Der Mechanismus ist schnell erklärt: Treten Frau und Mann vor den Traualtar, werden ihre Einkommen künftig zusammengezählt besteuert. Wegen der Progression kommt dann ein höherer Steuersatz zur Anwendung, sodass beide mehr Steuern zahlen müssen als vor der Heirat.
Fair findet das niemand. Die CVP als selbst ernannte Familienpartei witterte die Chance, daraus politisches Kapital zu schlagen. Mit ihrer Volksinitiative «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» verlangt sie, die Ehe dürfe «gegenüber anderen Lebensformen nicht benachteiligt werden, namentlich nicht bei den Steuern und den Sozialversicherungen» (siehe Kasten). Die Initiative kommt am 28. Februar zur Abstimmung.
Ehepaare: Belastung oft 10 Prozent tiefer
Im Parlament erntete sie viel Kritik. Und was die Initiative punkto Steuergerechtigkeit fordert, wurde vom Bundesgericht schon vor mehr als 30 Jahren verfügt. 1984 hielt es in einem richtungsweisenden Urteil unter anderem fest: Ehepaare dürfen steuerlich nicht stärker belastet werden als Konkubinatspaare. Eine Mehrbelastung von über 10 Prozent bezeichneten die Richter als verfassungswidrig.
In der Folge passten die meisten Kantone ihre Steuergesetze an – etwa durch neue Abzüge, Splitting und separate Tarife für Verheiratete, die deren Belastung senkten. Inzwischen zahlen nur noch in der Waadt und im Aargau Ehepaare mit tiefen Einkommen über 10 Prozent mehr Steuern als Konkubinatspaare, wie das Finanzdepartement des Bundes letzten Sommer in einem Bericht festhielt. Und: «Die Ehepaare erweisen sich oft sogar als begünstigt mit einer Steuerbelastung, die je nach Einkommenshöhe und -verteilung über 10 Prozent tiefer sein kann als bei ledigen Paaren mit den gleichen Einkommen.»
Diese Befunde werden gestützt durch eine 2014 vorgelegte Studie der Eidgenössischen Steuerverwaltung. Sie vergleicht die Belastung von verheirateten und ledigen Zweiverdienerpaaren ohne Kinder durch die Einkommenssteuern von Kanton, Gemeinde und Kirche (siehe Tabellen Einkommensaufteilung 70/30 und Einkommensaufteilung 50/50). Die Zahlen beziehen sich auf die Kantonshauptorte, sind laut Studie «in der Regel aber auf die anderen Gemeinden des Kantons übertragbar». Dabei zeigt sich:
- Tragen beide Partner gleich viel zum gemeinsamen Verdienst bei, zahlen Ehepaare mit einem Bruttoeinkommen zwischen 60 000 und 120 000 Franken jeweils in höchstens 8 der 26 Kantone mehr Steuern als Konkubinatspaare – und auch dort kaum je über 10 Prozent mehr.
- Letzteres gilt auch, wenn sich das Paareinkommen im Verhältnis 70:30 zusammensetzt. In diesem Fall gibt es, bezogen auf Bruttoeinkommen zwischen rund 57 000 und zirka 115 000 Franken, die Heiratsstrafe gar nur in jeweils maximal 3 der 26 Kantone.
Bundessteuer: «Strafe» für 80 000 Ehepaare
Mit anderen Worten: Fürs Heiraten wird man heute in den meisten Kantonen steuerlich eher belohnt als bestraft. Das wird besonders deutlich, wenn man aufzeigt, wie stark sich die Steuerbelastung eines Alleinstehenden durch Heirat reduziert (siehe Tabelle rechts).
Mehr Gewicht hat die Heiratsstrafe bei der direkten Bundessteuer. Aber auch nicht allzu viel: Laut Bundesrat sind davon neben Rentnerehepaaren mit mittleren und höheren Einkommen rund 80 000 gut situierte Zweiverdiener-Ehepaare betroffen. 80 000 – das sind nicht einmal 5 Prozent aller Ehepaare in der Schweiz.
Sind sie kinderlos, fahren sie bei der Bundessteuer erst ab einem Bruttoeinkommen von rund 90 000 Franken (Einkommensaufteilung 50:50) bzw. 120 000 Franken (Aufteilung 70:30) schlechter als ledige Paare. Für Ehepaare mit Kindern liegt diese Grenze noch deutlich höher.
Keine gerechte Besteuerung
Ein Ja zur CVP-Initiative würde unter dem Strich also den meisten Ehepaaren nichts bringen – weil sie punkto Steuerbelastung gar nicht benachteiligt sind. Und bei der direkten Bundessteuer, wo die Heiratsstrafe für gut bis sehr gut verdienende Zweiverdiener-Ehepaare noch existiert, steht der Bund ohnehin in der Pflicht, diese Diskriminierung zu beseitigen. Das verlangen Verfassung, Steuerrecht und Rechtsprechung schon heute.
Geht es darum, vom Zivilstand abhängige Begünstigungen und Diskriminierungen bei den Steuern abzuschaffen, wäre die Individualbesteuerung die gerechteste Lösung. Denn werden alle Steuerpflichtigen ohne Rücksicht auf den Zivilstand einzeln besteuert, kann es weder einen Heiratsbonus noch eine -strafe geben. Doch exakt die Individualbesteuerung soll mit der CVP-Initiative verunmöglicht werden: Sie will die Ehe in steuerlicher Hinsicht als «Wirtschaftsgemeinschaft» festschreiben. Auch das hat sie im Parlament viele Sympathien gekostet.
Sozialversicherungen: Vorteil Ehepaare
Auch bei der AHV ortet die CVP eine Heiratsstrafe. Grund: Für Ehepaare gilt die Rentenplafonierung. Das heisst, die Renten der Ehepartner dürfen zusammen nicht mehr betragen als 150 Prozent der maximalen AHV-Einzelrente – also 3525 Franken pro Monat. Ein Konkubinatspaar dagegen kann auf maximal 4700 Franken kommen.
Gemäss Bundesrat bringt die Plafonierung der AHV-Ehepaarrenten Einsparungen von 2 Milliarden Franken pro Jahr. Diesen stehen aber beträchtliche Privilegien für Verheiratete gegenüber – vor allem Beitragserleichterungen und Hinterlassenenleistungen (Witwenrente). Sie kosten die AHV jährlich 2,8 Milliarden Franken, sodass unter dem Strich ein Überschuss von 800 Millionen Franken zugunsten der Ehepaare resultiert.
Schon Ende 2013 wies das Bundesgericht auf die Bevorzugung Verheirateter gegenüber Konkubinatspaaren bei AHV und IV hin. Auch bei Pensionskasse, Unfall- und Militärversicherung würden Ehepaare speziell geschützt und gegenüber anderen Versicherten privilegiert.
Das höchstrichterliche Fazit: «In einer Gesamtbetrachtung der Sozialversicherungen finden sogar Solidaritätsflüsse von den unverheirateten zu den verheirateten Paaren statt.» Da erstaunt es nicht, dass der Bundesrat in seiner Botschaft zur CVP-Initiative «bei den Sozialversicherungen keinen Handlungsbedarf» sieht.