Viel saurer Most und wenige Perlen
Bereits für 9 Franken kann man in den Läden einen guten Weisswein kaufen. Und: Doppelt so teure Weine müssen nicht besser sein, wie eine K-Tipp-Degustation zeigt.
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K-Tipp 5/2006
08.03.2006
Stephan Dietrich - stephan.dietrich@ktipp.ch
Kurz vor Schluss der K-Tipp-Degustation kam doch noch Freude auf: Der Château Bonnet 2004, ein weisser Bordeaux von Denner für gerade einmal Fr. 8.95, stiess bei Experten und auch bei Laien auf Wohlgefallen. Mit 15,8 von 20 möglichen Punkten ging er als klarer Sieger hervor. «Den würde ich sofort kaufen», sagte die Winzerin und Weinhändlerin Gabriela Perret begeistert.
Bei den meisten anderen Weinen waren die zehn Degustatoren (je fünf Frauen und Männer) froh, dass sie den Wein a...
Kurz vor Schluss der K-Tipp-Degustation kam doch noch Freude auf: Der Château Bonnet 2004, ein weisser Bordeaux von Denner für gerade einmal Fr. 8.95, stiess bei Experten und auch bei Laien auf Wohlgefallen. Mit 15,8 von 20 möglichen Punkten ging er als klarer Sieger hervor. «Den würde ich sofort kaufen», sagte die Winzerin und Weinhändlerin Gabriela Perret begeistert.
Bei den meisten anderen Weinen waren die zehn Degustatoren (je fünf Frauen und Männer) froh, dass sie den Wein ausspucken durften und nicht trinken mussten. Nur zwei Weine erhielten das Prädikat gut - also mehr als 15 Punkte -, einen Drittel der geprüften Weine bezeichnete die Jury als zum Teil «stark fehlerhaft oder überaltert».
Zur Auswahl standen insgesamt 15 populäre Weissweine verschiedener Rebsorten. Sie stammten aus der Schweiz, Frankreich, Italien und Spanien (siehe Tabelle).
Die Weine eingekauft hat der K-Tipp bei Aldi, Coop, Denner, Globus, Manor und Volg. 12 dieser Weine haben weniger als Fr. 10.- pro Flasche gekostet. Die meisten der in der Schweiz konsumierten Weine liegen in dieser Preiskategorie.
Chasselas: «Gut» war nur der teuerste
Zu den zwölf Weinen wurden drei Flaschen aus der Preiskategorie Fr. 15.- bis Fr. 19.- «geschmuggelt» - weder Laien noch Experten waren im Vorfeld der Degustation darüber informiert worden. Von diesen drei teureren Weinen vermochte bloss einer zu überzeugen: der St-Saphorin von Coop für Fr. 16.50. Er liess die anderen, günstigeren Chasselas-Weine deutlich hinter sich.
Auf dem letzten Gesamtplatz figuriert ebenfalls ein Chasselas von Coop - der Fendant Les Moulins 2005. «Seine blumigen Aromen in Verbindung mit einem Hauch Feuerstein verdoppeln sich in runden, leckeren Geschmacksnoten perfekter Harmonie», heisst es vollmundig auf der Etikette.
Die Laien-Degustatoren entdeckten etwas andere Aromen. «Saurer Most» haben gleich zwei als wenig schmeichelhaftes Attribut genannt. Mit der Durchschnittsnote von 8,8 fand der Coop-Fendant bei ihnen keine Gnade. Die Experten beurteilten ihn als «säurearm», «neutral» und entdeckten einen «Butterton». Ihr Gesamturteil war mit 13,1 Punkten weit gnädiger.
Wie kommen diese grossen Unterschiede bei der Beurteilung zwischen Profis und Amateuren zustande? «Experten beurteilen Weine nach den für diese Traubensorte typischen Charakteristika», erklärt Fachmann Jürg Gafner von der Weinforschungsanstalt in Wädenswil ZH. Ist dieser Wein korrekt gemacht? So lautet für sie die Frage. Bei den Laien spielten hingegen persönliche Vorlieben und das Wiedererkennen früherer Wahrnehmungen eine grössere Rolle: Jemand, dem zum Beispiel die typischen Merkmale von Chasselas-Trauben nicht zusagen, werde einen Fendant oder Féchy automatisch schlechter bewerten, sagt Experte Gafner.
Das umgekehrte Beurteilungsbild lieferte der Chardonnay Rosière von Carrefour. Anders als die Laien («langer Abgang», «körperreich», «süffig») fanden die Experten keine schönen Worte für den Wein. «Vergammelt», «dumpf» und «fischelig», liest man in ihren Bewertungen. Da hilft es auch nicht, dass es zum Rosenwein gratis ein Säckchen mit Blumensamen gibt.
Unterschiede auch bei den Profi-Urteilen
Ob mit oder ohne Blumen: Mit einer Durchschnittsnote von 13,2 urteilten die Laien etwas strenger als die Experten, die auf einen Schnitt von 13,7 Punkten kamen.
