Christian Roth hat ein Malergeschäft in Uster ZH. Sein Mitarbeiter erkrankte Mitte 2015 schwer. Er wurde arbeitsunfähig und verstarb nach einem halben Jahr. Der Betrieb hatte das Krankentaggeld bei der Groupe Mutuel versichert. Allerdings: Die Versicherung bezahlte bis zum Tod von Roths Mitarbeiter nichts. Stattdessen forderte sie von Christian Roth und den Ärzten immer wieder neue Unterlagen.
Der Geschäftsinhaber hatte seinem Mitarbeiter die Taggelder von total rund 20 500 Franken vorgeschossen. Sonst hätte dieser nichts mehr zum Leben gehabt. Nach dem Tod des Angestellten behauptete die Groupe Mutuel, der Mitarbeiter habe im Fragebogen, den er bei der Anstellung ausfüllen musste, eine medizinische Behandlung verschwiegen. Daher verweigerte sie die Leistung. Der Rechtsschutzfonds des K-Tipp unterstützte Roth. Sein Anwalt bestritt, dass der Maler den Fragebogen falsch ausgefüllt hatte. Zudem hätte die Groupe Mutuel laut Gesetz innert vier Wochen reagieren müssen, um die Leistung wegen einer falschen Auskunft zu streichen. Diese Frist hatte der Konzern verpasst.
Malermeister schaltete Friedensrichter ein
Zwei Jahre nach der Erkrankung bezahlte die Versicherung schliesslich doch – nach langem Hin und Her und in mehreren Tranchen. Die letzten rund 4000 Franken musste der Malermeister beim Friedensrichter einklagen. Kurz vor der Verhandlung überwies die Groupe Mutuel den Betrag.
Ihr Sprecher Christian Feldhausen sagt: «Grundsätzlich sehen wir aus Sicht der Versicherten keine grösseren Schwierigkeiten, berechtigte Ansprüche durchzusetzen.»
Auch eine Witwe aus Fällanden ZH musste sich gegen die Zermürbungstaktik ihrer Versicherung wehren. Ihr Mann kam nach einer Wanderung in Zermatt VS abends nicht nach Hause. Die Frau alarmierte die Polizei. Ein Rettungstrupp und die Air Zermatt suchten nach dem Vermissten. Auch ein Heli der Zürcher Polizei wurde aufgeboten, um das Handy des Vermissten zu orten. Am nächsten Tag wurde der Mann gefunden. Er war abgestürzt, hatte sich schwer verletzt und starb, bevor er gefunden wurde.
Der Verunglückte war bei der Helsana grund- und zusatzversichert. Auch Rettungen und Bergungsflüge waren eingeschlossen. Die Such- und Bergungsaktion in Zermatt hatte 33 000 Franken gekostet. Die ersten 5000 Franken fallen unter das Obligatorium, der Rest unter die Zusatzversicherung. Doch die Helsana zahlte nur 2000 Franken für die Bergung. Begründung: Es habe sich in diesem Fall um eine Suche und nicht um eine Rettung gehandelt.
Die Witwe erinnert sich: «Ich stand damals unter Schock und war in Trauer. Mir fehlte die Kraft, mich zu wehren.» Ein Freund riet ihr, sich beim K-Tipp zu melden. Dieser übernahm die Kosten für einen Anwalt (siehe unten).
Der Anwalt erhob Einsprache bei der Helsana. Es dauerte schliesslich über zwei Jahre, bis die Versicherung alles zahlte. Der Anwalt musste der Helsana bei der Zusatzversicherung sogar noch eine Betreibung schicken, um zu verhindern, dass die Forderung verjährte. Die Krankenkasse war nicht bereit, einen Verjährungsverzicht zu unterschreiben. Helsana-Sprecher Stefan Heini sagt dazu, Streitfälle könnten nie ausgeschlossen werden. Die Versicherung vergüte pro Woche rund 100 Millionen Franken. Der grösste Teil betreffe eindeutige Fälle.
Versicherungen halten ihre Kunden hin
Die zwei Fälle zeigen, wie Versicherungen handeln. Sie halten Kunden teilweise so lange hin, bis eine Forderung verjährt. Sie zwingen Versicherte, auf eigenes Risiko einen Anwalt zu beauftragen.
Klar ist: Die Versicherungen sitzen am längeren Hebel. Sie haben nicht nur viel Geld, um Juristen und Ärzte anzustellen. Auch hohe Prozesskosten schrecken sie nicht ab. Anders die Versicherten: Sie haben meist wenig Ahnung von Juristerei und Medizin. Vielen fehlt das Geld für einen Anwalt. Für die Versicherung ist es somit ein Leichtes, eine rechtmässig geschuldete Leistung zu verweigern.
Trotzdem sind es nicht die Versicherungen, die in den Medien regelmässig unter Beschuss kommen, sondern die Kunden. Zahlen sie nicht nur Prämien, sondern fordern sie auch mal Leistungen, laufen sie Gefahr, als Simulanten und Betrüger verdächtigt zu werden. Bereits bei der Gründung der Schweizer Unfallversicherung Suva im Jahr 1912 orakelten die Gegner, dass «die Unfallheuchelei ins Ungemessene» wachsen werde. Fakt ist aber: Laut der Suva-Unfallstatistik ging die Zahl der Unfälle im Verhältnis zur Zahl der Berufstätigen in den vergangenen dreissig Jahren zurück.
Dennoch klagen Versicherungen über den «Missbrauch» von Leistungen. IV und Unfallversicherungen liessen immer wieder Versicherte durch Privatdetektive überwachen. Das war im Gesetz nicht vorgesehen. Deshalb stoppte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2016 diese ungesetzliche Praxis. Er beurteilte die verdeckte Überwachung einer Schweizerin durch die Zürich-Versicherung als unrechtmässig. Zu diesem Schluss kam im Juli 2017 auch das Bundesgericht.
Auf Druck der Versicherungslobby beschloss das Parlament dann aber im Eiltempo ein neues Gesetz: Sowohl der Ständerat als auch der Nationalrat hiessen es im letzten März gut. Demnach sollen Krankenkassen, Suva, private Unfallversicherungen, die IV und andere Sozialversicherungen ihre Kunden bei Verdacht mit Detektiven ausspionieren dürfen. Gegen das neue Gesetz hat eine Gruppe von Privatpersonen das Referendum ergriffen.
Kurt Pärli ist Professor an der Universität Basel und sagt zum Vorgehen des Parlaments: «Eigentlich hätte das Gesetz die Macht der Sozialversicherungen hemmen sollen.» Passiert sei das Gegenteil. Denn: «Die Versicherungen haben eine starke Lobby im Parlament.» Er fordert: «Die Versicherten müssen sich stärker organisieren, um sich durchzusetzen.»
Der K-Tipp bietet Rechtsschutz
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K-Tipp, «Leserservice» Postfach 431 8024 Zürich
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