Sie stand bislang nicht im Ruf, den Betreibern von Atomkraftwerken das Leben schwer zu machen. Doch inzwischen wählt selbst die Schweizer AKW-Aufsicht Ensi deutliche Worte. Direktor Hans Wanner: «Wir dürfen nicht zulassen, dass politische und wirtschaftliche Überlegungen zu Abstrichen bei der Sicherheit der Kernkraftwerke führen.»
Wanner kritisiert, dass in der AKW-Debatte statt der Sicherheit zunehmend die Wirtschaftlichkeit im Zentrum steht. Und weil es um diese – aufgrund der tiefen Strompreise – schlecht steht, müsse man kein Prophet sein, um die Gefahr zu erkennen, dass nur noch minimal in die AKW-Sicherheit investiert wird.
Das sind nicht gerade beruhigende Aussichten – zumal die Schweizer AKW schon ziemlich in die Jahre gekommen sind: Beznau I, zurzeit wegen «Unregelmässigkeiten» im Reaktordruckbehälter nicht am Netz, ist mit 47 Betriebsjahren das älteste Atomkraftwerk der Welt. Aber auch Mühleberg und Beznau II mit rund 45, Gösgen mit 37 und Leibstadt mit 32 Betriebsjahren sind keine Jungspunde mehr. Die Umweltorganisation Greenpeace spricht schonungslos von einem «atomaren Altersheim».
Das Parlament scheints nicht zu kümmern. Es schenkte der Aufforderung der Aufsichtsbehörde Ensi kein Gehör, die AKW-Betreiber gesetzlich zu verpflichten, für über 40-jährige Anlagen ein Langzeitbetriebskonzept zur Gewährleistung der Sicherheit einzureichen. Und es war auch nicht bereit, wenigstens für die ältesten AKW eine Laufzeitbeschränkung festzulegen.
Ende 2014 hatte der Nationalrat zu beidem noch Ja gesagt. Doch der Ständerat versagte ihm im Herbst 2015 die Gefolgschaft. Und diesen Frühling krebste die neu gewählte grosse Kammer zurück: Die 118 Nationalratsmitglieder, die sowohl Langzeitbetriebskonzepte als auch Laufzeitbegrenzungen versenkten, stammten aus den Fraktionen von SVP (66), FDP (31), CVP (20) und BDP (1).
Direkte Kontakte zur Atomwirtschaft
Das lässt erahnen: Zumindest im bürgerlichen Lager hat die AKW-Lobby wieder einiges zu sagen. Der Ständerat als Kammer der Kantonsvertreter ist ihren Interessen ohnehin gewogen. Denn die Kantone bzw. ihre Elektrizitätswerke sind massgeblich beteiligt an den Stromkonzernen Axpo, Alpiq und BKW – und damit an den Allein- und Mitbesitzern der Schweizer AKW.
Mindestens 11 Stände- und 47 Nationalräte haben direkte Kontakte zur Atomwirtschaft. So sind zum Beispiel SVP-Fraktionschef Adrian Amstutz und CVP-Fraktionschef Filippo Lombardi ebenso wie SVP-Präsident Albert Rösti, FDP-Präsidentin Petra Gössi und CVP-Präsident Gerhard Pfister Mitglied der höchst AKW-freundlichen Aktion für eine vernünftige Energiepolitik (Aves).
Dort treffen sie auf 38 weitere Parlamentsmitglieder – etwa auf FDP-Nationalrätin Corina Eichenberger, die noch anderen Pro-Kernkraft-Organisationen angehört und den Nagra-Verwaltungsrat präsidiert. Oder auf FDP-Nationalrat Bruno Pezzatti und CVP-Ständerat Pirmin Bischof, die beide im Verwaltungsrat des AKW Gösgen sitzen. Mit BDP-Nationalrat Urs Gasche ist aber auch das AKW Mühleberg im Parlament vertreten: Gasche ist Verwaltungsratspräsident der Mühleberg-Besitzerin BKW.
Die AKW-Betreiber haben es also leicht, ihre Interessen ins Parlament einzubringen. Kein Wunder, dürfen sie ihre alten Kraftwerke einstweilen ohne zusätzliche Auflagen weiter betreiben. Was das heisst, bringt die Schweizerische Energie-Stiftung auf den Punkt: «Fünf Jahre nach Fukushima nehmen die nuklearen Risiken für die Schweizer Bevölkerung paradoxerweise weiter zu statt ab.»
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