Verwirrliche Discount-Tarife
Wirrwar beim Zugfahren: Was verlockend tönt und beim Fliegen gang und gäbe ist, könnte auf Schweizer Schienen zu einem Tarifdurcheinander wie in Deutschland führen.
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K-Tipp 13/2006
23.08.2006
Otto Hostettler - otto.hostettler@ktipp.ch
Kurios, aber möglich: Zwei Reisende mit einem Halbtax-Abo im gleichen Zug zwischen Zürich und Locarno, der eine mit einem Billett für Fr. 27.50, der andere mit einem Billett für 14 Franken. Ärgerlich für den, der mehr bezahlt hat: Er hat die deutlich günstigere Fahrkarte im Angebot der SBB nicht gefunden. Unter dem Begriff «Click & Rail» verkaufen die SBB nämlich «unglaublich günstige Billette in der 2. Klasse bereits ab 9 Franken», wie es in der Eigenwerbung heisst.
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Kurios, aber möglich: Zwei Reisende mit einem Halbtax-Abo im gleichen Zug zwischen Zürich und Locarno, der eine mit einem Billett für Fr. 27.50, der andere mit einem Billett für 14 Franken. Ärgerlich für den, der mehr bezahlt hat: Er hat die deutlich günstigere Fahrkarte im Angebot der SBB nicht gefunden. Unter dem Begriff «Click & Rail» verkaufen die SBB nämlich «unglaublich günstige Billette in der 2. Klasse bereits ab 9 Franken», wie es in der Eigenwerbung heisst.
Diese «Top-Preis-Angebote» gibts nur auf einzelnen, täglich wechselnden Zügen ausserhalb der Pendlerzeiten. Und nur auf den Strecken
- Genf-Bern-Zürich
- Genf-Biel-Basel
- Genf-Brig
- und zwischen Basel/Zürich und dem Tessin.
Der Hindernisse nicht genug: Am Schalter gibts diese Tickets nicht - erhältlich sind sie nur übers Internet, wofür Kunden aber auch noch eine Kreditkarte brauchen (http://mct.sbb.ch/mct/ reisemarkt/billette/clickrail. htm). Und: Pro Zug sind nur gerade 20 Plätze zu haben. Wer kurzfristig einen anderen Zug nehmen will oder muss, hat Pech gehabt: Das Ticket verfällt.
«Tarifchaos» bei der Deutschen Bahn
Was in der Luftfahrt seit Jahren zur besseren Sitzplatzauslastung praktiziert wird, erobert zunehmend auch die Bahnwelt. Zwar konnte so die Schiene auf internationalen und langen nationalen Strecken (Frankreich, Deutschland) Marktanteile von den europäischen Billigfliegern zurückgewinnen.
Doch die Erfahrungen in Italien sind aus Kundensicht wenig erbauend. Dort wurde Anfang Jahr mit einem neuen Tarifsystem die Reservationspflicht eingeführt. Billette sind im Fernverkehr nur noch für den gebuchten Zug gültig, der Preis variiert je nach Wochentag und Tageszeit.
Wo solche Marktpreismodelle hinführen können, zeigt die Deutsche Bahn. Die Fahrgastvereinigung Pro Bahn Deutschland bezeichnet das Preissystem längst als «Tarifchaos». Kein Wunder: Hier gibt es inzwischen Ermässigungen, Sonderrabatte, Aktionen, Globalpreise, Treueprämien - und natürlich Zuschläge und Aufpreise. Die Folge: Kunden blicken nicht mehr durch und Verkäufer oft auch nicht.
Auch wenn bei den SBB of?ziell niemand davon sprechen will, dass auch in der Schweiz dereinst die Destinationen und nicht mehr die Kilometer die Tarife bestimmen könnten: Intern ist ein Marktpreismodell immer wieder ein Thema.
Schweizer System: «Fantastisch»
«Maximierung der Belegung, Optimierung der Einnahmen und Sitzplanbewirtschaftung der Nachbarbahnen konfrontieren die SBB», schreibt der ehemalige Direktor des Verbandes öffentlicher Verker (VÖV), Carlo Pfund, in einer Analyse zu den Angeboten und Preisen der SBB im Vergleich mit dem benachbarten Ausland.
Pfund, ein ausgewiesener Kenner der Bahnszene, warnt davor, dass sich die SBB französische, deutsche oder italienische Preismodelle zum Vorbild nehmen könnten. Das Schweizer System ohne Sitzplatzreservierung sei «fantastisch». Pfund: «Das dürfen wir nicht einfach so aufgeben.»
Täglich 200 verkaufte Discount-Billette
Bei den SBB gibt es unterschiedliche Hinweise, wie sich das Preissystem entwickeln wird. Paul Blumenthal, Leiter des Personenverkehrs, äusserte sich neulich beschwichtigend: «Auch zukünftig werden die SBB auf eine Reservationspflicht und damit auf systematische zeitliche Preisdifferenzierungen verzichten.» Und im Anhang zum Bericht von Carlo Pfund schreiben die SBB sogar: «Das Angebots- und Preissystem der SBB ist ein Erfolgsmodell. Grundsätzliche Änderungen würden den Kundenwünschen nicht Rechnung tragen.»
Allen of?ziellen Beteuerungen zum Trotz, die Absicht der SBB ist unklar. Mit den täglich verkauften rund 200 «Click & Rail»-Tickets lässt sich auf alle Fälle die Sitzplatzauslastung in den Schweizer Zügen wenig beeinflussen. Zudem sind sie wenig kundenfreundlich. Carlo Pfunds Vermutung: Auch die SBB müssten halt mit Billigangeboten auf dem Markt präsent sein.