Wo die Sicherheit baden geht
In Freibädern kommt es immer wieder zu Unfällen mit Toten und Verletzten. Eine Stichprobe zeigt: Die Betreiber vieler Bäder nehmen die Sicherheit ihrer Gäste nicht ernst.
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K-Tipp 12/2005
15.06.2005
Marco Diener - mdiener@ktipp.ch
Wie gut werden die Badegäste in den Schweizer Freibädern beaufsichtigt? Das wollte der K-Tipp wissen und besuchte deshalb fünf grosse Bäder in Bern, Luzern und Zürich. Die Resultate sind ernüchternd.
- Bern, Weyermannshaus, 26. Mai: Kaum ein anderes Bad in der Schweiz lässt sich so schwer überwachen. Denn das Becken hat bei einem Durchmesser von rund 150 Metern eine Wasserfläche von über 16 000 Quadratmetern - das entspricht mehr als 20 Becken mit einer Länge von 50 und einer B...
Wie gut werden die Badegäste in den Schweizer Freibädern beaufsichtigt? Das wollte der K-Tipp wissen und besuchte deshalb fünf grosse Bäder in Bern, Luzern und Zürich. Die Resultate sind ernüchternd.
- Bern, Weyermannshaus, 26. Mai: Kaum ein anderes Bad in der Schweiz lässt sich so schwer überwachen. Denn das Becken hat bei einem Durchmesser von rund 150 Metern eine Wasserfläche von über 16 000 Quadratmetern - das entspricht mehr als 20 Becken mit einer Länge von 50 und einer Breite von 15 Metern. Dennoch sind kurz vor 11 Uhr nur zwei Bademeister am Becken. Der eine ist mit einem Besen beschäftigt, der andere mit einem Rechen. Die Badenden überwacht niemand. Prädikat: ungenügend.
- Bern, Marzili, 29. Mai: Nachmittags um halb vier ist hier der Teufel los. Ein Bademeister steht am Sprungbecken, ein anderer versucht den Überblick über 200 Leute im Schwimmerbecken zu behalten, ein weiterer schaut 180 Erwachsenen und Kindern in den beiden Nichtschwimmerbecken zu. An der Aare, in der sich viele Wasserratten treiben lassen, hats keinen Bademeister. Prädikat: ungenügend.
- Zürich, Tiefenbrunnen, 3. Juni: Trotz 6 Franken Eintritt heisst es am See: «Baden auf eigene Verantwortung, keine permanente Aufsicht.» Kurz vor Mittag beobachtet ein Bademeister auf einem Drehstuhl die Rutschbahn und die beiden Nichtschwimmerbereiche. Immer aber hat er einen Teil der Kinder in seinem Rücken. Die Sprungbretter und die Flosse sind nicht überwacht. Prädikat: ungenügend.
- Zürich, Allenmoos, 3. Juni: Kurz nach Mittag steht ein Bademeister am Schwimmerbecken. Das Nichtschwimmerbecken mit der Rutschbahn ist nicht überwacht - und dies, obwohl dort rund 60 Kinder wilde Spiele treiben. Prädikat: ungenügend.
- Luzern, Lido, 3. Juni: Eine imposante Bademeister-Plattform steht gleich am See. Nur: Sie ist nicht besetzt. Dafür hats am Becken gleich zwei Bademeister. Prädikat: ungenügend.
Kein einziges Planschbecken war bei der K-Tipp-Stichprobe überwacht. Dabei kommt es immer wieder vor, dass kleine Kinder schon im knietiefen Wasser ertrinken.
Auch das Bundesgericht hat sich schon mit der Sicherheit und der damit verbundenen Aufsichtspflicht in Badeanstalten befasst. 1987 hat es festgestellt, dass ein Bademeister auf 50 Badende beziehungsweise 500 Badegäste ausreichend sei. Klar machte das Bundesgericht zudem, dass «besonders gefährliche Bereiche wie Becken und Sprungbretter» ständig überwacht werden müssen. Und später präzisierte das Bezirksgericht Uster, dass auch ein Nichtschwimmerbecken ein gefährlicher Bereich sei.
Dennoch halten die Betreiber der Freibäder die Aufsicht auf Sparflamme. «Gemäss Bundesgericht ist für ein normales Risiko jeder Badegast selber verantwortlich, insbesondere in öffentlichen Gewässern», behauptet Hermann Schumacher vom Sportamt Zürich.
Bademeister-Verband widerspricht Sportamt
Damit meint er das Strandbad Tiefenbrunnen. Doch genau auf solche Gewässer hatte das Bundesgericht in seinem Urteil von 1987 Bezug genommen. Ausdrücklich erwähnt hatte es Lausanne-Bellerive. Und das ist wie Tiefenbrunnen ein Strandbad mit Seeanstoss.
