Es kann jedem passieren, dass er eine Rechnung übersieht oder zu spät bezahlt. Wer Pech hat, erhält dann Post von einem Inkassobüro – mit Verzugszins, Mahngebühr und Schadenersatzforderung («Verzugsschaden»). Alles zusammen macht häufig ein Mehrfaches der geschuldeten Geldforderung aus.
Die Rechtsberatung des K-Tipp hat täglich mit Fragen von Lesern zu hohen Inkassogebühren zu tun. Ihr Fazit: Es lohnt sich, die Rechnungen von Inkassobüros genau anzuschauen. Denn häufig sind sie rechtlich unbegründet (K-Tipp 10/2018).
Das bestätigt auch Arnold F. Rusch, Professor an der Universität St. Gallen. Er analysierte die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) verschiedener Firmen. Er kommt in der in der juristischen Zeitschrift «AJP» abgedruckten Studie zum Schluss, dass viele Klauseln zu den Folgen von verspäteten Zahlungen im Kleingedruckten von Konsumentenverträgen ungültig sind.
Verweis auf andere Verträge genügt nicht
Bei vielen Internetshops kann man auf Rechnung einkaufen. Manche Firmen überlassen das Inkasso einer anderen Firma. In den AGB des Elektronikhändlers Mobilezone steht zum Beispiel: «Bei Zahlung auf Rechnung finden zusätzlich zu den AGB der Mobilezone auch die AGB des Zahlungspartners Availabill Anwendung.» Und in den AGB von Availabill sind für eine verspätete Zahlung diverse Gebühren vorgesehen, etwa Mahngebühren oder ein Verzugsschaden von 80 Franken für eine Forderung von 50 Franken.
Arnold F. Rusch schreibt, eine Firma müsse den Einbezug der AGB einer Drittfirma ausdrücklich im Hauptvertrag vorsehen.
Werden die Geschäftsbedingungen schriftlich ausgehändigt, müsse der Kunde auch die AGB der Drittfirma erhalten, damit diese gültig seien. Es reiche nicht, wenn die AGB des Händlers bloss auf die AGB einer Inkassofirma verweisen würden. Das heisst im Fall von Mobilezone: Die Inkassokosten von Availabill sind nicht gültig vereinbart.
Availabill schreibt, man befolge «alle Gesetzesgrundlagen». Für Mobilezone sind die AGB «korrekt», man werde sie aber neu beurteilen.
Verzugszins erst nach Mahnung
Laut Gesetz schuldet ein Kunde 5 Prozent Verzugszins im Jahr, wenn er eine Forderung trotz Mahnung nicht zahlt. Doch häufig sehen die Firmen in ihren AGB vor, dass der Verzugszins und weitere Gebühren bereits nach dem Ablauf der Rechnungsfrist geschuldet seien.
In den AGB der Swisscom zum Beispiel steht: «Hat der Kunde bis zum Fälligkeitsdatum weder die Rechnung vollumfänglich bezahlt noch schriftlich und begründet Einwände dagegen erhoben, fällt er ohne weiteres in Verzug.» Der Kunde schulde dann den Verzugszins und weitere Kosten. Sprich, die Swisscom will schon ohne eine Mahnung Verzugszinsen fordern. Auch andere Firmen, wie Media-Markt, Microspot und Sunrise, sehen vor, dass Kunden bereits ohne Mahnung zinspflichtig werden.
Beim Fitnessstudio Basefit gerät man laut AGB sogar ohne eine Rechnung in Verzug. Im Kleingedruckten heisst es: «Basefit.ch versendet keine Rechnungen. Der Mitgliederbeitrag ist unaufgefordert und fristgerecht zu entrichten.» Wer nicht fristgemäss zahle, müsse die Inkassokosten tragen.
Rusch sagt dazu: Eine Nachfrist gebe dem Schuldner eine letzte Chance, die Folgen eines Verzugs abzuwenden. Ein Verzicht auf eine Mahnung sei nur gültig, wenn der Schuldner bewusst darauf verzichte. Der Verzicht auf eine Nachfrist lasse sich «nur mittels Individualabrede erzielen». Das heisst: Alleine gestützt auf das Kleingedruckte geht das nicht. Es müsste ausdrücklich im Vertrag stehen.
