Wann ist ein Kind alt genug für das erste eigene Handy? Die Broschüre «Mein erstes Handy» der Swisscom rät: am besten möglichst früh. «Wenn Eltern warten, bis der Nachwuchs 13 oder 14 ist, dann haben sie eine wichtige Zeit für die Weichenstellung verpasst», heisst es darin. «Im Alter von 7 bis 10 Jahren sind die Kinder empfänglicher für die Lenkung durch die Eltern.»
Tausende Eltern erhalten diese Broschüre über die Schulen ihrer Kinder. Auch der 12-jährige Laurin, Sohn von Michaela Sauer aus Zuoz GR, brachte sie nach Hause. Das führte in der Familie zu Konflikten: Gemäss Swisscom sind für 12-Jährige zwei Stunden Bildschirmzeit pro Tag in Ordnung. Die Eltern gestanden ihrem Sohn aber bisher maximal 30 Minuten zu.
Michaela Sauer ärgert sich: «Seit der Lektüre der Broschüre ist unser Sohn davon überzeugt, er habe Anrecht auf mehr Handyzeit.» Zum Vergleich: Die deutsche Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung empfiehlt für 9- bis 12-Jährige 30 bis 45 Minuten Bildschirmzeit pro Tag.
Vorgeschlagenes Abo ist kaum kindgerecht
Die Swisscom nutzt ihre Broschüre auch dafür, um Werbung für ein Handyabo und ein Prepaidangebot «speziell für Kinder unter 16 Jahren» zu machen. Das Prepaidangebot ist mit einem Preis von Fr. 9.90 im Monat akzeptabel. Das vorgeschlagene Abo ist hingegen nicht sehr kindgerecht. Es enthält unbeschränktes Telefonieren und SMS-Versenden in der Schweiz sowie 5 Gigabyte Daten zum Surfen mit hoher Geschwindigkeit.
Ausserdem sind 30 Anrufminuten und 300 Megabyte Daten weltweit inbegriffen. Das Abo kostet Fr. 19.90 pro Monat. Ähnliche Abos der Konkurrenz ohne Auslandleistungen weltweit kosten gerade mal die Hälfte. Beispiel: Das Abo «Spusu 10» von Spusu gibt es für monatlich Fr. 9.90.
Mutter Michaela Sauer kritisiert: «Ich finde es unglaublich, dass Schulen getarnte Werbung verteilen dürfen.» Sie beschwerte sich bei der Schulleitung. Die Schulleiterin antwortete ihr, jede Familie könne selbst entscheiden, welche Tipps der Swisscom sie umsetze.
Die Infobroschüre der Swisscom ist weit verbreitet: Laut dem Telecomkonzern haben ungefähr 7000 Schulen und Private ein kostenloses Abo für die Medienratgeber des Unternehmens und erhalten die Informationen. Weitere Schulen und Institutionen hätten 35 000 Exemplare der Broschüre «Mein erstes Handy» bestellt.
Auch die Primarschule in Düdingen FR verteilt die Broschüre. Sie legt das Heft in den Schulhäusern auf und bietet es auf der eigenen Website an. Gegenüber dem K-Tipp sagt die Schule, Handys seien an einem Elternabend ein aktuelles Thema gewesen. Die Schulen St. Niklaus-Grächen VS stellten die Broschüre im Internet ebenfalls zur Verfügung. Dem K-Tipp schreiben sie, man gebe solche Unterlagen an die Eltern weiter, die man für sinnvoll halte.
Behörden regeln Materialabgabe nicht
Viele Kantone regeln die Abgabe von Firmenmaterial an den Schulen nicht. Auch Graubünden stellt keine Richtlinien auf: «Die Lehrpersonen sind frei in ihrer Abschätzung», heisst es auf Anfrage des K-Tipp beim Bündner Amt für Volksschule und Sport. Werbung in Schulen entspreche allerdings «nicht dem Selbstverständnis von Schulen».
«Werbung für Abos ist nicht angebracht»
Kritik kommt vom Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz. Er legte in einem Papier fest, wie sich Unternehmen in der Bildung engagieren sollen. Beat Schwendimann, Leiter Pädagogik beim Verband, sagt: «Es ist nicht angebracht, dass die Infobroschüre Werbung für Abos der Swisscom enthält.» Das widerspreche den vom Verband festgelegten Grundsätzen. Diese Regeln hat auch die Swisscom unterzeichnet.
Der Telecomkonzern schreibt auf Anfrage des K-Tipp, man achte darauf, im Umfeld von Schulen keine werberischen Inhalte einzusetzen. Bei der Broschüre handle es sich um einen Ratgeber für Eltern und nicht für Schüler. Die Verteilung der Broschüre an die Schüler in Zuoz sei auf Initiative der Schule erfolgt.
Die Telecomfirmen Salt und Sunrise sagen gegenüber dem K-Tipp, sie würden an Schulen kein Infomaterial verteilen.
Handys: Hier gibts neutrale Infos
- Die Plattform Jugendundmedien.ch ist ein Infoportal, das vom Bund unterstützt wird. Es bietet Tipps für Eltern und Jugendliche im Umgang mit den elektronischen Medien.
- Konkrete Empfehlungen liefert das Internetportal Ins-netz-gehen.info der deutschen Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
- Wer Informationen zu günstigen Handyabos sucht, kann auf dem unabhängigen Vergleichsportal Dschungelkompass.ch Angebote vergleichen. Günstige Prepaidangebote ohne Grundgebühr gibt es beispielsweise bei Aldi Mobile, M-Budget Mobile oder Lidl Connect. Bei diesen fallen Kosten nur an, wenn das Kind tatsächlich telefoniert und surft. Bei Lidl Connect beispielsweise kostet ein Anruf 15 Rappen pro Minute.