Witwen um Rente geprellt
Im überobligatorischen Bereich haben die Pensionskassen einen grossen Spielraum. Den nutzen sie auch aus - oft zum Nachteil der Versicherten.
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K-Tipp 5/2004
10.03.2004
Ernst Meierhofer - emeierhofer@ktipp.ch
Mach Dir keine Sorgen, Du bist abgesichert!»: An diese Worte Ihres verstorbenen Gatten erinnert sich die 48-jährige Witwe Beatrice Gerber (Name geändert) noch sehr gut.
Aufgrund der Zahlen war die Zuversicht berechtigt. Der Verstorbene bezog von der Pensionskasse eine monatliche Altersrente von stolzen 6389 Franken. Stirbt ein Rentner, erhält die Witwe im Normalfall 60 Prozent dieses Betrages; im konkreten Fall wären das immerhin 3833 Franken.
Doch Beatrice Ger...
Mach Dir keine Sorgen, Du bist abgesichert!»: An diese Worte Ihres verstorbenen Gatten erinnert sich die 48-jährige Witwe Beatrice Gerber (Name geändert) noch sehr gut.
Aufgrund der Zahlen war die Zuversicht berechtigt. Der Verstorbene bezog von der Pensionskasse eine monatliche Altersrente von stolzen 6389 Franken. Stirbt ein Rentner, erhält die Witwe im Normalfall 60 Prozent dieses Betrages; im konkreten Fall wären das immerhin 3833 Franken.
Doch Beatrice Gerber erhält nur lumpige 99 Franken im Monat. Das ist möglich, weil das Altersguthaben des Verstorbenen - rund eine Million Franken - zum grössten Teil überobligatorisch war. Und mit dem Überobligatorium können die Pensionskassen machen, was sie wollen (siehe Kasten).
Die Allianz-Lebensversicherung ist die Pensionskasse des Verstorbenen - und sie hat im Reglement einen Passus, der dem Paar zum Verhängnis wurde: Heiratet ein Rentner nach Vollendung des 69. Altersjahres, erhält die Witwe nur das gesetzliche Minimum. Bei der Heirat des Paares war der Verstorbene 69 Jahre und 8 Monate alt.
Für sie bleibt ein mageres Trinkgeld
Der Unterschied zwischen 3833 und 99 Franken fällt hier deshalb so krass aus, weil der Verstorbene (ein bekannter Musiker aus der Westschweiz) nur während kurzer Zeit obligatorisch in der Pensionskasse versichert war; das war erst ab 1985 vorgeschrieben. So blieb sein Alterskapital im Rahmen des Obligatoriums sehr klein.
Später wurde er Generalsekretär des Orchesters, verdiente gut und kaufte sich mit freiwilligen Beiträgen in die Pensionskasse ein, um sich eine hohe Altersrente zu sichern. Das hat funktioniert - doch seine Witwe wird mit einem Trinkgeld abgespeist. Diese Reglementsbestimmung (nur die gesetzlich geschuldete Witwenrente bei Heirat nach dem 69. Altersjahr) ist in der Branche weit verbreitet - insbesondere für Betriebe, die ihre Pensionskassen der Sammelstiftung einer Lebensversicherung anvertraut haben. Sie gilt in der Regel auch bei Basler, Rentenanstalt, Helvetia-Patria, Winterthur und Zürich sowie bei den Sammel-/Gemeinschaftsstiftungen Asga, Gemini und Servisa.
Damit die Pflegerin nicht belohnt wird...
Die Aargauische Pensionskasse sowie die Sammelstiftung Abendrot sind noch restriktiver: Hier erhält die Witwe schon dann nur noch das gesetzliche Minimum, wenn der Versicherte sie unmittelbar nach seiner Pensionierung heiratet.
Aber: Es gibt durchaus Kassen, die in solchen Fällen grosszügig sind und Frauen nicht generell bestrafen, die einen über 65-jährigen Mann heiraten. Zu ihnen gehören beispielsweise die Pensionskassen der Städte Winterthur und Zürich, die Kantonale Pensionskasse Solothurn, die Sammelstiftung Nest, die Bundespensionskasse Publica sowie die Pensionskassen von ABB, Migros, Novartis und Swisscom.
Fazit: Gerade jüngere Frauen müssen wissen, dass ihre soziale Sicherheit in Gefahr ist, wenn sie einen pensionierten Mann heiraten.
Mehr noch: Viele Pensionskassen (aber nicht alle) kürzen nicht nur, wenn der Mann bei der Heirat pensioniert ist, sondern machen auch dann prozentuale Abstriche, wenn der Altersunterschied zwischen Mann und Frau grösser ist als zehn Jahre (zum Beispiel Kürzung um 1 Prozent für jedes zusätzliche Jahr Altersunterschied).
Mit solchen Kürzungen wolle man Missbräuche verhindern, heisst es bei den Kassen und Sammelstiftungen. Volkstümlich ausgedrückt heisst das: Ein älterer Mann soll nicht auf dem Krankenbett seine Krankenschwester heiraten und ihr so eine lebenslängliche Witwenrente verschaffen können.
Beliebige Abstriche bei Zinsen und Renten
Überobligatorium heisst: Die versicherte Person spart in der Pensionskasse mehr als gesetzlich vorgeschrieben. Oder sie hat beispielsweise eine bessere Invalidenrente versichert als die vom Gesetz vorgesehene.
Mit dem Überobligatorium haben also die Kassen grosse Gestaltungsfreiheit, die durchaus im Sinne der Versicherten sein kann.
Die Schattenseite: Weil es für das Überobligatorium keine gesetzlichen Mindestvorschriften gibt, haben die Kassen hier freien Spielraum - auch zu Lasten der Versicherten. Sie können überobligatorische Spargelder schlechter oder gar nicht verzinsen, sie können den Umwandlungssatz senken, also kleinere Renten auszahlen, und sie können wie im Artikel geschildert bei der Witwenrente beliebige Abstriche machen.