Viele Firmen verlangen für Mahnungen eine Gebühr von bis zu 30 Franken – zum Beispiel Microspot, Sunrise und Swisscom. Nach Ansicht von Rusch müssen Mahnungen aber kostenlos erfolgen. Auf eine erste Mahnung habe der Schuldner laut Gesetz Anspruch. Daher müsse sie auch kostenlos sein. Weitere Mahnungen würden «keine rechtliche Bedeutung» aufweisen. Rusch: «Für sinnlose Aktionen kann man keine Gebühren verlangen.»
Laut Sprecherin Therese Wenger ist bei Sunrise eine erste Zahlungserinnerung kostenlos. Danach würden Gebühren fällig. Sunrise verzichte während des Mahnprozesses auf einen Verzugszins. Kostenpflichtige Mahnungen seien aber zulässig, wenn sie im Vertrag vereinbart seien. Auch die Swisscom sagt, eine erste Mahnung sei kostenlos.
Eine Microspot-Sprecherin erklärt, man teile die Meinung von Rusch nicht.
Unzulässiger Verzugsschaden
Die Klauseln vieler Firmen sehen vor, dass bei der Übergabe der Forderung an ein Inkassobüro eine Gebühr geschuldet wird. Bei der Swisscom heisst es, der Kunde habe der Inkassofirma «direkt Mindestgebühren zu bezahlen». Für Details verweist die Firma auf eine Liste im Internet. Dort kann man nachlesen, dass Swisscom bei einer Forderung von mehr als 200 Franken eine Mindestgebühr von 138 Franken verlangt. Ähnliche Gebühren sehen auch etwa MediaMarkt und Sunrise vor.
Für Arnold F. Rusch sind solche Forderungen «in vollkommen unzulässigen Höhen». Die betroffenen Firmen sagen, ihre Gebühren seien gültig.
Verzugszinsen ab Buchungsdatum
Kreditkartenfirmen ermächtigen sich oft im Kleingedruckten, den Verzugszins bereits ab dem Buchungsdatum zu kassieren.
In den AGB der Swisscard heisst es: «Auf sämtliche Belastungen (ausser auf aufgelaufenen Zinsen) des Kartenkontos wird der vereinbarte (Kredit-)Zins ab Buchungsdatum erhoben.» Wird die Rechnung fristgerecht bezahlt, würden die Zinsen erlassen. Ähnliche Klauseln haben auch die Firmen Cembra, Cornerbank und Paycard.
Rusch kritisiert: Ein Konsument müsse im Kleingedruckten nicht mit solchen rückwirkenden Verzugszinsen rechnen. Sie seien nicht gültig vereinbart.
Die Kreditkartenfirmen entgegnen, es handle sich nicht um Verzugs-, sondern Kreditzinsen. Solche Klauseln seien üblich und daher gültig.
Wie ein Gericht solche Streitfragen beurteilen würde, bleibt offen. Zu den meisten Fragen gibt es keine Entscheide des Bundesgerichts. Stephan Heiniger, Leiter der Rechtsberatung des K-Tipp, weiss aus Erfahrung: «Zahlen die Kunden zumindest den Zins und eine allenfalls vereinbarte Mahngebühr, verzichten die Firmen in der Regel darauf, den Rechtsweg zu beschreiten.» Denn das Risiko der Inkassofirmen, vor Gericht zu unterliegen, ist sehr hoch. Dann müssten sie die Prozesskosten zahlen und die Gegenpartei entschädigen – ein schlechtes Geschäft.
So wehrt man sich gegen überhöhte Verzugskosten
Auf der K-Tipp-Website gibts einen Musterbrief, mit dem man sich gegen Inkassogebühren wehren kann. Zu finden unter www.ktipp.ch.
Leitet eine Firma eine Betreibung ein, kann man diese innert zehn Tagen per Rechtsvorschlag stoppen. Das geht beim Pöstler beim Empfang des Zahlungsbefehls persönlich, vor Ort beim Betreibungsamt oder mit einem weiteren Musterbrief des K-Tipp: www.ktipp.ch.