Viel Geld für wenig Sicht
Wie viel vom Spielfeld sieht ein Fussballfan eigentlich? Im Hinblick auf die Euro 08 testete der K-Tipp die zwei grössten Schweizer Fussballarenen in Bern und Basel. Klarer Sieger ist der St. Jakob-Park.
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K-Tipp 15/2007
19.09.2007
Thomas Heer
Stade de Suisse, Sektor A2, Reihe 20, Sitz 103: Von hier aus geniesst der Besucher eine wunderbare Sicht auf den knapp 1000 Meter hohen Berner Aussichtsberg, den Bantiger. Der Haken dabei: Die tolle Naturkulisse tröstet den Besucher auf Sitz 103 nicht darüber hinweg, dass er einen Grossteil des Spielfelds nicht sehen kann (siehe Bild oben). Und zahlreichen Sitznachbarn geht es nicht viel besser. Auch sie können das Geschehen auf Berns Kunstrasen über weite Strecken nur erahne...
Stade de Suisse, Sektor A2, Reihe 20, Sitz 103: Von hier aus geniesst der Besucher eine wunderbare Sicht auf den knapp 1000 Meter hohen Berner Aussichtsberg, den Bantiger. Der Haken dabei: Die tolle Naturkulisse tröstet den Besucher auf Sitz 103 nicht darüber hinweg, dass er einen Grossteil des Spielfelds nicht sehen kann (siehe Bild oben). Und zahlreichen Sitznachbarn geht es nicht viel besser. Auch sie können das Geschehen auf Berns Kunstrasen über weite Strecken nur erahnen.
Schuld an dieser unbefriedigenden Situation ist der Vorbau des Logenbereichs. Wie eine Kanzel wölbt er sich ins Stadioninnere. Das heisst: Je weiter oben und je näher der Sitzplatz an der Wand des Vorbaus liegt, desto weniger sieht der Fan. Charles Beuret, Sprecher der Stadion-Eignerin, der Stade de Suisse Wankdorf Nationalstadion AG, erklärt: «Die angesprochenen Plätze kommen gar nicht in den Verkauf.»
Das stimmt, aber nur zum Teil. Dann nämlich, wenn die Young Boys (YB) ihre Heimspiele austragen und das Stadion nicht ausverkauft ist. Die miserablen Plätze bleiben dann verwaist.
Anders sieht es aus, wenn der Schweizerische Fussballverband (SFV) das Stadion für Länder- oder Cupspiele mietet.
«Nicht schön für jene, die es betrifft»
Aber auch in anderen Sektoren gibts Probleme: Am vergangenen 28. Mai sass Rolf Waltert im Stade de Suisse, mit einer Kapazität von 32 000 Zuschauern die zweitgrösste Fussballarena der Schweiz. Waltert verfolgte den Cupfinal zwischen dem FC Basel und dem FC Luzern. Für 100 Franken sicherte er sich einen Platz in der zweiten Reihe von Sektor C. Die meiste Zeit aber verfolgte Waltert den Match – wie übrigens viele andere Besucher auch – stehend von der Zwischenetage aus. Aus jenem Bereich also, wo sich die Essstände und die Toiletten befinden. Waltert, immerhin 1,84 Meter gross, ärgert sich noch heute: «Von meinem Sitzplatz aus konnte ich nicht das ganze Spielfeld überblicken. Die Werbebanden versperrten mir die Sicht. Ich verstehe nicht, dass man ein solches Stadion bauen kann.»
Die angesprochenen Banden sind 101 Zentimeter hoch. Aber im Gegensatz zum St. Jakob-Park in Basel befinden sich die Werbeflächen in Bern weiter weg von den Zuschauerplätzen. Ein Teil des Spielfeldes wird dadurch verdeckt.
SFV-Generalsekretär Peter Gilliéron kennt die Verhältnisse im Stade de
Suisse genau: «Wir wissen von diesen problematischen Plätzen. Das ist nicht schön für jene, die es betrifft.»
Um den Schaden für die zahlenden Besucher möglichst gering zu halten, teilt der SFV die schlechten Sitze in erster Linie «eigenen» Leuten zu. Wie umschifft YB bei den Meisterschaftsspielen diese Sichtbehinderungen im Sektor C? Stade-de-Suisse-Sprecher Beuret sagt: «Normalerweise verkaufen wir die Sitze in der ersten Reihe nicht.» Wie der Fall Waltert allerdings zeigt: Selbst in der zweiten Reihe ist die Sicht eingeschränkt.
Reduzierte Preise für schlechte Plätze
Während der Saison 05/06 spielte der FC Thun in der Champions League und im Uefa-Cup. Für die Heimspiele mieteten die Berner Oberländer das Stade de Suisse und spielten viermal vor ausverkauftem Haus. Um die Fans nicht zu enttäuschen, gaben die Thuner einen Teil der Tickets zu stark reduzierten Preisen ab. Dazu Marco Oswald, Verwaltungsrat in der FC Thun Betriebs AG: «Das Angebot richtete sich an Leute, die einfach dabei sein und die Stimmung geniessen wollten. Sie nahmen die eingeschränkten Sichtverhältnisse in Kauf.»
Keine guten Erinnerungen ans Stade de Suisse hat Rolf Wicki. Der eingefleischte FC-Basel-Fan besuchte am 5. August 2007 in Bern das Auswärtsspiel seiner Lieblingself. Wicki kaufte ein Ticket im sogenannten Gästesektor. Sein Eindruck: Vor allem im untersten Bereich stört die massive Vergitterung die Sicht aufs Spielfeld beträchtlich. Wicki beschwerte sich nach dem Spiel bei den Veranstaltern. YB stellte ihm darauf für den nächsten Matchbesuch ein Gratisticket in Aussicht. Für den FCB-Fan steht fest: Die Sichtverhältnisse im St. Jakob-Park (40 000 Zuschauer) sind wesentlich besser.
In der Tat: Als der K-Tipp die grösste Schweizer Fussballarena in Basel besuchte, sah man fast von jedem Winkel des Stadions aus aufs gesamte Spielfeld. Kleine Einschränkungen gabs einzig im Bereich der Pfeiler, die Dach und Zwischenböden stützen.
Ähnlich wie in Bern liegen die ungünstigen Plätze in unmittelbarer Nachbarschaft zum VIP-Bereich. Doch anders als im Stade de Suisse müssen sich Besucher nur auf ganz wenigen Sitzen mit geringfügigen Sichtbehinderungen abfinden. Auch aus den abgesperrten Sektoren – zum Beispiel der Muttenzer Kurve – ist die Sicht besser als im Gästesektor von Bern.
«Hundertprozentige Sicht aufs Spielfeld»
Während der Euro 08 finden in Bern und Basel 9 der ingesamt 15 Partien in der Schweiz statt. Gemäss Turnierdirektor Christian Mutschler werden die Stadien im Vergleich zu heute anders eingeteilt sein. Mutschler spricht von zaunfreien Arenen. Er verspricht hundertprozentige Sicht aufs Spielfeld – und zwar für alle. Der K-Tipp wird diese Aussage überprüfen.