Rund 1,3 Millionen Menschen in der Schweiz sind gemäss Bundesamt für Umwelt Strassenlärm ausgesetzt, der über dem Grenzwert liegt und längerfristig krank macht.
Kantons- und Gemeindestrassen, bei denen der Lärmgrenzwert überschritten wird, müssen bis Ende März 2018 saniert sein. Das verlangt die Lärmschutzverordnung des Bundes. Und das Umweltschutzgesetz schreibt vor, dass der Lärm an der Quelle bekämpft werden muss – weil er nur hier dauerhaft reduziert wird.
Am einfachsten, kostengünstigsten und effektivsten lässt sich Lärm durch Temporeduktionen senken. Das empfiehlt neben dem Bundesamt für Umwelt auch die Stadt Zürich.
Flüsterbeläge: Wirkung umstritten
Doch Temporeduktionen sind ein Politikum: Von den einen werden sie gefordert, von den anderen als «reine Schikane gegenüber den Autofahrern» bekämpft. «Zum Leidwesen der Lärmgeplagten verlangsamt sich so die Lärmsanierung», ärgert sich Peter Ettler, Jurist und Präsident der Lärmliga, die sich um vom Lärm Betroffene kümmert.
Ein Beispiel dieser Auseinandersetzung aus der Stadt Zürich: In vielen Quartieren gibt es schon Tempo-30-Zonen. Jetzt will die rot-grün dominierte Stadtregierung auch auf einigen Durchgangsstrassen Tempo 30 einführen. Dagegen haben die Verkehrsverbände ACS und TCS Rekurse eingelegt. Die Stadt will zudem auf vielen Strassenabschnitten das Tempo von 60 auf 50 reduzieren. Auch dagegen gab es zahlreiche Rekurse.
Bürgerliche Politiker favorisieren sogenannte Flüsterbeläge, die den Schall schlucken sollen – deren Wirkung ist jedoch im Gegensatz zum Tempo 30 höchst umstritten. Zudem sind sie im Unterhalt sehr teuer. Deshalb sind in der Stadt und im Kanton Zürich noch kaum Flüsterbeläge eingebaut. Der Kanton hat erst in diesem Jahr solche Strassenbeläge zu Testzwecken verlegt.
Auch der Kanton Bern ist Flüsterbelägen gegenüber skeptisch: «Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die lärmreduzierende Wirkung der Beläge mit zunehmender Benutzungsdauer abnimmt und nach wenigen Jahren ganz verloren geht», sagt Kantonsoberingenieur Stefan Studer. Und die Beläge sind im Unterhalt teuer: Sie halten maximal 15 Jahre, normale Beläge dagegen doppelt so lange.
Schallfenster bieten nur punktuell Schutz
Weil Tempo 30 bekämpft wird und neue Beläge wegen hoher Kosten und zweifelhafter Wirkung umstritten bleiben, setzen die Behörden schlussendlich lieber auf den Einbau von Schallschutzfenstern. Das Problem: Der Lärm wird nicht wie vom Bund gefordert dauerhaft an der Quelle bekämpft, sondern nur punktuell. Bei offenen Fenstern ist diese Massnahme wirkungslos.
Das Bundesamt für Umwelt sagt dazu: «Trotz der bisher vorgenommenen Lärmsanierungen sind viele Anwohner weiter schädlichem und lästigem Strassenlärm ausgesetzt. Das ist unbefriedigend.»
Bundesgericht: Alle Mittel ausschöpfen
Das Bundesgericht verlangt nun, dass die Behörden den Lärm maximal reduzieren (Urteil vom 3. Februar 2016): Auf einer Durchgangsstrasse durch die Zuger Altstadt muss jetzt der Kanton, gestützt auf den höchstrichterlichen Entscheid, Tempo 30 prüfen. Der Kanton Zug wollte nur wenige Liegenschaften mit Schallschutzfenstern versehen. Das Bundesgericht sagt aber: «Alle möglichen und zumutbaren Sanierungsmassnahmen müssen ausgeschöpft werden.»
An der Seestrasse in Stäfa ZH will der Kanton Zürich den Lärm ebenfalls alleine durch Schallschutzfenster reduzieren. Dagegen reichten Anwohner eine Beschwerde ein. Der Kanton müsse alle Mittel zur Lärmreduktion ausschöpfen, fordert die Interessengemeinschaft «Kehlhof wird 50». Sie bezieht sich dabei auf das Zuger Bundesgerichtsurteil.