Ramona Brüniger aus Chur stellt wie viele junge Leute selbst erstellte Videos ins Internet. Das tat sie auch Ende 2022, als sie sich beim Backen filmte. Dieses Video veröffentlichte die 24-Jährige auf der Plattform Tiktok.
Aus der Musikbibliothek von Tiktok wählte Brüniger als Hintergrundmusik das Lied «Wonderful Dream» von Melanie Thornton. Im Herbst 2023 kam Post von der deutschen Anwaltskanzlei IPPC Law aus Berlin. Diese vertrete die verstorbene Urheberin des Musikstücks «Wonderful Dream», hiess es im Brief.
Die Kanzlei forderte Brüniger auf, das Lied nicht mehr zu verwenden, und verlangte von ihr 1441 Euro für die Anwaltskosten und 1500 Euro Schadenersatz für die Rechteinhaber.
Das Lied aus der Tiktok-Bibliothek dürfe nur «im privaten Bereich» verwendet werden. Ramona Brüniger habe das Video aber ihren 24'000 Followern und damit einer breiten Öffentlichkeit gezeigt. Diese Follower sind Tiktok-Benutzer, die regelmässig Brünigers Beiträge ansehen.
Brüniger wandte sich an die Rechtsberatung des K-Tipp. Diese riet ihr, die 2941 Euro nicht zu zahlen. Musiker erhalten nämlich für die Nutzung ihrer Lieder auf Tiktok oder Instagram über die Schweizer Verwertungsgesellschaft Suisa bereits eine Entschädigung.
Die Verwertungsgesellschaft schreibt dem K-Tipp: «Musik aus Datenbanken von Medien wie Tiktok ist bereits mit den Verträgen zwischen den Social-Media-Plattformen und der Suisa abgegolten.»
Unklar, was privat und was kommerziell ist
Die Musiker oder ihre Vertreter können aber bestimmen, wer mit ihrem Lied einen Videoclip erstellen darf. Zu diesem Zweck haben Tiktok und Instagram mit den grossen Musikfirmen, bei denen Künstler unter Vertrag sind, spezielle Lizenzverträge geschlossen. Bei Tiktok stehen laut den Nutzungsbedingungen die Lieder der allgemeinen Musikbibliothek nur für private Zwecke und «kommerzielle Sounds» für eine gewerbliche Nutzung zur Verfügung.
Das Problem dabei: Eine Abgrenzung zwischen privatem und kommerziellem Gebrauch ist nicht immer einfach. Das gilt besonders bei Leuten, die mit ihren Beiträgen auf Internetplattformen eine grosse Zahl Follower erreichen. Laut Martin Steiger, Zürcher Anwalt und Urheberrechtsexperte, kommt es nicht nur auf das einzelne Video, sondern auf den Gesamteindruck des Accounts an.
Selbst wenn es sich in Brünigers Fall um kommerzielle Nutzung handeln würde: Die geforderte Entschädigung von 1500 Euro erscheint Steiger viel zu hoch. Betroffenen empfiehlt er, entweder eine Klage abzuwarten oder den Betrag herunterzuhandeln.
Auch Rechtsanwältin Denise Himburg aus Berlin hält den verlangten Schadenersatz für zu hoch. Himburg vertritt Betroffene in Deutschland, die wegen des Lieds «Wonderful Dream» von IPPC Law abgemahnt wurden. Sie rät Betroffenen, nichts zu bezahlen. Bisher sei noch keine ihrer Klientinnen eingeklagt worden.
Musikstücke im Internet verwenden: Das sollte man beachten
- Jedes Musikstück ist urheberrechtlich geschützt. Urheber sind zum Beispiel der Komponist eines Liedes oder die Musiker, die das Stück einspielten. Das Urheberrecht geht nach dem Tod des Urhebers an dessen Erben über. Es erlischt 70 Jahre später. Danach wird das Stück für jeden nutzbar, auch kommerziell.
- Unterlegt man ein Video mit einem Lied und will es ins Internet stellen, muss man das Nutzungsrecht (die Lizenz) vom Rechteinhaber bekommen. Für einen privaten Beitrag kann man auf den Plattformen Tiktok und Instagram Lieder der allgemeinen Musikbibliothek wählen, die für private Zwecke gedacht ist. Wer mehrere Tausend Anhänger hat, wählt im Zweifel besser aus der kommerziellen Musikbibliothek («kommerzielle Sounds») ein Lied aus.
- Es gibt Datenbanken mit lizenzfreien Werken, etwa auf Audiocrowd.net, Epidemicsound.com oder Jamendo.com. Ist ein Lied jedoch trotz Deklaration nicht lizenzfrei, kann man für die Verwendung belangt werden.