Es geschah auf der Kantonsstrasse zwischen Reigoldswil und Ziefen BL: Ein brandneuer Gelenkbus der Autobus AG Liestal kam im Sommer 2009 von der Strasse ab, durchfuhr ein Bachbett und kam an einem Waldrand zum Stillstand. Die Buspassagiere blieben unverletzt, aber der Chauffeur trug eine blutende Wunde am Kopf davon. Die Polizei teilte mit, der Unfall habe sich deshalb ereignet, weil der Chauffeur «kurzzeitig das Bewusstsein verloren» habe.
Was in der Polizeimeldung nicht stand: Der Unfall ereignete sich in der Nähe einer Starkstromleitung, welche die Kantonsstrasse überquert. Immer mehr Fachleute vermuten, dass Stromleitungen bei Verkehrsunfällen eine Rolle spielen könnten. Der Präventivmediziner Martin Röösli vom Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut ist Mitautor einer Studie, die vor einem Jahr bei einem Kongress in Belgien vorgestellt wurde. Die Forscher untersuchten Tausende von Unfällen auf den Schweizer Autobahnen, bei denen die Polizei einen Schwächezustand des Lenkers, Übermüdung oder Sekundenschlaf als Unfallursache ermittelt hatte. Röösli sagt, dass elektromagnetische Strahlen, wie sie Starkstromleitungen aussenden, «die Nerven aktivieren können». Es sei bekannt, dass starke Magnetfelder eine kurze Bewusstlosigkeit auslösen könnten.
Frick AG: Viele Unfälle wegen Schwächeanfall
Den Forschern fiel auf, dass an einer Stelle der Autobahn A3 bei Frick AG besonders viele Unfälle passierten, welche die Polizei auf einen Schwächezustand der Lenker zurückführte. In der Datenbank des Bundesamts für Strassen fanden sich neun Berichte von Unfällen an dieser Stelle aus den Jahren 2002 bis 2012 (siehe Kasten). Ein zweiter Schwerpunkt liegt bei Fully VS.
Das Forscherteam verglich die Unfallzahlen mit dem Stromleitungsnetz. Dabei zeigte sich: Bei Frick kreuzen sich zwei Leitungen in der Nähe der Stelle, bei der besonders viele Autounfälle passiert sind. An dieser Stelle massen die Forscher Werte, die über dem Grenzwert von 1 Mikrotesla liegen.
Laut Röösli können nicht nur elektrosensible Autofahrer in der Nähe von Hochspannungsleitungen einen Schwächeanfall erleiden: «Es gibt keine Hinweise, dass Elektrosensible anders auf Magnetfelder reagieren als andere Personen.»
Weder Autolenker noch Polizisten können laut den Forschern eine kurze Bewusstlosigkeit am Steuer vom Sekundenschlaf oder von Schwächezuständen unterscheiden. Daher gebe es in der Statistik keine besondere Kategorie für Unfälle wegen einer kurzen Ohnmacht.
«Mobilfunkstrahlen stören Hirnfunktionen»
Auch die Mobilfunkstrahlen von Handys und Handymasten stehen im Verdacht, bei Verkehrsunfällen eine Rolle zu spielen. Allerdings gibt es dazu wenig Belege. Der St. Galler Bauökologe Hansueli Stettler sammelt seit Jahren Berichte von Unfällen, bei denen er Elektrosmog als Ursache vermutet. Diese dokumentiert er detailliert auf seiner Website. Auf Plänen sind die Standorte von Mobilfunksendern und Stromleitungen in der Nähe der Unfallorte eingezeichnet, und vor Ort misst er den Elektrosmog. Stettlers Befürchtung: Neue, stärkere Mobilfunksender könnten dazu führen, dass noch mehr Leute verunfallen.
Der Elektrosmog-Experte Peter Schlegel sagt: «Viele Studien zeigen, dass Mobilfunkstrahlung die Hirnfunktionen beeinträchtigt.» Allerdings sei es schwierig zu beweisen, dass die Strahlung die von Hansueli Stettler dokumentierten Unfälle verursacht hat. Studien dazu gibt es keine. Für Stettler ist trotzdem klar, dass die Behörden das Problem nicht erkennen: «Einflüsse von elektromagnetischen Strahlen kommen in deren Betrachtungsweise nicht vor.»
Eine Sprecherin der Firma Swissgrid, welche die Schweizer Stromleitungen besitzt, sagt: Es sei nicht bewiesen, dass Magnetfelder von Leitungen zu Unfällen führen. Swissgrid halte die «strengen gesetzlichen Grenzwerte» ein. Diese seien so festgelegt, dass von den Leitungen keine Gefahr ausgehe. Und das Bundesamt für Strassen sagt, es sei bestrebt, Unfallschwerpunkte zu entschärfen. Die Stellen bei Frick und Fully seien aber nicht als Unfallschwerpunkte aufgefallen.
Die Autobahn bei Frick AG: Unfälle bei der Starkstromleitung
8. Juni 2002, 19.45 Uhr, Frick: Unfall mit Leichtverletzten
16. August 2003, 7.10 Uhr, Frick: Unfall ohne Leichtverletzten
12. November 2005, 4.10 Uhr, Oeschgen: Unfall mit Leichtverletzten
14. Juli 2006, 6.48 Uhr, Oeschgen: Unfall mit Leichtverletzten
9. Mai 2008, 11.40 Uhr, Frick: Unfall mit Leichtverletzten
19. August 2010,14.40 Uhr, Frick: Unfall mit Leichtverletzten
29. Januar 2011, 3 Uhr, Oeschgen: Unfall mit Schwerverletzten
15. März 2011, 22 Uhr, Frick: Unfall mit Leichtverletzten
13. April 2012, 16.22 Uhr, Frick: Unfall mit Leichtverletzten
Quelle: Bundesamt für Strassen