Wenn der Beulendoktor am Drücker ist
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Mit der Drücktechnik lassen sich Beulen am Auto günstig reparieren. Versicherungen und Autovermieter setzen auf die neue Methode - Privatkunden sind skeptisch.
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K-Tipp 10/2003
21.05.2003
Markus Kellenberge - mkellenberger@ktipp.ch
Grau und drohend braute sich das Gewitter über Schwarzenburg BE zusammen. Von Blitzen begleitet fegte es über bernische und luzernische Landstriche. Der Regen wurde zu Hagel, und die Eiskörner, die der Sturm auf seinem Weg durch die Deutschschweiz säte, wurden dicker und schwerer. Schliesslich prasselten sie in Teilen des Kantons Zürich golfballgross vom Himmel.
Wenn es wie vor zwei Wochen in der Schweiz stark hagelt, dann gibt Markus Erzinger sein Handy nicht aus der Hand. E...
Grau und drohend braute sich das Gewitter über Schwarzenburg BE zusammen. Von Blitzen begleitet fegte es über bernische und luzernische Landstriche. Der Regen wurde zu Hagel, und die Eiskörner, die der Sturm auf seinem Weg durch die Deutschschweiz säte, wurden dicker und schwerer. Schliesslich prasselten sie in Teilen des Kantons Zürich golfballgross vom Himmel.
Wenn es wie vor zwei Wochen in der Schweiz stark hagelt, dann gibt Markus Erzinger sein Handy nicht aus der Hand. Er wartet auf jene Anrufe, die «mit Bestimmtheit kommen». Und sie kamen, denn der erste Hagel 2003 schädigte nicht nur Bauern, sondern auch Autobesitzer.
Eine Reparatur zum halben Preis
Erzinger ist Geschäftsführer der Firma Fix-A-Ding in Aarburg AG. Diese, respektive die von ihr ausgebildeten Karosserie-Spengler, ist darauf spezialisiert, die Blechhaut verhagelter Autos mit der so genannten Drücktechnik schnell und vor allem günstig wieder makellos glatt zu machen (siehe Kasten).
Seit acht Jahren ist Fix-A-Ding in der Schweiz tätig und hat massgeblich dazu beigetragen, dass sich die Drücktechnik in den letzten Jahren langsam durchgesetzt hat. Bei Hagel- und bei Parkbeulen, bei denen der Lack nicht verletzt wurde, setzen Versicherungen und Autovermieter wann immer es geht auf die «Beulendoktoren», wie die Drücktechniker in Deutschland genannt werden. Genaue Zahlen will keiner preisgeben, aber «im Vergleich zu herkömmlichen Methoden sparen wir so bis zu 50 Prozent der Reparaturkosten», heisst es beispielsweise bei Autovermieter Europcar.
Der Spareffekt ist tatsächlich gross. Ein Beispiel: Eine eingedrückte Autotüre auf klassische Art auszubeulen, zu verspachteln und wieder komplett zu lackieren kostet je nach Modell um 800 Franken. Zudem steht das Auto tagelang in der Werkstatt. Dieselbe Beule mit der Drücktechnik zu entfernen ist mindestens 400 Franken günstiger - und dauert knapp einen halben Tag.
Die Begeisterung der Fachleute ob der «sanften» Reparaturmethode wird von Privaten nicht in gleichem Masse geteilt. Erzinger stellt immer wieder fest: «Wenn es heisst, die Beule werde gedrückt statt klassisch gespachtelt und lackiert, glauben viele Kunden, ihre Versicherung wolle mit einer Husch-Husch-Methode Geld sparen.» Die Bedenken sind jedoch unbegründet. Das Kraftfahrzeugtechnische Institut KTI im deutschen Altensteig hat konventionell reparierte und gedrückte Beulen materiell und optisch untersucht. Fazit: «Gegen die Anwendung der Drücktechnik gibt es bis zu einem Lackalter von sieben Jahren keinerlei Bedenken», so KTI-Schadenforscher Bernd Kindsvater.
