Die «Pioniere der biologischen Landwirtschaft» in der Schweiz kamen 1981 zusammen und legten den Grundstein für die Branchenorganisation Bio Suisse. Ihr Ziel: Naturnah produzierte und für alle Kunden erschwingliche Lebensmittel sollten mit einem Gütesiegel ausgezeichnet werden. Der Vorstand arbeitete damals noch ehrenamtlich. Für das Sekretariat standen gerade einmal 40 000 Franken zur Verfügung. Die Organisation galt als gemeinnützig und war von den Steuern befreit.
Mittlerweile sind die Bio-Pioniere zu wohlhabenden Verkäufern geworden: Bio Suisse nahm im letzten Jahr 22,6 Millionen Franken ein. So steht es im Geschäftsbericht, der dem K-Tipp vorliegt. Der Verband veröffentlicht seine Jahresrechnung nicht.
Aus den Zahlen geht hervor: Reich wurde Bio Suisse mit der Vergabe der Knospe, dem Gütesiegel auf Bio-Produkten. Mit jedem verkauften Produkt kassiert der Verein Lizenzgebühren.
Letztes Jahr flossen so 13,8 Millionen Franken in die Kasse. 1,6 Millionen Franken nahm Bio Suisse an Bundessubventionen ein, um die Bio-Knospe in der Gastronomie und im Internet zu verbreiten. Weitere 2,4 Millionen Franken kamen als Jahresbeiträge der Mitglieder, alles Bio-Bauern, herein. Die restlichen Einnahmen bestanden unter anderem aus Spenden sowie Strafgebühren von Verarbeitungsbetrieben und Importeuren.
Millionen für Löhne und Marketing
Der Verband beschäftigt heute 93 Angestellte. Diese entscheiden mit bei der Frage, ob die Richtlinien für Bio-Bauern verschärft oder gelockert werden sollen. Sie arbeiten aber auch an der Erschliessung neuer Geschäftsfelder wie etwa der Zertifizierung von Stadtpärken. Weitaus am meisten Geld gab Bio Suisse 2022 für Beschäftigte in Verkaufsförderung und Werbung aus: 4,89 Millionen Franken.
Auch die Chefsaläre gehen ins Geld. Geschäftsführer Balz Strasser verdient fast 200'000 Franken pro Jahr, wie gut unterrichtete Kreise dem K-Tipp sagten. Vor zehn Jahren waren es noch 130'000 Franken. In der Geschäftsleitung sitzen sechs Mitglieder. Neben dem Geschäftsführer verdient jedes Mitglied zwischen 150'000 und 180'000 Franken – 40''000 Franken mehr pro Kopf als noch vor zehn Jahren.
Bio Suisse legte sich mit den Jahren ein fettes Polster an: 2021 betrugen die Reserven gemäss Protokoll der Delegiertenversammlung 3,6 Millionen Franken.
Viele Bio-Bauern beurteilen den Wandel von der kleinen Produzentenorganisation zum grossen Verwaltungsapparat kritisch. Christof Widmer aus Sempach LU etwa bemängelte an der Delegiertenversammlung im letzten Herbst: «Dieser Verband ist aufgeblasen und mit sich selbst beschäftigt.» Das verteuere die Bio-Lebensmittel. Viele Kunden könnten sich die hohen Preise nicht mehr leisten.
«Komplett vom Geld gesteuert»
Andere Bio-Bauern kehren der Knospe den Rücken zu. So etwa Bernhard Hänni aus Noflen BE, der «Biobauer des Jahres 2021». Er vermarktet sein Bio-Gemüse seit April 2021 ohne Bio-Suisse-Logo. Hänni schreibt dem K-Tipp: «Bio Suisse ist heute komplett vom Geld gesteuert und hat seine Grundwerte verloren. Aus wirtschaftlichen Interessen nehmen die Ausnahmen und Verwässerungen in den Richtlinien stetig zu.» Das sei «nicht im Sinn der Gründer» und schade der Natur und dem Bio-Landbau.
Auch Preisüberwacher Stefan Meierhans kritisiert die Branchenorganisation. In seinem Bericht über die Preise von Bio-Lebensmitteln vom Januar 2023 kommt er zum Schluss: Die Lizenzgebühr von Bio Suisse sei verantwortlich dafür, dass der Detailhandel auf die Einstandspreise «2 bis 5 Prozent» draufschlage.
In Österreich bleibt den Bio-Kunden eine solche Gebühr erspart. Grund: Das einzige staatlich anerkannte Bio-Gütesiegel wird nicht von einer privaten Organisation, sondern vom Staat vergeben. Bauern und Detailhändler dürfen es kostenlos benützen – sofern sie die Gütesiegelrichtlinien erfüllen.
Widerstand gegen staatliches Bio-Siegel
Der Bund hätte auch gerne ein staatliches Bio-Siegel eingeführt, doch Bio Suisse wehrt sich bis heute erfolgreich dagegen. Der Verein vermarktet seine Knospe-Produkte hauptsächlich über Coop. Branchenkenner wissen: Von den 14 Millionen Franken Einnahmen an Lizenzgebühren im Jahr 2022 kamen 7 bis 10 Millionen Franken über Coop und seine Lieferanten herein. Bei den Eiern etwa zahlt der Händler Ei AG den einen Teil der Lizenzgebühren, Coop den anderen. Die Migros setzte bis 2022 auf ein eigenes Bio-Label und lieferte Bio Suisse erst 1,5 Millionen Franken ab.
Die Coop-Lizenzgebühren für die Knospe führen dazu, dass Bio Suisse vom Grossverteiler abhängig ist. So verhinderte Coop gemäss Insidern bereits mehrmals, dass auch die Discounter Aldi und Lidl ihre Bio-Produkte mit der Knospe versehen dürfen.
Die Verträge zur Einführung der Knospe in den beiden deutschen Discountern lagen unterschriftsbereit auf dem Tisch. Dann drohte Coop in nicht protokollierten «Gipfelgesprächen» in den Jahren 2012, 2016 und 2018: Wenn Bio Suisse die Knospe auch an Aldi und Lidl vergebe, zahle der Grossverteiler weniger Lizenzgebühren.
Keine Bio-Knospe für Aldi und Lidl
Die Drohung von Coop zeigte Wirkung: Aldi und Lidl dürfen das Bio-Gütesiegel nicht verwenden. Stattdessen sind sie daran, eigene und sogar strengere Bio-Labels wie «Retour aux sources» (Aldi) aufzubauen – obwohl sie die Lebensmittel ebenfalls von Knospe-zertifizierten Bio-Bauern beziehen.
Bio Suisse schreibt: Die Lizenzgebühren würden die Preise nicht so stark verteuern, wie der Preisüberwacher berechnet habe. Der Bio-Aufschlag betrage maximal 0,9 Prozent.
Zu den Kadersalären sagt Bio Suisse, die Organisation sei auf «professionelle Strukturen und konkurrenzfähige Entschädigungsmodelle» angewiesen. Und die hohen Ladenpreise rechtfertigt der Verband mit dem Hinweis auf die Produktionskosten der Bio-Landwirte.
Coop schreibt auf Anfrage des K-Tipp, die Zahlen zu den Lizenzgebühren seien nicht korrekt – konkrete Zahlen gibt der Grossverteiler allerdings nicht bekannt. Die Migros nahm zu den Zahlen nicht Stellung.