Michael Derungs bestellte im Internetshop Techniworld.ch einen Elektrorasierer für 447 Franken. Er erinnert sich: «Die Website sah seriös aus.» Der Zürcher bezahlte im Voraus. Das Gerät wurde auch nach einer Mahnung nicht geliefert. Also forderte er den Kaufpreis zurück. Ohne Erfolg. Auch ein Zahlungsbefehl half nicht weiter.
Derungs ist mit seinem Problem nicht allein. Auf der K-Tipp-Plattform Reklamation.ch beschwerten sich bisher 326 Kunden über Techniworld.ch. Der Vorwurf ist stets der gleiche: Der Shop liefert trotz Vorauszahlung nicht und erstattet auch kein Geld zurück. Hinter dem Webshop steht die Firma BHS Binkert Schweiz GmbH aus Frick AG. Über das Unternehmen eröffnete der Gerichtspräsident von Laufenburg AG am 18. Januar den Konkurs. Der Betreibungsauszug der Firma für die letzten zwei Jahre ist 27 Seiten lang. Er umfasst Schulden von rund einer halben Million Franken.
Über die Hälfte der Konkurse eingestellt
Laut dem Konkursamt Brugg AG ist mit der Einstellung des Konkurses mangels Aktiven zu rechnen. Das bedeutet: Es ist nicht einmal genügend Geld da, um das Konkursverfahren durchzuführen. Derungs und alle anderen Gläubiger der BHS Binkert Schweiz müssen in diesem Fall mit einem Totalverlust rechnen.
Techniworld.ch ist kein Einzelfall: 2019 gingen in der Schweiz laut Bundesamt für Statistik nicht weniger als 8347 Firmen in Konkurs. In den zwei Jahren zuvor waren es ähnlich viele. Laut dem «Schweizerischen Handelsamtsblatt» gab es im Corona-Jahr 2020 rund ein Fünftel weniger Konkurse.
Franco Lorandi, Rechtsanwalt und Lehrbeauftragter für Betreibungs- und Konkursrecht an der Universität St. Gallen, analysierte in der Zeitschrift «Aktuelle Juristische Praxis» die vorhandenen Zahlen zu Firmenkonkursen. Ergebnis: Rund 58 Prozent aller Konkurse von Unternehmen wurden mangels Aktiven wieder eingestellt. Das heisst: In weit mehr als der Hälfte der Konkurse gehen die Gläubiger leer aus.
Selbst wenn ein Konkursverfahren stattfindet, gibt es oft nicht mehr viel zu verteilen. Denn mit dem noch vorhandenen Geld werden zuerst die Forderungen von Angestellten, Sozialversicherungen und dem Steueramt bezahlt. Für die restlichen Gläubiger – also etwa Konsumenten oder Lieferanten – bleibt gemäss Lorandi in rund 95 Prozent aller Konkurse nichts oder nur ganz wenig übrig.
Konkursrechtler Lorandi schätzt: «Die jährlichen Gläubigerverluste dürften im Bereich von 11 Milliarden Franken liegen.» Doch die Kosten für die Gesamtwirtschaft seien noch wesentlich höher. Denn man müsse auch Folgekosten, etwa bei den Lieferanten oder wegen Arbeitslosigkeit, dazurechnen.
GmbH-Startkapital mit 20 000 Franken zu tief
In der aktuellen Ausgabe des Juristenmagazins «Plädoyer» macht Lorandi konkrete Vorschläge, wie die riesige Geldvernichtung reduziert werden könnte. Eine GmbH etwa kann man heute mit einem Startkapital von 20 000 Franken gründen. Lorandi: «Dieser Betrag ist lächerlich tief.» Er sei seit Jahrzehnten unverändert. Wäre er an die Teuerung angepasst worden, müssten die Gründer einer GmbH heute mindestens gut 160 000 Franken Kapital einschiessen. Lorandi fordert ein Startkapital von mindestens 50 000 Franken.
Matthias Häuptli, Leiter des Konkursamts Basel-Stadt, hält das für «illusorisch»: Bei einer derart hohen Hürde würden Unternehmer einfach im Ausland ein Unternehmen gründen – etwa in Grossbritannien eine Gesellschaft mit einem Grundkapital von nur einem britischen Pfund und einer Filiale in der Schweiz.
Lorandi stört sich auch daran, dass Gläubiger «keine Möglichkeit haben, auf einfache Weise an Finanzinformationen zu gelangen». Betreibungsregisterauszüge seien häufig nichtssagend. Laut Rechtsanwalt Lorandi sollten Unternehmen ihre Jahresabschlüsse jedes Jahr beim Handelsregisteramt hinterlegen müssen, wie das in Deutschland heute praktiziert wird. So könnten allfällige Lieferanten Einsicht in die Bilanzen nehmen. Und gestützt darauf entscheiden, ob sie einen Kunden gegen Rechnung beliefern wollen – oder nur gegen Vorauszahlung.
Vorschusspflicht schreckt Gläubiger ab
Einig sind sich die beiden Experten darüber, welche Massnahme sehr rasch zu Verbesserungen führen würde: die Abschaffung der Vorschusspflicht. Heute müssen die Gläubiger die voraussichtlichen Kosten eines Konkurses vorschiessen, wenn das konkursite Unternehmen nicht nur überschuldet ist, sondern auch zahlungsunfähig. Das schrecke viele ab, weil sich die Verluste so noch erhöhen können.
Kommt hinzu: Das heute geltende Gesetz privilegiert den Staat. Bund, Kantone und Gemeinden dürfen vor einem Konkursverfahren ihre Forderungen mit einer Betreibung auf Pfändung eintreiben. Dieses Privileg müsse man abschaffen, fordern die Experten. Wenn auch die öffentliche Hand erst ein Konkursverfahren einleiten müsste, käme es bei überschuldeten Unternehmen schneller zu einer Schliessung – also bevor die Firmenkassen leer sind.
Das hätte auch im Fall von Techniworld.ch vielen Gläubigern Verluste erspart. Denn bereits 2019 stellte das Betreibungsamt der Eidgenössischen Zollverwaltung einen Verlustschein über 107 596 Franken aus. Die Firma war also bereits damals konkursreif – bot aber in ihrem Internetshop weiterhin Waren gegen Vorauszahlung an. Zum Nachteil von vielen Konsumenten.
So vermeidet man Verluste beim Einkaufen im Internet
Kunden sollten vor dem Kauf im Internet im Impressum nachschauen, wer hinter einer Website steht. Der K-Tipp führt eine Warnliste mit dubiosen Internetshops. Zu finden auf: Ktipp.ch
Tipp: Bezahlen Sie nicht zum Voraus, sondern erst nach Erhalt der Ware.
Buchtipp
Weitere Informationen liefert der «Saldo»-Ratgeber Betreibung, Pfändung, Privatkonkurs. Bestellen Sie das Buch via E-Mail ratgeber@ktipp.ch oder unter www.ktipp.ch.