Dass sich die Drücktechnik unter Fachleuten durchgesetzt hat, beweist der Schweizerische Carrosserieverband VSCI, dessen Mitglieder der neuen Methode auch lange skeptisch gegenüberstanden. «Ab diesem Jahr», sagt VSCI-Direktor Felix Pohl, «gehört Beulendrücken zum Unterrichtsstoff in der Autospengler-Lehre.»
Fünf Jahre Garantie für die Drückmethode
Mit speziellen Aktionen versucht zudem die Winterthur-Versicherung das Misstrauen ihrer Kunden auszuräumen. Sie bietet Live-Demos an, bei denen sich die Versicherten selber ein Bild vom Drücken machen können. «Ausserdem», so Pressesprecher Ruedi Steiner, «geben wir für eine Reparatur mittels der Drücktechnik fünf Jahre Garantie.»
Blechschäden sind aber nicht die einzigen Bereiche, in denen sich in den letzten Jahren neue und kostengünstige Reparaturtechniken durchgesetzt haben. Durch Steinschlag beschädigte Frontscheiben zum Beispiel werden wann immer möglich nicht mehr ersetzt, sondern geflickt. Das Sparpotenzial beträgt bis zu 80 Prozent.
Flicken statt ersetzen ginge auch bei andern Schäden wie zum Beispiel an Kunststoff-Stossstangen, Armaturenabdeckungen, Sitzbezügen oder Felgen. Doch im Gegensatz zu Deutschland, wo sich unter dem Oberbegriff «Smart Repair» verschiedene alternative Reparaturmethoden langsam etablieren, läuft dieser Geschäftszweig in der Schweiz noch harzig. Grund: «Solange die Versicherungen zahlen, wollen Schweizer Autofahrerinnen und Autofahrer für ihren Liebling nur das vermeintlich Beste - und das sind in ihren Augen teure Reparaturmethoden oder noch lieber gleich Neuteile», sagt Autojournalist René Knorr, der den Reparaturmarkt seit Jahren beobachtet.
Damit könnte es aber bald ein Ende haben, denn die Versicherungen spüren den ständig steigenden Kostendruck. «Wenn sich Smart-Repair-Methoden bewähren, werden die Versicherungen künftig wenn möglich nur noch solche Reparaturen bezahlen», meint Winterthur-Sprecher Ruedi Steiner.
Die Grenzen der Drücktechnik
Die Drücktechnik spart Zeit, Geld und schont die Umwelt. Aber nicht alle Beulen lassen sich auf diese Weise reparieren.
Wichtigste Voraussetzung für die Drücktechnik: Der Lack des Autos darf an der Schadenstelle nicht gerissen oder gesplittert sein. Ist das der Fall, lässt sich das Blech mit hebelartigen Spezialwerkzeugen in seine ursprüngliche Form zurückdrücken. Das funktioniert bei bis zu handflächengrossen Beulen.
Grössere Dellen können je nachdem auch repariert werden. In jedem Fall braucht es zur Beurteilung jedoch einen Fachmann.
Eine Reparatur mit der Drücktechnik ist deutlich weniger arbeitsintensiv als die herkömmliche Methode. Zudem braucht es keine Lösungsmittel und es entsteht kein Schleifstaub. Das schont Umwelt und Portemonnaie.
Tipp: Holen Sie Offerten für beide Methoden ein. Fragen Sie bei einem mehr als sieben Jahre alten Auto zudem, was es kostet, das verbeulte Teil durch ein Occasionsteil zu ersetzen.
Adressen von Drücktechnik-Spezialisten gibts bei: Fix-A-Ding, 4663 Aarburg, Tel. 062 787 10 20, www.fix-a-ding.ch; Schweizerischer Carrosserieverband VSCI, 4800 Zofingen, Tel. 062 745 90 80, www.druecktech.ch. Infos zu weiteren Smart-Repair-Methoden: www.smartrepair-verzeichnis.ch.