Seit Wochen sinken die Zahlen der im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie Hospitalisierten und Gestorbenen (siehe Kasten). Trotzdem warnt Martin Ackermann, Leiter der «Swiss National Covid- 19 Science Task Force» vor einer möglichen Überlastung der Spitäler. Und der «Tages-Anzeiger» schreibt, es werde «immer wahrscheinlicher, dass der Bundesrat bald über erneute Verschärfungen entscheiden muss».
Dieses Bild zeigt sich seit einem Jahr. Die Task-Force deutet düstere Szenarien und mögliche Pandemieverläufe an – und Journalisten sehen darin eine neue Grundlage für Verschärfungen der bundesrätlichen Massnahmen. Doch wer ist eigentlich diese Task-Force, die das Leben der Bevölkerung seit einem Jahr massgeblich beeinflusst?
Task-Force bat selbst um ein Mandat
Das Gremium besteht zurzeit aus 76 Mitgliedern. Beim Grossteil handelt es sich um Wissenschafter aus den verschiedensten Gebieten – von der Epidemiologie über die Ökonomie bis zur Datensicherheit. Einige Mitglieder arbeiten beim Bund, bei Kantonen oder Gemeinden, etwa im Bereich Bevölkerungsschutz. Praktizierende Ärzte fehlen fast ganz.
Die Task-Force geht nicht auf einen Entscheid des Bundesrats zurück, sondern auf einen Vorschlag des Präsidenten Ackermann und drei weiterer Initianten aus universitären Kreisen. Sie baten den Bund um ein offizielles Mandat und schickten im gleichen E-Mail direkt selber einen Vorschlag für den genauen Wortlaut des Mandats, so eine Recherche des Gesundheitsportals Re-check. Der Bund übernahm den Vorschlag fast unverändert. Wer im Gremium mitmachen darf, bestimmt das Präsidium: Mitglieder der Task-Force werden direkt von Präsident Ackermann ernannt. Offiziell in Abstimmung mit dem Bundesamt für Gesundheit, doch in einer Antwort auf eine Nachfrage im Parlament sagte der Bundesrat: «Die Task-Force ist unabhängig und wählt ihre Mitglieder selber aus.»
Bei der Task-Force handelt es sich also um eine demokratisch nicht legitimierte Kommission aus Freiwilligen, die den Bundesrat in der Corona-Krise berät. Die Mitglieder erhalten für ihre Tätigkeit kein Honorar, die Arbeitsweise ist unüblich: Die Kommission erstellt über ihre Sitzungen und Beratungen keine Protokolle. Gemäss Re-check gibt es laut dem Mediensprecher des ETH-Rats keine amtlichen Dokumente dazu, da «ohne administrativen Aufwand» gearbeitet werde. Es ist für die Öffentlichkeit also nicht transparent, was die Task-Force bespricht und aufgrund welcher Fakten sie den Bundesrat berät. Laut ihrer Internetseite sieht sie ihre Aufgabe darin, «die unabhängige wissenschaftliche Beratung» der Regierung sicherzustellen.
Doch wie unabhängig ist diese Beratung wirklich? Daniel Speiser und Christian Münz kommen in den Medien regelmässig als «neutrale Impfstoff-Experten der Task-Force» zu Wort. Dabei haben sie Beziehungen zu Pharmakonzernen, die beim Impfgeschäft mitmischen: Daniel Speiser, einer der fünf Impfstoff-Experten der Covid-19-Task-Force, hat gleichzeitig ein Beratungsmandat beim Impfstoffhersteller Curevac. Und Christian Münz, seines Zeichens Leiter der Impfstoff-Gruppe der Task-Force, sitzt in der Jury des Forschungspreises, den der Pharmazeutik-Gigant Pfizer jährlich vergibt.
Als vergangenen November Biontech und Pfizer verkündeten, dass ihr Impfstoff zu 90 Prozent wirksam sei, sagte Münz auf Radio SRF, er sei «sehr enthusiastisch». Und: «Das Sicherheitsprofil, das aus den klinischen Studien hervorgeht, ist eines der besten eines jeden Medikaments, das jemals an den Menschen gebracht worden ist.» In anderen Medien warnte Münz vor möglichen Nebenwirkungen und Langzeitschäden des Pfizer-Konkurrenten Astra Zeneca.
Auch andere Mitglieder haben heikle Interessenbindungen zu Herstellern von Impfstoffen, Tests und Medikamenten. So etwa Suzanne Suggs. Sie ist Co-Leiterin der Task-Force-Gruppe für «Massnahmen zur Pandemiebekämpfung», gleichzeitig aber auch Mitglied im Beratungsgremium für Impfstoffe beim Pharmakonzern MSD. Thierry Calandra, Task-Force-Experte für die «kritische Beurteilung der klinischen Forschungsdaten zu Covid-19», berät mehrere Pharmakonzerne und sitzt zudem im Stiftungsrat von Safe-ID. Die Stiftung organisiert Infektiologie-Weiterbildungen und erhält dafür «Bildungszuschüsse» von Pharmakonzernen – letztes Jahr von Pfizer, von Covid-Schnelltest-Anbieter Roche und der US-Firma Gilead, die das umstrittene Covid-Medikament Remdesivir herstellt («Saldo» 2/2021).
