nur 0,17 Prozent der Versicherten «Franchisehüpfer». Das maximale Sparpotenzial betrage deshalb gerade mal 5 Millionen Franken im Jahr. Wenn es denn überhaupt zu Einsparungen kommt: Laut Bundesrat könnten nämlich viele Versicherte, die heute eine höhere Franchise haben, wegen der Dreijahresverpflichtung zur Minimalfranchise wechseln, «was sich nachteilig auf die Kosten der obligatorischen Krankenversicherung auswirken würde». Im Klartext: Es entstünden Mehrkosten, die je nach Anzahl der zur Minimalfranchise wechselnden Versicherten bis zu einigen Hundert Millionen Franken betragen könnten.
Taktgeber hinter den beiden Gesetzesvorlagen sind die Krankenkassen. Die Vorlage zur automatischen Franchisenerhöhung geht zurück auf einen Vorstoss von Ständerat Ivo Bischofberger (CVP/AI). Er ist Mitglied der «Groupe de réflexion», einer Lobbyorganisation der Walliser Krankenkasse Groupe Mu-
tuel. Der Gruppe gehören zwei weitere Ständeräte sowie sechs Nationalräte an – aus SVP, CVP, FDP und BDP sowie ein Parteiloser.
Der Zwang zu einer dreijährigen Franchise geht auf eine parlamentarische Initiative von Roland F. Borer (SVP/SO) aus dem Jahr 2015 zurück. Er war ebenfalls Mitglied der Groupe de réflexion. Nach dem Ausscheiden Borers aus dem Parlament übernahm Heinz Brand (SVP/GR) den Vorstoss. Er ist Präsident des Krankenkassenverbands Santésuisse.
Parlamentarier im Sold der Krankenkassen
Zahlreiche National- und Ständeräte haben teils gut bezahlte Jobs bei Krankenkassen – einige Beispiele
Lorenz Hess, Nationalrat (BDP/BE)
Der Berner BDP-Nationalrat Lorenz Hess ist Verwaltungsratspräsident der Krankenkasse Visana. Jahresgehalt gemäss Geschäftsbericht: 107 200 Franken.
Ruth Humbel, Nationalrätin (CVP/AG)
Die Aargauer CVP-Nationalrätin Ruth Humbel ist Verwaltungsrätin der Krankenkasse Concordia. Dafür erhält sie laut Geschäftsbericht rund 40 000 Franken jährlich.
Roland Eberle, Ständerat (SVP/TG)
Der Thurgauer SVP-Ständerat Roland Eberle ist Vize-Verwaltungsratspräsident von Groupe Mutuel und erhält dafür 90 000 Franken pro Jahr.
Josef Dittli, Ständerat (FDP/UR)
Der Urner FDP-Ständerat Josef Dittli ist Präsident des Krankenkassenverbands Curafutura. Sein Jahresgehalt beträgt 140 000 Franken.
Ulrich Giezendanner, Nationalrat (SVP/AG)
Der Aargauer SVP-Nationalrat Ulrich Giezendanner ist Vize-Verwaltungsratspräsident der KPT und kassiert dafür gemäss Geschäftsbericht jährlich rund 84 000 Franken.