Wird die Swisscom zum Verkehrspolizisten?
Die Swisscom will ab Herbst die Bewegungen von Tausenden von Handybesitzern überwachen. Ziel: Verkehrsstaus verhindern. Muss die Swisscom petzen, wenn jemand mit 180 Sachen über die Autobahn rast?
Inhalt
K-Tipp 09/2008
05.05.2008
Kurt Haupt
«Die Informationen, die der Navigationsgerätehersteller Tom Tom von uns erhält, sind vollkommen anonymisiert. Für die Anwendung bezüglich TomTom erfolgt keine spezielle Speicherung», versucht Carsten Roetz die Bedenken bezüglich Datenschutz zu zerstreuen. Roetz ist Sprecher der Swisscom, die TomTom die Positionsdaten von Handys verkauft.
Der Navigationsgerätehersteller versucht mit mehreren technischen Möglichkeiten, an aktuelle Ver...
«Die Informationen, die der Navigationsgerätehersteller Tom Tom von uns erhält, sind vollkommen anonymisiert. Für die Anwendung bezüglich TomTom erfolgt keine spezielle Speicherung», versucht Carsten Roetz die Bedenken bezüglich Datenschutz zu zerstreuen. Roetz ist Sprecher der Swisscom, die TomTom die Positionsdaten von Handys verkauft.
Der Navigationsgerätehersteller versucht mit mehreren technischen Möglichkeiten, an aktuelle Verkehrsdaten heranzukommen. Das Ziel: Staus zu erkennen, Umfahrungsmöglichkeiten aufzuzeigen und realistische Fahrzeiten berechnen zu können.
Was berechnet wird, wird auch gespeichert
Soll das geplante System (genannt High Definition Traffic) auch funktionieren, muss erst einmal berechnet werden, wie schnell sich ein bestimmtes – und damit letztlich über die Handynummer identifizierbares – Handy auf einem Streckenabschnitt bewegt, zum Beispiel zwischen Zürich und Bern. Und jede Information, die berechnet wird, muss auch einmal gespeichert werden.
Die Swisscom beteuert, diese Informationen würden sofort nach ihrer Anonymisierung gelöscht. Sonst könnte allenfalls ein Richter die Swisscom nach einem Verkehrsunfall zwingen, die nötigen Daten herauszurücken, mit denen sich die gefahrene Geschwindigkeit eines betroffenen Fahrzeuglenkers und Handybesitzers berechnen lässt.
Gericht kann Einsicht in Daten erzwingen
Jedoch: «Sämtliche Informationen, die irgendwo gespeichert sind, können letztlich durch eine Strafermittlungsbehörde auch eingefordert werden», sagt Daniel Menna, Mediensprecher des eidgenössischen Datenschutzbeauftragten.
Bei der Swisscom zeigt man sich überrascht: «Bei HD-Traffic werden nur anonymisierte Daten verwendet, was gar nicht in den Anwendungsbereich des Datenschutzgesetzes fällt. Swisscom sah deshalb keinen Bedarf, vor Einführung dieses Dienstes den Datenschutzbeauftragten zu konsultieren.»
Menna bestätigt: «Wenn Swisscom tatsächlich keine Datensammlung von personenbezogenen Daten anlegt und solche Daten auch nicht weitergibt, untersteht dies nicht dem Datenschutzgesetz.» Swisscom-Kunden, die sich gegen die «Verkehrsüberwachung» zur Wehr setzen wollen, stehen ebenfalls auf verlorenem Posten: «Die Kunden können eine Mitwirkung bei HD-Traffic nicht verhindern», heisst es bei der Swisscom.
Dass der Verkauf von Informationen an TomTom bei Konsumenten ein schales Gefühl hinterlassen kann, liegt für Daniel Menna auf der Hand: «Ich kann nachvollziehen, wenn Mobiltelefonbesitzer ein ungutes Gefühl haben, wenn mit ihren Daten gehandelt wird.»
Dass HD-Traffic bald automatisch zur gesamtschweizerischen Radarfalle ausgebaut wird und so Raser automatisch der Strafbehörde gemeldet werden, müssen Autofahrer wohl (noch) nicht befürchten – zu löchrig ist das System derzeit noch: So lässt sich nicht ohne weiteres feststellen, ob ein Mobiltelefon im Auto oder Zug durch die Gegend braust und ob der Besitzer des betreffenden Handys wirklich selber am Steuer sitzt.
TomTom-Gerät als Fahrtenschreiber
TomTom hat schon früher für Aufruhr gesorgt: Die neueste Gerätegeneration der Navigationshelfer von TomTom zeichnet nämlich die gefahrenen Strecken und die Geschwindigkeiten im Gerät auf.
Diese werden später anonymisiert übers Internet an TomTom übermittelt. Damit will der GPS-Geräteproduzent die Datenbasis zur Berechnung von voraussichtlichen Fahrzeiten verbessern.
Auch hier stellen Kritiker die Frage, ob die Ermittlungsbehörden nach einem Verkehrsunfall das Navigationsgerät quasi als Fahrtenschreiber ansehen – und schliesslich die Herausgabe der zwischengespeicherten Infos bei Bedarf verlangen können.