Bis zum Jahr 2020 soll das 6700 Kilometer lange Schweizer Stromübertragungsnetz um rund 300 Kilometer wachsen. Zugleich soll es auf einer Länge von 1000 Kilometern erneuert und teils von 220 auf 380 Kilovolt (kV) Betriebsspannung gebracht werden. Das plant der Bundesrat, gestützt auf Erhebungen der nationalen Netzgesellschaft Swissgrid. Seit 2013 ist sie Alleineigentümerin des schweizerischen Übertragungsnetzes. Es transportiert den Strom mit Hochspannung (380 bzw. 220 kV) von den Kraftwerken zum überregionalen Verteilnetz, aber auch vom Ausland in die Schweiz und umgekehrt.
Fragezeichen hinter Netzausbaupläne
«Viele Anlagen erfüllen die heutigen und zukünftigen Anforderungen nicht mehr und sind oft auch einfach am Ende ihrer Lebensdauer angelangt», begründet die Swissgrid ihre Ausbau- und Modernisierungspläne. Sie gehört zu drei Vierteln verschiedenen Gesellschaften der Schweizer Stromgiganten Axpo, Alpiq und BKW.
Kritische Stimmen wie die Schweizerische Energie-Stiftung setzen hinter die aktuellen Netzausbaupläne ein grosses Fragezeichen. Sie sehen darin einen Kniefall vor den Energiekonzernen und ihrem Ruf nach zusätzlichen Kapazitäten für den grenzüberschreitenden kommerziellen Stromhandel.
Aber auch Landbesitzer entlang dem Übertragungsnetz haben an den Ausbauplänen wenig Freude. Ihnen bläst schon heute ein scharfer Wind ins Gesicht, wenn sie sich gegen Hochspannungsleitungen über oder neben ihrem Grundstück zur Wehr setzen. Zwei Beispiele:
Fall 1: Bauer Patrick Müller
Bauer Patrick Müller ist Besitzer des Talacherhofs im aargauischen Lengnau. Über den Boden seines Milchwirtschaftsbetriebs führt die 380-kV-Leitung Beznau–Breite, die vor dem Übergang an die Swissgrid der Axpo-Tochter Nordostschweizerische Kraftwerke Grid AG (NOK Grid) gehörte.
2009 wollte sie mit Müller einen neuen Durchleitungsvertrag abschliessen. Der ursprüngliche Vertrag von 1959 war abgelaufen. Doch Müller unterzeichnete den neuen Vertrag nicht. Er will, dass zuerst das Kriechstromproblem beseitigt wird, unter dem der Betrieb seines Hofes seit Jahren leidet. Die messbaren Kriechströme in Teilen des Stallgebäudes und in der Melkanlage beeinträchtigen Verhalten, Gesundheit und Milchleistung seiner Kühe deutlich. Alle Massnahmen, etwa eine Änderung des Erdungssystems, brachten bisher wenig bis gar nichts.
Müller muss den Milchwirtschaftsbetrieb aufgeben, wenn das Problem nicht bald gelöst wird. Er bangt um seine Existenz. Klar ist für ihn: An den Kriechströmen ist das Magnetfeld der Hochspannungsleitung schuld. Das hält auch eine Expertise von Professor Adrian Weitnauer, Dozent für Elektrotechnik und Messtechnik an der Hochschule für Technik in Buchs SG, für wahrscheinlich.
Dass ihre Leitung für die Kriechströme auf dem Talacherhof verantwortlich ist, ist für die Swissgrid wie schon für die Vorbesitzerin NOK Grid nicht erwiesen. Seit Frühling 2012 versucht sie, die Durchleitungsrechte auf dem Enteignungsweg zu erlangen. Das Verfahren ist pendent.
Klären liesse sich die Streitfrage mit Kriechstrommessungen bei ausgeschalteter Hochspannungsleitung. Müller fordert solche Messungen schon lange – und darf jetzt sogar ein bisschen hoffen: Gegenüber dem
K-Tipp stellt die Swissgrid in Aussicht, bei einem Ortstermin zu vereinbaren, «ob und wann die Leitung für neue Messungen im Talacherhof ausgeschaltet werden kann».
Fall 2: Hausbesitzer Anton Laube
Die 220-kV-Leitung Niederwil–Obfelden der Swissgrid geht nur rund fünf Meter am Dach des Wohnhauses vorbei, das Anton Laube am Dorfrand von Hermetschwil-Staffeln AG besitzt. Gekauft hatte er die Liegenschaft schlüsselfertig im Jahr 1982. «Damals waren die Gefahren der von den Hochspannungsleitungen erzeugten magnetischen und elektrischen Felder für die Gesundheit noch kein Thema», erinnert sich Laube.
Ganz anders war das 2011, als die damalige Leitungseigentümerin NOK Grid Anton Laube und weiteren Landbesitzern neue Durchleitungsverträge vorlegte. Die ersten Verträge aus den 1950er-Jahren waren zwar schon Ende 2001 abgelaufen, doch die NOK sah damals von einer Verlängerung ab. Denn sie glaubte, die 220-kV-Leitung bald durch eine 380-kV-Leitung auf einem neuen Trassee ersetzen zu können. 2011 dämmerte es auch NOK Grid, dass die neue Leitung wohl noch länger nicht gebaut werden kann. Also startete sie den Versuch, die schon abgelaufenen Verträge doch noch zu erneuern, und zwar bis Ende 2025.
Laube und einige weitere Landbesitzer akzeptierten die neuen Durchleitungsverträge nicht – sie seien schlechter als die früheren Verträge. Die Landbesitzer verwiesen dabei auch auf die Gesundheitsrisiken wegen der Hochspannungsleitung. Die mickrigen Entschädigungssummen, die einige für die Abtretung der Durchleitungsrechte angeboten erhielten, empfanden sie als fast schon zynisch. Bei Anton Laube waren es einmalig Fr. 584.75, in einem anderen Fall noch etwas weniger.
«Die Entschädigungen richten sich nach den anerkannten gemeinsamen Empfehlungen des Verbandes Schweizerischer Elektrizitätswerke und des Schweizerischen Bauernverbandes», sagt die Swissgrid dazu.
Inzwischen sind gegen mehrere der «widerspenstigen» Landbesitzer Verfahren zur Enteignung der Durchleitungsrechte eröffnet worden.
Erdverkabelung kommt nicht voran
- Private Landeigentümer, die Stromdurchleitungsrechte nicht für ein Butterbrot abtreten wollen, finden sich rasch in Enteignungsverfahren wieder. Der K-Tipp kennt diverse Fälle. Mit dem Argument, Stromtransporte und Versorgungssicherheit lägen im öffentlichen Interesse, können Swissgrid & Co. Verfahren veranlassen.
- Weit weniger Konflikte gäbe es, wenn Stromleitungen in den Boden verlegt statt auf Masten geführt würden. Denn bei gut isolierten Erdkabeln ist die Belastung durch Elektrosmog deutlich geringer, so der Physiker Rüdiger Paschotta, Autor des RP-Energie-Lexikons im Internet.
- Inwieweit Erdkabel teurer sind als Freileitungen, hängt stark von der Topografie und der Bodenbeschaffenheit ab. Aufsehen erregte ein Urteil des Bundesgerichts von 2011 zu einer geplanten Hochspannungsleitung bei Riniken AG. Die Richter verwiesen auf die Stromverluste von Freileitungen und kamen zum Schluss: «Die höheren Stromverlustkosten der Freileitung gleichen die höheren Investitionskosten der Kabelanlage weitgehend aus.» Dem widerspricht die Swissgrid allerdings.