Roland Grieder vollbrachte eine Pionierleistung, auf die er nicht besonders stolz ist: Er ist der erste Unternehmer der Schweiz, der für seine Firma beim Gericht ein Gesuch um eine sogenannte «Covid-19-Stundung» stellte. Seine Gradual Consulting GmbH verkauft digitale Lösungen bei Rechtsfällen und Versicherungsschäden. Das Bezirksgericht Zürich bewilligte die Stundung am 4. Mai. Das bedeutet: Grieders GmbH kann während der nächsten drei Monate nicht betrieben werden. Auch eine Konkurseröffnung ist nicht möglich. Die Stundung kostete Grieder 500 Franken Gerichtskosten.
Die neue Stundungsmöglichkeit gibt es erst seit dem 20. April. Damit will der Bundesrat verhindern, dass Firmen reihenweise wegen des momentanen Umsatzeinbruchs zahlungsunfähig werden und Konkurs anmelden müssen. Das spezielle Verfahren ist einstweilen auf sechs Monate bis zum 20. Oktober begrenzt.Es steht den rund 600 000 Einzelunternehmen und KMU offen, die Ende 2019 nicht überschuldet waren (siehe Kasten). Als kleine und mittlere Unternehmen gelten Betriebe mit weniger als 250 Mitarbeitern.
Grieders Firma gibt es seit 2014. Vergangenes Jahr war sie wegen eines Rechtsstreits über 250 000 Franken in finanzielle Schieflage geraten. «Wir waren auf einem guten Weg mit dem Abzahlen, dann kamen die Massnahmen des Bundesrates wegen Corona», sagt der 51-jährige Familienvater. «Der Umsatz brach ein, Investoren sprangen ab.»
Mittlerweile hat der Unternehmer einen von drei Angestellten entlassen und die Geschäftsräume gekündigt. Er sucht Investoren und versucht, neue Kunden zu akquirieren. «Ich hoffe, dass sich die wirtschaftliche Situation mit den bevorstehenden Lockerungsmassnahmen erholen wird.» Falls nicht, droht seiner Firma der Konkurs.
So funktioniert die «Covid-19-Stundung»
Das neue Verfahren steht Einzelunternehmen, Kollektivgesellschaften, GmbHs, AGs, Vereinen sowie Stiftungen offen. Ausgeschlossen sind Privatpersonen, börsenkotierte Unternehmen und Grossfirmen.
Die Stundung ist nur möglich, wenn das Unternehmen nicht bereits Ende 2019 überschuldet war oder wenn Gläubiger im Umfang der Überschuldung auf ihre Forderung verzichten (Rangrücktritte).
Zuständig ist das Nachlassgericht am Wohnsitz des Einzelunternehmers oder am Sitz des Unternehmens. Mit dem Gesuch sind Bilanz und Erfolgsrechnung des Jahres 2019 einzureichen. Fehlen diese, muss man mit anderen Unterlagen (Debitoren-, Gläubiger- und Inventarlisten) belegen, dass die Firma Ende 2019 nicht überschuldet war.
Die Verfahrenskosten können zwischen 200 und 2500 Franken betragen.
Die Stundung beträgt maximal drei Monate. Sie kann einmal um weitere drei Monate verlängert werden.
Das Gericht publiziert die «Covid-19-Stundung» im Schweizerischen Handelsamtsblatt (SHAB) und im kantonalen Amtsblatt. Zusätzlich muss die Firma ihre Gläubiger schriftlich oder per E-Mail über die Stundung informieren.
Die Stundung bewirkt einen Betreibungsstopp. Er gilt für alle Schulden, die vor der bewilligten Stundung entstanden sind. Ausgenommen sind Lohn- und Alimentenschulden sowie Pensionskassenbeiträge. Schulden, die nach der Stundungsbewilligung entstanden sind, fallen nicht unter die Stundung und müssen bezahlt werden.
Die Firma kann ihre Geschäftstätigkeit ohne Einschränkungen weiterführen. Ausnahme: Für den Verkauf von Anlagevermögen wie Liegenschaften und Maschinen braucht es die Zustimmung des Nachlassgerichts.
Weitere Infos liefert die private Website www.notrecht-praxis.ch der Holenstein Rechtsanwälte AG. Darauf befinden sich auch Merkblätter und Formulare für Gesuche in den Kantonen AI, BS, NW, UR, ZG und ZH.