Auch Hansueli Nievergelt, Präsident des Bademeister-Verbandes, sagt unmissverständlich: «Sobald ein Strandbadbetreiber Eintritt verlangt, hat er auch eine Aufsichtspflicht über den See. Jedenfalls innerhalb der Bojen-Markierung.» Früher sei deshalb in Tiefenbrunnen stets ein Bademeister in einem Weidling auf dem See gewesen.
Der Bademeister-Verband widerspricht ebenso, wenn Hermann Schumacher vom Zürcher Sportamt meint, ein Bademeister dürfe sich durchaus «kurz vom Becken entfernen», um etwas zu holen. Klipp und klar steht in einem Merkblatt des Verbandes, dass sich der Bademeister «ständig am Rande oder doch in unmittelbarer Nähe des Beckens» aufhalten müsse.
Gleicher Meinung ist Herbert Zehnder, Geschäftsführer des Verbandes der Hallen- und Freibäder. «Wer ein Bad betreibt, schafft eine Gefahr», sagt er. «Deshalb muss er die notwendigen Sicherheitsmassnahmen treffen.»
Grosse Bäder könnten eher mehr Bademeister anstellen, sagt Zehnder. «Schwerer haben es kleine Bäder. Sie können oft nicht mehr als einen Bademeister bezahlen», erklärt er.
Zehnder empfiehlt, dass der Bademeister, wenn er wirklich mal vom Becken weg müsse, jemanden bitte, ihn kurz zu vertreten - «zum Beispiel einen Stammgast, den er kennt».
Denn kein Bademeister kann sich darauf verlassen, dass er hört, wenn etwas passiert. «Nur in Actionfilmen schreien Ertrinkende um Hilfe. In Wirklichkeit ertrinken Menschen lautlos», so Zehnder.
Trotz der aufgezeigten Mängel: Wie in Zürich sind auch die Verantwortlichen in Bern und Luzern der Meinung, sie täten genug für die Sicherheit. «Grundsätzlich ist der Lidostrand nie unbewacht», behauptet Geschäftsleiter Hanspeter Häfliger vom Lido in Luzern. Und weiter: «Vom Schwimmbecken aus haben die Bademeister eine gute Sicht auf den Strand.»
Lidostrand war nicht überwacht
Die Behauptung ist falsch. Anlässlich der K-Tipp-Stichprobe war der Strand nicht überwacht. Er ist mit rund 250 Metern auch viel zu lang, als dass er vom Schwimmbecken aus genügend überschaut werden könnte.
Hugo Wenger vom Berner Sportamt sagt, das Sportamt gewährleiste «eine Rettungskette, die optimal funktioniert».
Die Lebensrettungs-Gesellschaft (SLRG) beobachtet aber «jeden Sommer», dass die Badeaufsicht den Anforderungen des Bundesgerichts nicht genüge, sagt deren Sprecherin Prisca Wolfensberger. «Leider wird hier allzu oft gespart.»
88 Badetote im heissen Sommer 2003
Sie räumt allerdings ein, dass die Forderungen des Bundesgerichts «an heissen Sommertagen schwierig einzuhalten» seien. Die SLRG verfügt jedoch über Rettungsschwimmer, die bereit sind, stunden- oder tageweise zu arbeiten. Wolfensberger: «Wir empfehlen den Betreibern, diesen günstigen Service der SLRG zu nutzen.»
Im heissen Sommer 2003 ertranken in der Schweiz 88 Menschen - «nur» 3 davon in öffentlichen Bädern. Die Gefahr ist jedoch stets präsent. So verzeichnete allein das Sportamt der Stadt Zürich in seinen Bädern letztes Jahr 44 lebensgefährliche Unfälle - die meisten ereigneten sich im Wasser.
Und zwei Anwälte, die nicht namentlich genannt sein wollen, berichteten dem K-Tipp von Gerichtsfällen, die bei den Betreibern der Bäder tatsächlich zum Umdenken geführt hätten. So wurden nach Unfällen Hecken zurückgeschnitten, Alarmknöpfe installiert und zusätzliche Aufsichtspersonen angestellt. Für einen der Anwälte ist inzwischen klar: «Pro Becken braucht es mindestens einen Bademeister. So einfach ist das. Und daran darf auch Geldmangel nichts ändern.»
Die sechs Baderegeln
Die Lebensrettungsgesellschaft hat sechs elementare Baderegeln aufgestellt:
- Nie mit vollem oder ganz leerem Magen schwimmen. Nach üppigem Essen zwei Stunden warten. Alkohol meiden.
- Nie überhitzt ins Wasser springen. Der Körper braucht eine Anpassungszeit.
- Nicht in trübe oder unbekannte Gewässer springen.
- Kleine Kinder nie unbeaufsichtigt am Wasser lassen.
- Nicht mit Schwimmhilfen und Luftmatratzen ins tiefe Wasser. Sie bieten keine Sicherheit.
- Lange Strecken nie alleine schwimmen. Auch der besttrainierte Körper kann eine Schwäche erleiden.