Seit eineinhalb Jahren gilt in der Schweiz ein neues Geldspielgesetz. Die Schweizer Casinos zogen damit das grosse Los: Sie dürfen jetzt in der Schweiz Internet-Casinos betreiben – und zwar exklusiv, denn eine Konzession gibt es nur für Unternehmen mit Sitz in der Schweiz. Zudem dürfen sie für ihre Internet-Geldspiele Reklame machen. Der Zugang zu ausländischen Casino-Websites ist gesperrt.
Von ihrer «Lizenz zur Werbung» machen die Casinos regen Gebrauch. Seit Wochen flimmern in Schweizer Haushalten TV-Spots für alle bereits aktiven Internet-Casinos über die Bildschirme – also für:
Jackpots.ch der Grand Casino Baden AG,
Mycasino.ch der Grand Casino Luzern AG,
Swisscasinos.ch der Casino Zürichsee AG,
Casino777.ch der Casino Davos AG,
Starvegas.ch der Casino Interlaken AG.
Werbung auch auf Zeitungsportalen
Zusätzlich gehen die Casinos mit Radiospots, Newsletters und auf Twitter und Co. auf Kundenfang. Und mit Werbung auf Zeitungsportalen, die kaum als solche erkennbar ist.
So war kürzlich auf Blick.ch unter «Blick-Tipps» folgende Schlagzeile zu lesen: «Jagd nach den Millionen. Im Online-Casino reich werden mit nur einem Klick?» Wer darauf klickte, landete bei einem Beitrag, der sich punkto Schrift und Layout kaum von redaktionellen Texten unterschied. Er versprach den Lesern unter anderem: «Ab sofort kann man im Online-Casino aber auch an den Slots ganz grosse Gewinne einfahren, Millionengewinne, um genau zu sein.» Erst am Schluss folgte der Hinweis, dass es sich bei diesem Text um einen bezahlten Beitrag handelte.
Das zeigt: Die Casinos ziehen alle Register, wenn es darum geht, ihre Internet-Geldspiele bekannt zu machen. Es geht um viel Geld. Konkret um jene 250 Millionen Franken pro Jahr, die laut einer Untersuchung der Uni Bern früher an ausländische Internet-Casinos abflossen.
Dabei heisst es im Geldspielgesetz eigentlich: «Veranstalterinnen von Geldspielen dürfen nicht in aufdringlicher Weise Werbung betreiben.» Allerdings sind mit aufdringlicher Werbung nur etwa «Telefonverkaufsaktivitäten» oder «Verkaufsaktivitäten in Wohnräumen» und «in öffentlichen Verkehrsmitteln» gemeint. Das legt die Verordnung des Bundesrats zum Geldspielgesetz so fest.
Suchtfachleute erstaunt das nicht: Es sei ein offenes Geheimnis, dass sich die Casinos bei der Ausarbeitung von Gesetz und Verordnung in vielen Bereichen durchsetzen konnten. «Sie haben kraftvoll und erfolgreich lobbyiert, um ihre wirtschaftlichen Interessen zu sichern», sagt Christian Ingold vom Zentrum für Spielsucht und andere Verhaltenssüchte in Zürich. Cédric Stortz vom Fachverband Sucht bestätigt: «Verschiedene Suchtfachleute haben mit aller Kraft ihr Fachwissen und ihre Warnungen auch bezüglich Werbung eingebracht. Gehört wurden aber andere.»
Das hat Folgen. Stortz: «Die Werbeoffensive der Casinos untergräbt die Bemühungen der Prävention.» Das ist im Zusammenhang mit Internet-Geldspielen besonders problematisch. Christina Messerli, Therapeutin und Suchtexpertin bei der Stiftung Berner Gesundheit: «Das Risiko, spielsüchtig zu werden, ist bei Online-Spielen etwa sechsmal höher.» Das würden neuere Studien aus der Schweiz und im Ausland klar zeigen. Hauptgrund ist laut den Experten die ständige Verfügbarkeit des Internets. Das mache es Spielern schwerer, sich selbst Grenzen zu setzen. Aber auch Lockvogelangebote wie Bonus- und Freispielofferten seien mitschuldig.
«Leute in Not am meisten gefährdet»
Für die Suchtfachleute steht fest: Die Corona-Krise und die wirtschaftlichen Probleme machen Internet-Casinos noch problematischer. Schon vorher waren laut Christina Messerli Leute mit unsicherer wirtschaftlicher Perspektive am meisten gefährdet, spielsüchtig zu werden. «Diese Gruppe hat sich mit Corona vervielfacht.» Denn Internet-Geldspiele seien für Leute in Not «vergleichbar mit einer Fata Morgana in der Wüste: Sie spiegeln eine rasche Rettung vor».
Die Casinobetreiber halten dagegen: Das Gesetz verlange von ihnen strenge Spielerschutzmassnahmen samt staatlich kontrollierten Schutzkonzepten. Man biete den Kunden diverse Instrumente an, mit denen sie «ihr Spielverhalten verantwortungsvoll gestalten» könnten – etwa einen Test zur Einschätzung des Spielverhaltens oder selbst auferlegte Spielpausen, heisst es bei den Grand Casinos Baden und Luzern. Und: «Wer sich registriert, muss ein Verlustlimit festlegen.»
Ferner stünden den Internet-Casinos technische Möglichkeiten zur Suchtvermeidung zur Verfügung, sagt Jens Sellgrad vom Casino Interlaken. Dazu zählten automatisierte Früherkennungskriterien, die entsprechende Schutzmassnahmen des Casinos auslösen. Letztere «reichen bis zu Spielsperren», sagt Philipp Albrecht vom Grand Casino Luzern.
Wie viele Spieler das Luzerner Casino bislang wegen problematischen Spielverhaltens auf Mycasino.ch sperrte, sagt Albrecht nicht. Offen ist auch, wie viele Internet-Spieler gesamtschweizerisch schon gesperrt wurden. Weder der Casino-Verband noch die Eidgenössische Spielbankenkommission verfügen über entsprechende Zahlen.
Die Casinos halten es aber für unwahrscheinlich, dass ein Spieler nach der Sperre einfach unter anderem Namen und mit einem anderen Computer oder Handy weiterspielt. Denn ohne gültiges Identifikationsdokument und Schweizer Wohnadresse könne niemand ein Spielerkonto eröffnen. Zudem würden Gewinne nur «bei eindeutiger Identifikation» und auf ein Zahlungskonto ausbezahlt, das auf den gleichen Namen lautet wie das Spielerkonto.
Zugeknöpft geben sich die Casinos auf die Frage nach ihren Werbeausgaben für Internet-Geldspiele vor und während der Corona-Krise: Keines war bereit, dem K-Tipp diese Zahlen offenzulegen.