Mitglieder sehen kein Problem
Bundesrat Alain Bersets Sprecher weist darauf hin, dass alle Mitglieder ihre Interessenbindungen auf der Website der Task-Force offenlegten. Die Mitglieder der Impfgruppe hätten zudem «eine Vertraulichkeits- und Integritätserklärung unterschrieben». Der Leiter der Impfstoffgruppe der Task-Force, Christian Münz, sieht keinen Interessenkonflikt: Für seine Tätigkeit für Pfizer erhalte er jährlich «nur einen tiefen dreistelligen Frankenbetrag». Impfstoffexperte Daniel Speiser sagt, er berate Impfstoffhersteller Curevac betreffend Krebspatienten und habe keine Wertpapiere der Firma. Suzanne Suggs erklärt: «Ich lege meine Beratungstätigkeit immer offen und lasse niemals zu, dass MSD oder andere meine Arbeit für die Task-Force beeinflussen.» Thierry Calandra merkt an, dass die Safe-ID das Sponsoring der Pharmakonzerne auf ihrer Website transparent mache.
Der Bundesrat wäre gar nicht auf die selbst ernannte Task-Force angewiesen. Seit Jahren gibt es beim Bund ein unabhängiges Expertengremium, die «Eidgenössische Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung» (EKP). Ihre Mitglieder werden vom Bundesrat gewählt, er sorgt dabei für eine ausgewogene Vertretung der relevanten Gruppen.
Die Kommission besteht aus 14 Mitgliedern, darunter Infektiologen und andere Ärzte, ein Kantonsarzt und ein Kantonsapotheker sowie Vertreter des Ärzteverbands und der Pharmaindustrie. Die Kommission protokolliert jede Sitzung – wie alle übrigen Kommissionen auf Bundesebene auch.
Warum spielt diese Kommission in der jetzigen Pandemie keine Rolle? Ein Sprecher des Departements des Innern sagt, Kernaufgabe der Kommission sei es, «den Bund bei der Vorbereitung von Pandemien zu beraten».
Auf der Internetseite des Departments hingegen heisst es: «Im Ereignisfall übernimmt die EKP eine beratende Funktion in Fragen der Lage- und Risikobeurteilung sowie in der Wahl der Strategien und Massnahmen zur Bewältigung einer Pandemie.»
Corona-Zahlen: Teilweise eine Lotterie
Der Bundesrat befasst sich voraussichtlich am 14. April einmal mehr mit der Frage, ob die Corona- Situation in der Schweiz Öffnungsschritte erlaubt oder Verschärfungen erfordert. Zu Rat zieht er dabei Richtwerte bezüglich der Fallzahlen, der Spitaleintritte, der Belegung von Intensivpflegebetten, der Todesfälle und des sogenannten R-Werts. Letzterer soll zeigen, wie viele Menschen ein Infizierter ansteckt.
Im ersten Quartal 2021 sehen die Zahlen sehr gut aus: Seit Anfang Januar sinkt die Zahl der Spitaleintritte im Zusammenhang mit der Pandemie. Konkret: Für den 1. Januar meldete das Bundesamt für Gesundheit 131 Spitaleintritte, für den 1. Februar 66, für den 1. März 42 und für Dienstag vor Ostern 33. Zum Vergleich: Jeden Tag werden gemäss Bundesamt für Statistik durchschnittlich rund 3700 Patienten in die Akutspitäler eingewiesen.
Auch die Zahl der Todesfälle von positiv getesteten Patienten ging seit Anfang Jahr zurück. Sie sank von 413 in der ersten Januarwoche auf 59 in Woche 11 bis zum 21. März. Zum Vergleich: Gesamthaft starben gemäss Bundesamt für Statistik in der ersten Januarwoche 1871 und in der Woche 11 noch 1017 Menschen. Übrigens: Seit Mitte Februar sterben in der Schweiz deutlich weniger Menschen als in den entsprechenden Wochen der letzten sechs Jahre. Grosse Unterschiede zeigen sich bei den über 65-Jährigen. Diese Altersgruppe verzeichnete im November und Dezember eine hohe Übersterblichkeit.
Das Bundesamt für Gesundheit beurteilt die Pandemie aber auch nach anderen Zahlen, etwa der 14-Tages-Inzidenz. Das ist die Anzahl «Fälle» pro 100 000 Einwohner in den letzten 14 Tagen. Als «Fälle» werden die positiv Getesteten bezeichnet. Es handelt sich nicht um die Infizierten (K-Tipp 5/2021), wie vergangene Woche auch das Wiener Verwaltungsgericht feststellte: Ein positiver PCR-Test bedeute gemäss der Weltgesundheitsorganisation nicht, dass jemand krank oder ansteckend sei. Die 14-Tages-Inzidenz sagt deshalb wenig über die Zahl der Corona-Infektionen aus. Sie ist ein Spiegel der Tests: Je mehr getestet wird, desto höher ist die Zahl der positiv Getesteten.