saldo: Warum haben Sie die Studie von Ihrer Homepage genommen?
Thomas Mattig: Stein des Anstosses war ein Massnahmenkatalog in unserer Studie. Die Getränkeindustrie hat den Text so interpretiert, dass wir Werbeverbote für Süssgetränke im Kinderfernsehen oder Verkaufsbeschränkungen in der Schule fordern. Der Bericht stellt diese Massnahmen aber nur zur Diskussion. Mit dem Präsidenten des Mineralwasserverbandes, CVP-Nationalrat Christophe Darbellay, einigten wir uns, dass wir den Bericht vom Netz nehmen, um Missverständnisse zu vermeiden. Wir wollten ein Zeichen setzen, dass wir die Industrie nicht angreifen.
Herr Darbellay entscheidet als CVP-Präsident über das umstrittene Präventionsgesetz mit. Es sieht vor, dass der Staat Programme zur Vorbeugung von Volkskrankheiten lanciert.
Die Industrie hat stark gegen das Präventionsgesetz lobbyiert, das im März erneut in den Nationalrat kommt. Wir versuchen, Akzeptanz zu finden, um das Gesetz nicht zu gefährden. Dabei geht es um jede Stimme. Es ist eine heikle Phase.
Hätten Sie Herrn Darbellay abblitzen lassen, wenn das Präventionsgesetz bereits verabschiedet wäre?
Schwer zu sagen. Uns liegt am Herzen, die Prävention zu stärken. Es wäre ein fataler Entscheid fürs Gesundheitswesen der Schweiz, wenn wir diese Route nicht weiterverfolgen, bei der wir dafür sorgen können, dass die Menschen länger gesund bleiben.
Nehmen Sie dafür in Kauf, dass Ihre Stiftung wirksame gesetzliche Massnahmen nicht mehr zur Diskussion stellen darf?
Sicher haben Gesetzesmassnahmen auch ihren Platz. Moderne Präventionsarbeit setzt aber nicht primär auf Verbote, sie will die Selbstverantwortung stärken. Der Einzelne muss sein Verhalten aus eigenem Antrieb ändern. Wir sind gegenüber der Industrie nicht eingeknickt: Wir führen alle seit langem geplanten Massnahmen ohne Änderungen durch. Wir weisen etwa darauf hin, dass der Süssgetränke-Konsum das Risiko von Übergewicht erhöht.
Ihre Stiftung finanziert sich durch Krankenkassenprämien. Die Versicherten zahlen 17 Millionen Franken pro Jahr. Sie sind deshalb den Prämienzahlern verpflichtet, nicht Herrn Darbellay oder der Getränkeindustrie.
Wir haben gezeigt, dass wir etwas für die Prämienzahler bewegen. Wir haben zum Beispiel vor zwei Jahren das Label «Friendly Workspace» lanciert. Unsere Qualitätskritieren sollen helfen, die Gesundheitsförderung im Betrieb zu verbessern. Erfüllt ein Betrieb die Kriterien, überprüfen ihn unsere Gutachter. Bereits rund 30 Unternehmen machen bei dem Label mit, zum Beispiel die Post, Nestlé oder Kuhn Rikon. Über 100 000 Mitarbeiter profitieren von einer besseren betrieblichen Gesundheitsförderung. Beweis für die Qualität unserer Arbeit ist auch, dass wir es geschafft haben, zum Thema «Gesundes Körpergewicht» mit fast allen Kantonen ein Programm auf die Beine zu stellen. Die Kantone machen freiwillig mit und finanzieren eigene Programme.
Solche Aufklärungskampagnen erreichen nur die Gesundheitsbewussten, aber nicht diejenigen, die sich ungesund ernähren oder zu wenig bewegen.
Der Einwand ist berechtigt. Es wäre hinausgeschmissenes Geld, wenn man erwarten würde, dass Menschen aufgrund einer einzelnen Informationskampagne ihr Verhalten ändern. Hier geht es in erster Linie darum, die Leute, aber auch Entscheidungsträger wie Politiker, Vertreter von Behörden oder Medien für ein Thema zu sensibilisieren und es auf die politische Agenda zu bringen. In einem zweiten Schritt sollte ein Bündel an verfeinerten Massnahmen dazu beitragen, dass Menschen ihr Verhalten ändern.
Zur Person
Thomas Mattig, 41, ist Jurist und leitet seit 2007 die Gesundheitsförderung Schweiz. Er ist Mitglied der FDP.