Der Fall schockierte 2005 die Schweiz: Ein 6-jähriger Bub wurde in Oberglatt ZH auf dem Weg in den Kindergarten von drei Pitbull-Terriern angefallen und getötet. In der Folge wurden 2008 landesweit obligatorische Kurse für alle Hundehalter eingeführt. Per 2017 schaffte sie das Parlament jedoch wieder ab und überliess die Regelung den Kantonen.
Der K-Tipp wollte wissen, wie sich die Abschaffung des nationalen Obligatoriums auf die Zahl der Hundebisse auswirkte. Dazu wertete er die Zahlen der Jahre 2016 bis 2019 von 17 Deutschschweizer Kantonen aus. Die Daten stammen von den Veterinärämtern.
In der Beissstatistik sind auch Vorfälle mit Hunden enthalten, die aggressiv waren, aber nicht zubissen. Diese machen rund zehn Prozent der Meldungen aus.
13 dieser 17 Kantone kennen keine obligatorischen Hundekurse mehr. Es sind dies die beiden Appenzell, Basel-Stadt, Bern, Graubünden, Luzern, Nidwalden, Obwalden, Schaffhausen, Schwyz, St. Gallen, Uri und Zug.
In den Kantonen Aargau und Glarus müssen die Halter von bewilligungspflichtigen Hunden zwingend einen Kurs absolvieren. In Glarus gilt dies zusätzlich für alle Ersthundehalter.
In den Kantonen Thurgau und Zürich besteht eine Kurspflicht für alle Halter von grossen und massigen Hunden. Zürich führt als einziger Kanton eine Liste mit verbotenen Hunden.
Resultat: In den Kantonen, die obligatorische Hundekurse kennen, nahm die Zahl der Bisse in den letzten vier Jahren von 2072 auf 2192 zu – plus 6 Prozent. In den Kantonen ohne Obligatorium war die Zunahme von 2451 auf 2787 stärker – plus 14 Prozent.
«Die Zahlen bestätigen die Befürchtungen»
Im Verhältnis zur Anzahl Hunden nahmen die Bissmeldungen in den Kantonen mit zwingendem Kurs gar leicht um 1 Prozent ab. In Kantonen ohne Kurse bissen die Hunde 10 Prozent häufiger zu.
Die Entwicklung erstaunt den ehemaligen Bündner Kantonstierarzt Rolf Hanimann nicht: «Die Zahlen bestätigen unsere Befürchtungen. Die ersatzlose Abschaffung der obligatorischen Kurse war ein schlechtes Signal.» Ein Hund sei schnell gekauft, vor allem im Internet. «Doch es fehlt nun eine klare Vorgabe, die zeigt: Für die Haltung eines Hundes muss man gewisse Bedingungen erfüllen.»
Für Hanimann ist es unerlässlich, dass alle Kantone ein Obligatorium oder andere vorbeugende Massnahmen einführen – jedoch mit Augenmass: «Jemand mit dem fünften Pudel sollte keine Ausbildung mehr machen müssen – oder nicht die gleiche wie der Halter eines Pitbulls.»
Nach wie vor schwere Verletzungen
In Spitälern werden immer wieder Kinder behandelt, die von Hunden gebissen wurden. Im Inselspital Bern waren es in den letzten drei Jahren jeweils zwischen 32 und 39. Die Verletzungen reichten von Kratzern bis zu tiefen Wunden.
Im Kantonsspital Baden AG liegt die jährliche Zahl laut Sprecher Omar Gisler im einstelligen Bereich. «In den letzten Jahren kam es zu einer entstellenden Verletzung im Gesicht, die spezialärztlich betreut werden musste.»
Bei Kindern bis 14 sind gemäss Georg Staubli, Chefarzt der Notfallstation am Kinderspital Zürich, vor allem Kleinkinder betroffen: «Sie sind mit dem Kopf auf gleicher Höhe mit dem Hund.» So komme es dort zu den meisten Verletzungen. Im Unispital werden pro Jahr knapp zehn Kinder wegen Bissverletzungen durch Hunde behandelt.
Staubli rät: «Hundebisse und Tierbisse allgemein sollten so schnell wie möglich fünf bis zehn Minuten unter fliessendem Wasser ausgespült werden – mit Ausnahme von grossen, klaffenden Wunden. Damit muss man sofort ins Spital.»