«Was die CSS mit mir macht, ist gemein»
Forderungen aus privaten Versicherungen verjähren schon nach zwei Jahren.<br />
Das Parlament wollte diesen patientenfeindlichen Umstand nicht ändern.
Inhalt
K-Tipp 8/2004
21.04.2004
Ernst Meierhofer - emeierhofer@ktipp.ch
Es geschah auf der Baustelle des McDonald's-Hotels «Golden Arch» im zürcherischen Rümlang. Der damals 42-jährige Maurer Thomas Zumbühl aus Dietikon ZH stürzte von einem Gerüst und verletzte sich an der Wirbelsäule. Mit bleibenden Folgen.
Das war im März 2000. Rund dreieinhalb Jahre später - im Oktober 2003 - erhält er von der Unfallversicherung Suva den Rentenbescheid in Form einer formellen Verfügung.
Zumbühls Invalidität wird darin auf 30 Prozent fe...
Es geschah auf der Baustelle des McDonald's-Hotels «Golden Arch» im zürcherischen Rümlang. Der damals 42-jährige Maurer Thomas Zumbühl aus Dietikon ZH stürzte von einem Gerüst und verletzte sich an der Wirbelsäule. Mit bleibenden Folgen.
Das war im März 2000. Rund dreieinhalb Jahre später - im Oktober 2003 - erhält er von der Unfallversicherung Suva den Rentenbescheid in Form einer formellen Verfügung.
Zumbühls Invalidität wird darin auf 30 Prozent festgelegt, deshalb erhält er künftig eine monatliche Rente. Zudem zahlt die Suva eine Integritätsentschädigung, also eine einmalige Abfindung für den bleibenden körperlichen Schaden; in Zumbühls Fall sind das 7476 Franken.
Mit dieser amtlichen Verfügung wird Zumbühl bei der Krankenkasse CSS vorstellig. Dort hat er eine so genannte UTI-Versicherung abgeschlossen (siehe Kasten), die ihm gemäss Reglement ein einmaliges Unfallkapital von 7000 Franken auszahlen müsste.
Die Verjährung fängt sehr früh an zu laufen
Doch die CSS lässt ihn abblitzen; seine Forderung sei verjährt.
In der Tat beträgt die gesetzliche Verjährungsfrist für solche Fälle nur gerade zwei Jahre. Das ist viel zu kurz und eine Falle für Versicherte - sowie für deren Anwälte (siehe Kasten). Erschwerend kommt dazu, dass das Bundesgericht in diese kurze Frist noch einen weiteren Stolperstein eingebaut hat. Entscheidend ist nämlich, wann die zweijährige Frist zu laufen beginnt. Laut Bundesgericht ist dies der Zeitpunkt, «an dem eine Invalidität als sicher angenommen werden kann».
Im Fall Zumbühl hat ein Suva-Kreisarzt am 17. Juli 2001 in einer Suvainternen Aktennotiz den Integritätsschaden auf 7 Prozent geschätzt. Thomas Zumbühl sagt, davon habe er nie etwas erfahren.
Das ist laut Bundesgericht auch gar nicht nötig. Es schreibt im gleichen Entscheid aus dem Jahre 1992: «Nicht von Bedeutung ist hingegen der Zeitpunkt, an dem der Versicherte von seiner Invalidität Kenntnis erhalten hat.»
Damit öffnen Gesetz und Bundesgericht den Versicherern ein bequemes Hintertürchen - das die CSS auch prompt benützt hat. Die zweijährige Verjährungsfrist habe am 17. Juli 2001 (Bericht des Suva-Kreisarztes) zu laufen begonnen, schrieb sie ihrem Versicherten, und damit seien jetzt - im Oktober 2003 - zwei Jahre vorbei.
Dass die Suva ihre amtliche Verfügung über den Grad der Invalidität erst im Oktober 2003 erlassen hat - das braucht die CSS nicht zu interessieren.
CSS will ihr Vorgehen überprüfen
Das mag rein juristisch korrekt sein. Trotzdem muss sich die CSS den Vorwurf gefallen lassen, sie habe ihren Kunden Zumbühl mit vollem Wissen ins Leere laufen lassen. Denn die Krankenkasse hatte vom Unfall sehr wohl Kenntnis: Zumbühl hatte bei der CSS nicht nur eine UTI-Unfallkapital-Versicherung abgeschlossen, sondern auch ein Taggeld - und aus dieser Deckung zahlte sie ihrem Versicherten Zumbühl drei Jahre lang ein Taggeld.
Wenn jemand während dreier Jahre ein Taggeld bezieht, so lange also zumindest teilweise erwerbsunfähig ist, ist die Wahrscheinlichkeit einer bleibenden Invalidität gross.
Mit anderen Worten: Die CSS hat drei Jahre lang ein Unfalltaggeld gezahlt, sich dann aber beim Unfallkapital (es ist auf der gleichen Versicherungspolice aufgeführt!) auf die Verjährung berufen.
Es könnte durchaus sein, dass ein Gericht dieses Verhalten als rechtsmissbräuchlich einstufen würde.
Für Zumbühl ist der Fall klar: «Einen juristisch unerfahrenen Handwerker so ins Messer laufen zu lassen, ist gemein und hinterhältig.»
Immerhin: Die CSS prüft derzeit Massnahmen, damit solche Fälle in Zukunft nicht mehr vorkommen. Denkbar ist etwa, dass die Sachbearbeiter bei längeren Taggeld-bezügen jeweils von sich aus abklären, ob Ansprüche aus der UTI-Versicherung bestehen. Möglich ist auch, dass die CSS künftig die Verjährung nicht mehr geltend macht - zumindest nicht bei Versicherten, die keinen Anwalt haben.
