Vor einem Jahr schürten Politiker die Angst, dass die Schweiz im Winter zu wenig Strom haben könnte. Die Bevölkerung solle sich Kerzen und Brennholz beschaffen, empfahl der Präsident der Eidgenössischen Elektrizitätskommission Elcom, Werner Luginbühl.
Der Bundesrat beschloss, eine Wasserkraftreserve anzulegen. Die Stromversorger sollten in ihren Stauseen Wasser zurückhalten, um bei einem akuten Engpass Strom an die Schweiz liefern zu können, statt ihn an den Meistbietenden ins Ausland zu verkaufen.
Reserve kostet pro Haushalt 70 Franken
Die Elcom kaufte im Oktober 2022 von 10 Schweizer Firmen 400 Gigawattstunden Strom. Der Preis: rund 280 Millionen Franken. Berappen müssen das die Konsumenten über die Stromrechnung. Rechnet man diesen Betrag auf alle Haushalte in der Schweiz um, kostet die Reserve für den letzten Winter jeden Haushalt im Durchschnitt 70 Franken.
Das ist einer der Gründe dafür, dass die Strompreise 2024 erneut stark ansteigen dürften. Besonders hoch wird der Aufschlag im Aargau sein: Ein Haushalt von durchschnittlicher Grösse muss im nächsten Jahr 432 Franken mehr für den Strom hinblättern.
Recherchen des K-Tipp zeigen: Am meisten Strom kaufte der Bund Alpiq (218 Gigawattstunden), BKW (75 Gigawattstunden) und EWZ (30 Gigawattstunden) ab. Die bezahlten Beträge pro Stromunternehmen wollte die Elcom nicht nennen. Das sei ein Geschäftsgeheimnis. Die Stromunternehmen sind mehrheitlich im Besitz von Kantonen und Gemeinden. Trotzdem wollte keines von ihnen dem K-Tipp sagen, wie viel Geld sie für ihren Reservestrom erhielten.
Sicher ist: Der Bund bezahlte Höchstpreise – im Durchschnitt rund 70 Rappen pro Kilowattstunde. Zum Vergleich: Im Tageshandel kostete Strom an der Pariser Börse EPEX im letzten Winter nur zwischen 10 und 20 Rappen pro Kilowattstunde. Laut Jürg Rohrer von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften verdienten die Stromunternehmen so viel Geld. Sie konnten den Strom im Frühling nochmals verkaufen, weil die Reserve nicht genutzt wurde. Die Firmen verdienten also doppelt. Der geschätzte Zusatzerlös beträgt mindestens 40 Millionen Franken.
Elcom-Geschäftsführer Urs Meister verteidigt sich: Der Bund habe «nicht zu viel bezahlt». Die Preise hätten sich am Terminmarkt orientiert, wo Strom Monate im Voraus gekauft wird. Dort kostete die Kilowattstunde im Oktober 2022 über 70 Rappen. Auch habe die Elcom «Gebote mit ungerechtfertigt hohen Preisen» ausgeschlagen, so Meister. Laut Medienberichten wurde die Axpo daher nicht berücksichtigt.
Auf Anfrage des K-Tipp dementieren die Stromfirmen, hohe Gewinne eingefahren zu haben. Alpiq habe «keine Profitmaximierung betrieben», man habe sogar auf 70 Millionen Franken Einnahmen verzichtet. Trotzdem schrieb Alpiq in der ersten Hälfte dieses Jahres einen exorbitanten Betriebsgewinn von 732 Millionen Franken.
Die BKW schreibt, man habe mit der Wasserkraftreserve «keinen Gewinn» angestrebt. AET gibt zu, dass die Preise bei der Ausschreibung auf einem «historischen Höchststand» lagen. Nur die kleine St. Galler SN Energie bestätigt, sie habe «an der Wasserkraftreserve gut verdient».
Auch nächste Reserve viel zu teuer beschafft
Für den nächsten Winter beschafft sich die Elcom erneut eine Stromreserve. Bis Ende August kaufte sie 317 Gigawattstunden für rund 48 Millionen Franken. Erneut bezahlt die Elcom üppige Preise, pro Kilowattstunde durchschnittlich 15 Rappen. Das ist zwar weniger als im letzten Jahr, aber mehr als der Handelspreis von gut 10 Rappen Ende August. «Die Vergütung ist immer noch sehr hoch», sagt Experte Rohrer. Erneut kassieren die Firmen doppelt, wenn sie den Strom im Frühling verkaufen.
Auch wegen der Winterreserve werden die Haushalte im Jahr 2024 laut dem Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen durchschnittlich über 10 Prozent mehr für den Strom bezahlen müssen.
Infos zum Strompreis der Gemeinden: Strompreis.elcom.admin.ch
«Ein sehr gutes Geschäft für die Stromversorger»
Jürg Rohrer, Professor für erneuerbare Energie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Wädenswil.
Hat der Bund für die Wasserkraftreserve zu viel bezahlt?
Der Bund hat einen exorbitant hohen Preis bezahlt. Es war ein sehr gutes Geschäft für die Stromversorger. Die Entschädigung war ja nur dafür da, dass die Stromfirmen das Wasser zurückhielten. Im Frühling konnten sie die Reserve verkaufen.
Haben die Stromfirmen die Notlage ausgenutzt?
Die Stromversorger haben von ihren Eigentümern – mehrheitlich Kantone – den Auftrag, möglichst hohe Gewinne zu erzielen. Leidtragende sind die Konsumenten, welche die Reserve bezahlen müssen.
Was müsste der Bund ändern?
Er könnte die Firmen dazu verpflichten, eine obligatorische Stromreserve zu halten. Die Schweiz hat schliesslich bereits Pflichtlager für Benzin, Diesel und Heizöl. Dabei werden nur die Lagerkosten vergütet. Das könnte man auch bei der Wasserkraft einführen und würde so Preisexzesse vermeiden. Zudem müsste man diskutieren, welchen Zweck die Stauseen erfüllen sollen: Soll er darin bestehen, den Gewinn im internationalen Stromhandel zu maximieren oder
die Versorgungssicherheit in der Schweiz zu verbessern.