Allerdings: Unterschiede gab es nicht nur zwischen Laien und Experten, sondern auch innerhalb der Gruppe der Profi-Degustatoren. Beim bestklassierten Château Bonnet reichten die Bewertungen von 15,5 bis 19 Punkten, beim Fendant von Aldi für knapp Fr. 4.- gar von 13 bis zu 18 Punkten.
So wurden die Weine bewertet
- 12 Weissweine kosteten weniger als Fr. 10.-; drei weitere (Fr. 15.- bis 19.-) wurden separat bewertet (siehe Tabelle).
- Bewertet wurden die Weine wie bei Degustationen üblich mit maximal 20 Punkten. Normalerweise gibts für Farbe, Geruch, Geschmack und Harmonie im Maximum je 5 Punkte.
Der K-Tipp machte eine Ausnahme: Die Farbe erhielt maximal 3 Punkte. Dies, weil sie gerade bei Weissweinen kaum Anlass zu Beanstandungen gibt. Maximal 5 «Farbpunkte» drücken die Gesamtzahl nach oben - ohne dass der Wein besser wird. Zum Ausgleich erhielt die Harmonie - mit maximal 7 Punkten - mehr Gewicht.
Neben fünf Laien nahmen diese fünf Experten an der Degustation teil:
- Jürg Gafner, Leiter Mikrobiologie Agroscope, Eidg. Forschungsanstalt für Obst-, Wein- und Gartenbau, Changins und Wädenswil ZH
- Annatina Pelizzatti, Winzerin, Jenins GR
- Gabriela Perret, Weinhändlerin und -produzentin, Wädenswil ZH
- Hansjürg Zehnder, Lebensmittelingenieur, Wädenswil ZH
- René Zimmermann, Wirt, Rest. Neumarkt, Zürich
Spezialitäten wie Petite Arvine: Kein wahrer Genuss
Immer mehr Schweizer Winzer setzen auf teure Spezialitäten statt auf billige Massenware. Doch auch hier ist Vorsicht geboten: Nicht immer hält der Wein, was die Etikette verspricht.
Bei der Auswahl der in der Schweiz produzierten Degustations-Weine hat der K-Tipp bewusst auf die verbreitetsten Weine und Rebsorten im unteren Preissegment gesetzt. In der deutschen Schweiz ist RieslingxSylvaner (Müller-Thurgau) am beliebtesten, in der Romandie sind es Chasselas-Weine - wie Féchy und Fendant.
Gerade diese Tropfen geniessen bei vielen Weinfreunden nicht den besten Ruf. Kein Wunder: Dank rigorosem Grenzschutz konnten die Schweizer Winzer jahrzehntelang billige Massenware produzieren.
Doch mit der Liberalisierung des Weinmarkts hat ein Umdenken begonnen: Immer mehr Winzerinnen und Winzer begannen, die Erträge pro Hektar zu beschränken und Spezialitäten zu produzieren. Dazu gehört im Wallis etwa die Rebsorte Petite Arvine.
Die Konsumentenzeitschrift «Tout Compte Fait» hat kürzlich sechs solche Weine sowie sechs Rotweine der Rebsorte Humagne Rouge von einer Fachjury degustieren lassen.
Wie bei der Weisswein-Degustation des K-Tipp sind alle Weine bei Grossverteilern sowie Detailhandelsketten erhältlich. Die Preisspanne der von den Romands gekauften und degustierten Weine reichte von Fr. 11.95 bis 18.95.
Resultate: Kein einziger Wein erhielt von der Jury mehr als 14 Punkte (bei maximal 20 Punkten), was die Romands gerade noch als «gut» bezeichnen. Die meisten Noten lagen zwischen 12 und 13, also höchstens «mittelmässig».
Die Bestnote ging ausgerechnet an den günstigsten Wein - den Petite Arvine La Thébanie 2004, bei Denner für Fr. 11.95 erhältlich.
Pech für Coop: Die beiden getesteten Flaschen Petite Arvine Bibacchus für Fr. 18.50 hatten Korken und wurden deklassiert.
Gut fürs Image, schlecht für den Geschmack
Bei der K-Tipp-Degustation hatte eine der fünf Flaschen mit Naturkorkenverschluss «Zapfen» und musste ersetzt werden.
Spezialisten von Agroscope, der Forschungsanstalt für Obst-, Wein- und Gartenbau im zürcherischen Wädenswil, sind dem «Zapfen-Problem» seit Jahren auf der Spur. Hauptschuld am Korkton ist die Chlorverbindung Trichloranisol.
Diese Substanz kann über die Umwelt, durch ein Pflanzenschutzmittel oder durch das Waschen der Korkrinde mit Chlorlauge in den Korken gelangen. Sie ist äusserst geruchsintensiv: Kleinste Mengen reichen aus, um den Weingenuss zu verderben.
Gerade bei Weinen mit kurzer Lagerdauer plädieren Experten deshalb für Alternativen beim Verschluss - etwa für den Drehverschluss. Der sitzt inzwischen auf 60 Prozent aller in der Schweiz abgefüllten Weinflaschen.
Anders in Frankreich: Dort konnte sich dieses System aus Imagegründen nicht durchsetzen. Auch gehört für viele Konsumenten der typische «Plopp»-Ton beim Ziehen des Korkens zum Weinritual.
(sd)