Eine Managerin aus Zürich erleidet eine Depression. Sie verliert die Arbeit, braucht das Ersparte auf und wird von der Sozialhilfe abhängig. Später erhält sie eine IV-Rente – rückwirkend für die drei Jahre zuvor. Mit dem Geld zahlt die Frau die Sozialhilfe zurück und begleicht die dringendsten Schulden. Kurz darauf verlangt das Steueramt zusätzliche Steuern von 4750 Franken für die Rente. Die Frau hat aber kein Geld, um diese zu bezahlen.
Ein ehemaliger Bauarbeiter aus dem Thurgau lebt nur von einer AHV-Rente. Die Steuerrechnung von 1700 Franken kann er damit nicht begleichen.
10 Prozent der Bevölkerung betroffen
Die zwei Fälle aus der Rechtsberatung des K-Tipp zeigen: Viele Leute haben kein Geld für ihre Steuern. Laut dem Bundesamt für Statistik leben 10 Prozent der Bevölkerung in einem Haushalt, der die Steuern nicht zahlen kann. Rund 20 Prozent aller Betreibungen betreffen Steuerschulden. Das zeigt eine Studie im Auftrag der Basler Schuldenberatung Plusminus aus dem Jahr 2016.
Ein möglicher Ausweg ist ein Steuererlass. Betroffene können beim Steueramt kostenlos die Streichung der Schuld beantragen. Die Anforderungen sind allerdings streng: Ämter gewähren den Erlass nur bei einer finanziellen Notlage, also wenn die Schuld viel höher ist als das, was die Person zum Leben hat. Das ist unter anderem dann der Fall, wenn jemand seine Ausgaben auf das Existenzminimum beschränkt, aber die Steuern trotzdem nicht innert zwei bis drei Jahren zahlen kann (siehe unten).
Nur wenige Steuerschuldner reichen ein Steuererlassgesuch ein, wie eine Umfrage bei 20 deutschsprachigen Kantonen ergab. Am meisten Gesuche gibt es im Kanton Basel-Stadt. Dort reichen jedes Jahr im Schnitt 2,4 Prozent der Steuerpflichtigen ein Erlassgesuch ein. Am wenigsten Gesuche gibt es im Thurgau (0,1 Prozent).
Die Chancen, dass ein Gesuch gutgeheissen wird, sind relativ hoch: Die Kantone Basel-Stadt, Basel-land und Solothurn genehmigen rund einen Drittel der Gesuche. In den Kantonen Aargau, Bern, St. Gallen und Thurgau sind es rund die Hälfte.
In Schaffhausen sind sogar rund 80 Prozent der Anträge erfolgreich. Andreas Wurster, Dienststellenleiter der Steuerverwaltung des Kantons Schaffhausen, erklärt das so: «Bei einem erheblichen Anteil handelt es sich um jährlich wiederkehrende Gesuche. Die Gesuchsteller leben oftmals in einem Alters- oder Pflegeheim und beziehen Ergänzungsleistungen.» Bei diesen Anträgen könne regelmässig ein Erlass gewährt werden. Ähnlich sieht es in den Kantonen Nidwalden, Zug und Zürich aus. Hier werden rund 60 Prozent der Gesuche gutgeheissen.
Notlage darf nicht selbst verschuldet sein
Lorenz Bertsch, Bereichsleiter Sozial- und Schuldenberatung Caritas St. Gallen-Appenzell, sagt: «Kommt es bei Wenigverdienern zu einem Schicksalsschlag, sind Steuerschulden oft programmiert.» Bei einer Krebserkrankung, Scheidung oder einem Unfall, breche der Lohn ein und man gebe rasch mehr aus, als man verdiene. Aber: «Wenn man die Situation verständlich aufzeigt, hat man gute Chancen auf einen Erlass.»
Doch nicht alle, die in einer finanziellen Notlage sind, erhalten einen Steuererlass. Beispiele:
Steuerschuldner dürfen ihr Geld nicht leichtsinnig ausgegeben haben. Das Bundesverwaltungsgericht verweigerte beispielsweise einer Frau den Erlass, die ihr ganzes Vermögen in einen Hedgefonds investiert und verloren hatte. Da der Fonds hochspekulativ war, habe die Frau die Notlage selbst verschuldet.
Ein Hausbesitzer muss sein Eigentum erst verkaufen, bevor er den Steuererlass gewährt bekommt. Das entschied das Steuergericht Baselland 2016.
Steuerämter verlangen bei weiteren Schulden, dass alle Gläubiger ihre Forderung im gleichen Mass reduzieren. Sonst verweigern sie den Erlass. Das Bundesgericht hat diese Praxis mehrfach bestätigt, zuletzt mit einem Urteil vom April 2018.
Begründung: Der Schuldner löse sein Problem nicht, wenn lediglich das Steueramt auf eine Forderung verzichte. Das Ziel eines Steuererlasses sei eine dauerhafte Lösung.
So reichen Sie ein Steuererlassgesuch ein
Vor einem Antrag lohnt sich eine Anfrage bei der Steuerverwaltung oder einer Schuldenberatung.
Sie müssen das Gesuch schriftlich beim Steueramt einreichen. Je nach Kanton entweder bei der Gemeinde oder bei der Kantonsverwaltung.
Die meisten Kantone haben ein Formular oder einen Fragebogen zu Ihren persönlichen Finanzen. Sie müssen alles korrekt ausfüllen und Belege wie den Mietvertrag und Rechnungen mitschicken.
Schreiben Sie zudem einen Begleitbrief. Erklären Sie, wie Sie zu den Schulden gekommen sind und was sie tun, um sie abzuzahlen.
Die meisten Kantone lassen das Gesuch erst nach der definitiven Steuerrechnung zu. Warten Sie nicht zu lange: Für Steuerschulden, die bereits betrieben wurden, gibt es keinen Erlass.
Das Antragsverfahren beim Steueramt ist in den meisten Kantonen kostenlos. Bei einem negativen Entscheid können Sie vor Gericht ziehen. Dieses Beschwerdeverfahren ist jedoch kostenpflichtig.
Das Minimum zum Leben
Die Kantone regeln, wie sich das Existenzminimum berechnet. Auf den kantonalen Websites findet man unter «Existenzminimum» die Richtlinien.
Das Existenzminimum beinhaltet einen kantonalen Grundbetrag: Bei Alleinstehenden liegt dieser in der Regel bei 1200 Franken. Dazugerechnet werden Wohnkosten, Krankenkasse und weitere Ausgaben, wie Berufsauslagen und Schulkosten. Einige Kantone akzeptieren auch Steuerschulden als Ausgaben.
Auf der Website der Caritas kann man sein Existenzminimum berechnen: Link über Ktipp.ch/minimum ! Existenzminimum-Test