Teures Überholmanöver
Wer einen Autounfall verursacht hat, muss nicht nur mit einer Busse und dem Fahrausweisentzug rechnen. Je nach Verschulden können die Versicherungen verlangen, dass sich der Lenker am Schaden beteiligt.
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K-Tipp 07/2011
03.04.2011
Letzte Aktualisierung:
05.04.2011
Beatrice Walder K-Tipp
Ein Traktor mit zwei Anhängern tuckert ausserorts mit einer Geschwindigkeit von rund 30 km/h der Strasse entlang – das löst bei den meisten Autofahrern fast reflexartig ein Überholmanöver aus. So auch Ende Oktober des vergangenen Jahres bei Bernd Wenker aus Rapperswil SG (Name geändert).
Er fuhr mit dem Nissan Micra seiner Freundin von Embrach ZH Richtung Pfungen, als er als Dritter hinter zwei vor ihm fahrenden Wagen zum Überholen des Landwirts...
Ein Traktor mit zwei Anhängern tuckert ausserorts mit einer Geschwindigkeit von rund 30 km/h der Strasse entlang – das löst bei den meisten Autofahrern fast reflexartig ein Überholmanöver aus. So auch Ende Oktober des vergangenen Jahres bei Bernd Wenker aus Rapperswil SG (Name geändert).
Er fuhr mit dem Nissan Micra seiner Freundin von Embrach ZH Richtung Pfungen, als er als Dritter hinter zwei vor ihm fahrenden Wagen zum Überholen des Landwirtschaftsgespanns ansetzte.
Die beiden vor ihm fahrenden Lenker konnten rechtzeitig wieder auf die rechte Spur einbiegen, Wenker aber sah in der leichten Rechtskurve den entgegenkommenden Lastwagen zu spät:
Die beiden kollidierten, der Lastwagen geriet rechts neben der Strasse in den Strassengraben. Die Lenker blieben unverletzt, die beiden Fahrzeuge wurden beschädigt.
Grobfahrlässigkeit doppelt bestraft
Wenkers Fehler: Er hatte an einer unübersichtlichen Stelle überholt. Das entspricht rechtlich einer groben Verletzung der Verkehrsregeln. Dafür wurde er von der Staatsanwaltschaft zu einer Busse von 800 Franken und einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 110 Franken verurteilt. Er akzeptierte die Strafe, weil er seinen Fehler einsah.
Das sollte ihn aber teuer zu stehen kommen: Seine Freundin hatte die Haftpflicht- und Vollkaskoversicherung für ihren Wagen bei der Allianz Suisse abgeschlossen. Diese zahlte den Schaden am Lastwagen in der Höhe von 114 454 Franken und für den Nissan 12 703 Franken.
Anfang März forderte sie aber von Wenker 25 Prozent der bezahlten Summe zurück. Wenker solle 31 789 Franken zahlen, weil er den Unfall grobfahrlässig verursacht habe.
Tatsächlich kann eine Haftpflichtversicherung laut Gesetz einen Teil der Schadenszahlungen von einem Lenker zurückverlangen, der einen Unfall grobfahrlässig verursacht hat.
Die Juristen sprechen von Rückgriff oder Regress. Und eine Vollkasko-Versicherung übernimmt zwar die selbst verschuldeten Kollisionsschäden am eigenen Fahrzeug, doch kann sie je nach Schwere des Verschuldens einen Teil von ihrer Leistung abziehen.
Beide Möglichkeiten schöpfte die Allianz bei Wenker aus. Die Höhe der Forderung hat er allerdings zu Recht nicht akzeptiert. Grundsätzlich liegt die Rückgriffsquote bei Grobfahrlässigkeit laut dem Luzerner Anwalt und Haftpflichtexperten Christian Haag zwischen 10 und 50 Prozent.
Laut Gerichtspraxis müssen fehlbare Lenker etwa mit folgenden Rückgriffen rechnen:
- 20 Prozent des Schadens musste ein Fahrer zahlen, der eine lange Reise übermüdet fortgesetzt hatte.
- Ein übermüdeter, angetrunkener, zu schnell fahrender Chauffeur musste 50 Prozent der Unfallkosten übernehmen.
- Ein Lenker, der statt mit den erlaubten 70 mit 100 km/h auf einer unübersichtlichen Kuppe unterwegs war, musste 30 Prozent des Schadens zahlen.
- Ein unaufmerksamer Automobilist missachtete ein Rotlicht. Er musste deshalb 25 Prozent selber zahlen.
Rückgriff der Allianz zu hoch
Diese Fälle sind nicht unbedingt mit Wenkers Fehler vergleichbar: Weder war er betrunken, noch hatte er ein Rotlicht oder eine Sicherheitslinie überfahren, noch war er schneller als erlaubt unterwegs.
Laut Haftpflichtanwalt Haag liegt die Allianz mit einem Rückgriff in der Höhe von 25 Prozent denn auch zu hoch. Weitere von K-Tipp befragte Haftpflichtexperten stimmen ihm zu. Gleicher Meinung sind offenbar verschiedene Gerichte:
So verpflichtete etwa ein Waadtländer Gericht einen Lenker nach einem riskanten Überholmanöver trotz ausgezogenener Sicherheitslinie zu einer Zahlung von 15 Prozent des Schadens.
Zum selben Resultat kam ein Genfer Gericht, nachdem ein Autofahrer auf einer engen Strasse überholt hatte und mit einem entgegenkommenden Lastwagen kollidierte.
Tipp: Die Haftpflicht- und Kasko-Versicherungen bieten eine Zusatzdeckung «Verzicht auf Kürzung bei Grobfahrlässigkeit» an. Mit dieser Deckung müssen Lenker bei einem grobfahrlässigen Manöver nicht mit einem Rückgriff oder einer Leistungskürzung der Kaskoversicherung rechnen.
Achtung: Dieser Zusatzschutz hilft nicht immer. Wenn bei einem Unfall Alkohol oder Drogen im Spiel sind oder die Geschwindigkeit massiv überschritten wurde, werden die Gebüssten in der Regel trotz Zusatzversicherung zur Kasse gebeten.
In diesen Fällen liegt allerdings kaum mehr grobfahrlässiges Verhalten vor – sondern Eventualvorsatz. Davon sprechen die Juristen, wenn jemand nicht nur unsorgfältig handelt, sondern einen Schaden bewusst in Kauf nimmt.
Diese Verfahren drohen Unfallverursachern
- Strafrechtliches Verfahren: Wer gegen die Verkehrsregeln verstösst, wird von den Strafbehörden mit Busse, Geld- oder Freiheitsstrafe sanktioniert.
- Administrativ-Verfahren: Je nach Schwere des Verkehrsdelikts verfügt das Strassenverkehrsamt eine Verwarnung oder einen Fahrausweisentzug. Nach einer groben Verkehrsregelverletzung wird der Fahrausweis in der Regel für mindestens drei Monate entzogen. Bei einer mittelschweren Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften hingegen nur für einen Monat.
- Zivilverfahren: Die geschädigte Person beziehungsweise die Versicherung kann allfällige Schadenersatzansprüche gegen den Unfallverursacher in einem Zivilprozess einklagen.
Achtung: Das Ergebnis des Strafverfahrens hat einen grossen Einfluss auf die Administrativ- und Zivilverfahren. Wer vom Strafrichter wegen grobfahrlässiger oder eventualvorsätzlicher Verletzung der Verkehrsregeln bestraft wird, sollte sich deshalb von einem Anwalt beraten lassen, bevor er einen Strafbefehl akzeptiert.