Das Radiosignal mit Ultrakurzwellen (UKW) soll in der Schweiz bald komplett abgeschaltet werden – zumindest wenn es nach dem Willen des Bundesamts für Kommunikation, der SRG und der privaten Radiosender geht. Bereits im August 2022 will die SRG ihre UKW-Sender abschalten. Im Januar 2023 sollen die meisten Privatradios folgen. Sie senden neu mit Digital Audio Broadcasting (DAB+). Das hat Folgen für unzählige Radiohörer in der Schweiz, die noch UKW-Empfangsgeräte besitzen oder ihr Autoradio nicht auf DAB+ umgerüstet haben (K-Tipp 6/2021). Ihnen droht Funkstille.
Petition will Abschaltplan stoppen
Gegen die Pläne formiert sich Widerstand: Radiopionier und Medienunternehmer Roger Schawinski will, falls nötig, vor Gericht ziehen, um mit seinem Zürcher Privatradio Radio 1 weiter über UKW senden zu können. Er hat die Petition «Rettet UKW» lanciert (siehe Kasten im PDF). Zudem fordert der Zuger SVP-Nationalrat Thomas Aeschi in einem parlamentarischen Vorstoss, dass die «geplante Zwangsabschaltung aller Schweizer UKW-Sender» rückgängig gemacht wird.
Viele Radiohörer ärgern sich ebenfalls über die DAB+-Pläne. Zum Beispiel Franco Prandi aus Zollikerberg ZH: «Mich ärgert, dass unzählige Radiogeräte nutzlos werden, die noch funktionieren», sagt er. «So fällt eine Menge unnötiger Elektroschrott an.» Brigitte Schäfer aus Rümlang ZH sorgt sich um die Sicherheit auf den Strassen: «Wenn UKW abgeschaltet wird, empfangen viele Autofahrer keine Verkehrsmeldungen mehr und erfahren nicht, wenn Geisterfahrer unterwegs sind.» Dani Kägi aus Wädenswil ZH kritisiert die Qualität von DAB+: «Sie ist nicht so gut, wie versprochen wird. Zudem gibt es noch grosse Funklöcher, etwa im Toggenburg.»
Wie viele Radiogeräte schweizweit betroffen sind, weiss das Bundesamt für Kommunikation nicht. Roger Schawinski geht gemäss eigenen Berechnungen von rund 10 Millionen Apparaten aus, die ab 2023 zu nutzlosem Elektroschrott würden. Genauere Zahlen liegen zu den Autoradios vor: Rund 2,8 von 4,8 Millionen oder 58 Prozent der Fahrzeuge in der Schweiz haben laut Bundesamt noch keinen DAB+-Anschluss.
Die Schweiz hält trotzdem an ihrem Abschaltplan fest – als einziges Land in Europa. In Teilen Deutschlands wurden UKW-Lizenzen bereits bis 2029 verlängert. Ähnliches plant die neue Regierung aus Grünen und CDU im Bundesland Baden-Württemberg. Sollten sich in einigen Jahren tatsächlich alle Radiosender in der Schweiz vom UKW-Netz verabschiedet haben, wird man also zumindest im Norden der Schweiz noch mindestens sieben Jahre lang deutsche Sender über UKW empfangen.
Norwegen ohne UKW: «Nicht erfolgreich»
In Grossbritannien dürfen Radiosender sogar bis mindestens 2032 über UKW senden, wenn sie parallel auch DAB+ anbieten. Norwegen ist das einzige europäische Land, das UKW schon einmal abschalten wollte. Dort krebsten die Behörden zurück. Im Jahr 2017 verschwanden die öffentlich-rechtlichen und die grössten kommerziellen Sender schrittweise vom norwegischen UKW-Netz. Die Folge: Die Hörerzahlen sanken. So hatten laut Media Norway im Jahr 2016 59 Prozent der Bevölkerung das Radio eingeschaltet – 2019 waren es nur noch 48 Prozent.
Angesichts des Hörerschwunds zogen einige norwegische Sender ihre Zusage, UKW abzustellen, wieder zurück. Darauf entschied das norwegische Parlament, UKW-Sender bis mindestens 2026 zu erlauben. Heute sind laut der norwegischen Medienaufsicht rund 200 UKW-Lizenzen vergeben. Svein Larsen vom norwegischen Sender Radio Metro sagt: «Norwegen war der Test – und er war nicht erfolgreich.»
Das Bundesamt für Kommunikation gibt sich unbeirrt: Nur noch 12 Prozent der Schweizer Bevölkerung würden ausschliesslich Radio über UKW hören. Und zum Elektroschrott heisst es lapidar: «Die Digitalisierung oder generell der technologische Fortschritt machen regelmässig Ersatzkäufe notwendig.» Mit anderen Worten: Das Bundesamt nimmt Elektroschrott in Kauf, um eine neue Technologie durchzusetzen. Die Bürger zahlen die Zeche – und zwar doppelt: Sie müssen neue Geräte kaufen. Und sie finanzieren ungewollt noch eine Werbekampagne für DAB+. Der Bundesrat gibt dafür 10 Millionen Franken aus der Bundeskasse aus.
Doch warum machen auch die privaten Radiosender mit? Roger Schawinski glaubt, die Sender seien gekauft worden. Tatsächlich wurden sie mit Subventionen und einem garantierten Sendeplatz geködert. So schloss der Verband Schweizer Privatradios im Jahr 2016 mit dem Bundesamt eine Vereinbarung: Für ihre Zustimmung zur UKW-Abschaltung erhielten die Radiostationen eine automatisch verlängerte Sendeerlaubnis bis zum Jahr 2024. Das bestätigte der Präsident des Privatradioverbandes in einem E-Mail an Schawinski, das dem K-Tipp vorliegt.
Serafe-Gebühren subventionieren DAB+
Hinzu kommt, dass die Radiosender von 2014 bis 2023 jährlich Bundessubventionen für DAB+ erhalten. Dafür stehen insgesamt 75 Millionen zur Verfügung. Der grösste Teil wurde bereits ausbezahlt. Davon profitierten laut Bundesamt alle 124 Privatradios. Das Geld stammt unter anderem aus der Abgabe für Radio und Fernsehen (Serafe). Das heisst: Die Radiokonsumenten zahlen mit den Serafe-Gebühren auch dafür, dass sie künftig auf UKW keine Schweizer Sender mehr hören können.
«Rettet UKW»: Hier können Sie unterschreiben
Medienunternehmer Roger Schawinski fordert mit seiner Petition «Rettet UKW» von Medienministerin Simonetta Sommaruga, dem Bundesamt für Kommunikation und der SRG, die geplante Abschaltung aller UKW-Sender rückgängig zu machen. Sonst drohe «eine massive und völlig unverständliche Beschädigung des Mediums Radio». Petitionen müssen von den zuständigen Kommissionen in National- und Ständerat behandelt werden. Jedermann kann eine solche Petition unterzeichnen, auch via Internet. Roger Schawinskis Forderung kann man unter www.rettetukw.ch unterstützen. Über 18000 Personen (Stand: 12. Mai) haben online bereits unterschrieben.