Verlangen Sie einen Verjährungsverzicht!
Eine Unfallkapital-Versicherung der Krankenkasse kann sinnvoll sein. Aber man muss im Schadenfall daran denken.
Unzählige Krankenkassen-Versicherte haben auf ihrer Police auch eine so genannte UTI-Zusatzversicherung. Bei der CSS zum Beispiel heisst sie «Versicherung bei Tod und Invalidität durch Unfall», bei der Helsana «Unfallversicherung für Tod und Invalidität».
Die Helsana hat 460000 UTI-Versicherte, die CSS 360000.
In der Regel bewegen sich die versicherten Summen zwischen 10000 und 200000 Franken. Die versicherte Summe erhalten Hinterbliebene, falls die versicherte Person durch Unfall stirbt. Wird sie invalid, erhält sie die ganze oder einen Teil der versicherten Summe (abgestuft nach dem Invaliditätsgrad) in Form einer einmaligen Auszahlung.
Diese Unfall-Zusatzversicherung der Krankenkassen ist sehr billig; meistens kostet sie unter zehn Franken pro Monat. Der Grund: Das Unfallrisiko ist ungleich kleiner als das Risiko, durch Krankheit zu sterben oder invalid zu werden. Das Krankheitsrisiko ist aber bei der Krankenkasse nicht versichert (K-Tipp 1/04 und 2/04). Konkret: Die Kasse zahlt zwar Arzt- und Spitalkosten, aber keinen Lohnausfall und kein Geld an die Hinterbliebenen, falls die Krankheit zu Invalidität beziehungsweise zum Tod führt.
Das sind die Tipps für Opfer eines Unfalls:
- Prüfen Sie nach einem Unfall sämtliche Versicherungsansprüche. In Frage kommen AHV/IV, Pensionskasse, obligatorische und freiwillige Unfallversicherung, Krankenkasse, Lebensversicherung, Auto-Insassenversicherung und Kreditkarte.
- Zeigen Sie alle Policen denjenigen Personen, die Ihnen in Versicherungs-angelegenheiten zur Seite stehen oder Sie anwaltlich vertreten.
- Bei Zusatzversicherungen der Krankenkasse und anderen privaten Versicherungen beträgt die Verjährungsfrist nur gerade zwei Jahre. Das ist eine Falle, denn oft dauert es zwei oder gar drei Jahre, bis die Invalidenversicherung den Invaliditätsgrad definitiv festlegt. Die Verjährungsfrist fängt aber in der Regel früher an zu laufen.
- Verlangen Sie deshalb von den in Frage kommenden Versicherungen möglichst schnell einen Verjährungsverzicht. Der Wortlaut muss in etwa so lauten: «Bitte bestätigen Sie mir schriftlich, dass Sie bereit sind, in der Angelegenheit meines Unfalls vom (Datum einsetzen) auf die Einrede der Verjährung bis auf weiteres zu verzichten, damit ich meine Ansprüche aus ... (Versicherungsdeckung einsetzen) nicht verliere.» Falls Sie von der Versicherung einen befristeten Verzicht erhalten, müssen Sie vor Ablauf dieser Frist den gleichen Brief noch einmal schicken.
- Sollte sich die Versicherungsgesellschaft weigern, Ihnen freiwillig einen Verjährungsverzicht zu schicken, müssen Sie die Versicherung alle zwei Jahre betreiben; dann fängt die zweijährige Verjährungsfrist jeweils von neuem an zu laufen.
Zweijährige Verjährungsfrist: Parlament gegen Versicherte
Der Nationalrat hätte es in der Hand gehabt, die zu kurze Verjährungsfrist von zwei Jahren zu verlängern. Er wollte nicht.
Derzeit steht im Parlament die Teilrevision des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) zur Debatte - und damit auch Artikel 46, der die zweijährige Verjährungsfrist festlegt.
Bei der Beratung im Nationalratsplenum (am 17. März dieses Jahres) brachte SP-Vertreterin Susanne Leutenegger Oberholzer den Antrag ein, diese Frist auf zehn Jahre zu verlängern - sie sei «ein Stolperstein für Versicherte».
SP-Kollege Urs Hofmann argumentierte, die zwei Jahre nützten nur den Ver-sicherungen. Der Grüne Luc Recordon sprach von einer inakzeptablen Benachteiligung der Versicherten.
Der SVP-Nationalrat Hans Kaufmann zeigte zwar Verständnis für die Forderung, beantragte aber eine Verschiebung des Anliegens auf die nächste Revision des VVG. Das Plenum folgte ihm mit 86 gegen 53 Stimmen.
Dem Ständerat, der die VVG-Teilrevision bereits Ende letzten Jahres beraten hatte, war dieses Konsumentenanliegen kein Wort wert.
«Der Entscheid des Parlaments ist unverständlich», kommentiert Anwalt Felix Rüegg von der Rechtsberatungsstelle für Unfallopfer und Patienten U.P. «So werden die Versicherten um ihre Ansprüche gebracht.»
Wenn man bedenkt, wie prominent die Versicherungslobbyisten in beiden Räten vertreten sind (siehe K-Tipp 7/04), so ist das auch kein Wunder.
Eines ihrer Argumente: Die Prämien für die entsprechende Versicherung würden steigen.
Umgekehrt heisst das: Die jetzigen Prämien basieren auf der zynischen Annahme, dass unzählige Versicherte ihren Anspruch innerhalb von zwei Jahren verlieren.