Detailhändler versuchten in den letzten Wochen den Eindruck zu erwecken, Preiserhöhungen seien unumgänglich. So sagte Migros-Chef Fabrice Zumbrunnen in einem Interview mit der Agentur AWP: «Wir sind seit Herbst mit steigenden Rohstoff- und Energiekosten konfrontiert. Der Krieg in der Ukraine hat die Situation noch verschärft.» Und Urs Riedener, Chef des Milchprodukteherstellers Emmi, kündigte im März Preissteigerungen bei der Milch an – obwohl die Schweizer Bauern für die Milch nicht mehr Geld erhalten.
Sind die Preiserhöhungen gerechtfertigt? Der K-Tipp wollte es genau wissen. Er nahm das Sortiment von Coop, Ikea, Landi, Lidl, Migros, Galaxus und weiteren Händlern unter die Lupe. Wo gab es zwischen Januar und April Aufschläge, die nicht gerechtfertigt sind? Dazu zog der K-Tipp die Produzenten- und Importpreise des Bundesamts für Statistik bei. Beispiel: Bei Mehl gibt der Produzentenpreis an, wie viel Geld Mühlen in der Schweiz für ihr Mehl von den Bäckereien erhalten.
Ergebnis: Der K-Tipp fand 36 Produkte, bei denen die Ladenpreise stärker aufschlugen, als es aufgrund der Hersteller- oder Importpreise gerechtfertigt wäre (siehe Tabelle im PDF). Zum Teil liegen die Aufschläge um ein Vielfaches über den Preiserhöhungen der Produzenten. Zwei Beispiele:
- Lidl verteuerte das Rapsöl «Vita d’Or» aus Deutschland um 70 Rappen – das sind 28,1 Prozent. Der Importpreis für Rapsöl war aber nur um 3,6 Prozent gestiegen.
- Coop und Migros verkaufen einige Spaghetti- und Penne-Sorten um bis zu einem Drittel teurer als im vergangenen Jahr – bei fast gleichbleibenden Produzentenpreisen.
Getreide nicht teurer, Brot aber schon
Diverse Händler erhöhten die Preise für Brotprodukte. Lidl etwa schlug beim Ruchbrot Panellino 9,2 Prozent auf. Dabei sind die Preise für Brotgetreide seit Anfang Jahr mehr oder weniger unverändert.
Fritz Glauser ist Präsident des Getreideproduzentenverbandes. Er sagt: «Am Getreide kann es nicht liegen, wenn Brot teurer wird.» Schweizer Bauern verkauften ihr Brotgetreide konstant für rund 50 Franken pro 100 Kilogramm an die Mühlen. Und das Importgetreide habe sich kaum verteuert, weil der Bund die Schutzzölle gesenkt habe. Laut Glauser macht das Mehl beim Brot im Durchschnitt weniger als 20 Prozent des Ladenpreises aus. Mehr als 80 Prozent entfallen auf Kosten für Verpackung, Transport, Personal und Werbung – sowie auf die Marge der Läden.
Die Detailhändler begründen ihre Aufschläge mit allgemeinen Entwicklungen. Die Migros spricht von höheren Transport- und Energiekosten, fehlenden Schiffscontainern und schlechten Ernten im vergangenen Jahr. Coop erwähnt zudem gestiegene Verpackungskosten. Lidl verweist auf gestiegene Rohstoffpreise.
Auch die Heizkosten steigen markant
Auch das Wohnen ist teurer geworden: 3000 Liter Heizöl kosteten bei Migrol und Agrola Anfang Januar rund 3000 Franken. Ende März waren es 4200 Franken. Auch Gas wurde teurer: Die Gasunternehmen Energie 360 (Stadt Zürich), Energie Uster ZH und Regio Energie Solothurn erhöhten per 1. April die Preise im Vergleich zum Januar um 16 bis 27 Prozent. Der Importpreis von Erdöl und Erdgas stieg laut Bundesamt für Statistik seit Anfang Jahr aber nur um 2,9 Prozent.
Energie Uster macht trotzdem gestiegene Einkaufspreise geltend. Energie 360 schreibt, man mische dem Erdgas zusätzlich Schweizer Biogas bei. Deshalb liessen sich Produktions- und Verkaufspreis nicht direkt vergleichen.
Auch Holzpellets wurden teurer: Ein K-Tipp-Leser aus Pratteln BL zahlte vor einem Jahr einen Tonnenpreis von 320 Franken. Jetzt soll er laut Offerte 474 Franken zahlen. Der Verein der Holzpelletsbranche begründet die Aufschläge mit Lieferschwierigkeiten.
Daniel Lampart, Chefökonom des Gewerkschaftsbundes, sagt: «Ich bin überzeugt, dass viele Firmen im Ukraine-Konflikt eine gute Gelegenheit sehen, um den Profit zu erhöhen.»
Hohe Gewinne bei Coop und Migros
Coop und Migros sind auf dem Papier Selbsthilfeorganisationen der Genossenschafter und streben keine Gewinne an. Doch beide Grossverteiler machen jedes Jahr hohe Profite, auch im vergangenen Jahr: Laut Geschäftsbericht betrug der Betriebsgewinn bei Coop 2,4, bei der Migros 2,1 Milliarden Franken. Es wäre also viel finanzieller Spielraum vorhanden, um bei geringen Preiserhöhungen von Lieferanten nicht sofort die Preise in die Höhe zu schrauben.
Volg erzielte einen Betriebsgewinn von 30 Millionen und Spar Schweiz einen von 28 Millionen Franken. Die Landi, Aldi, Lidl und Ikea geben für die Schweiz keine Gewinnzahlen bekannt.