Zahnärzte müssen mehr sagen als nur: «Wo tuts denn weh?»
Opfer eines Zahnarztpfuschs geworden? Wenn der Arzt nicht über mögliche Risiken aufgeklärt hat, haben Patienten gute Chancen auf eine Entschädigung.
Inhalt
K-Tipp 05/2009
09.03.2009
Letzte Aktualisierung:
11.03.2009
Ernst Meierhofer
Wer schon mal beim Zahnarzt war, kennt diesen unangenehmen Zustand: Man hat die Praxis verlassen, die Wirkung der Betäubungsspritze lässt langsam nach, und man verspürt in der Lippe ein lästiges Taubheitsgefühl. Eine Patientin aus dem Raum Zürich muss schon zwei Jahre so leben. Ihr Zahnarzt verletzte einen Nerv im rechten Unterkiefer, weil er ein zu langes Implantat in eine Zahnlücke einsetzte. Der Zahnersatz war nur zwei Millimeter zu lang – doch das ...
Wer schon mal beim Zahnarzt war, kennt diesen unangenehmen Zustand: Man hat die Praxis verlassen, die Wirkung der Betäubungsspritze lässt langsam nach, und man verspürt in der Lippe ein lästiges Taubheitsgefühl. Eine Patientin aus dem Raum Zürich muss schon zwei Jahre so leben. Ihr Zahnarzt verletzte einen Nerv im rechten Unterkiefer, weil er ein zu langes Implantat in eine Zahnlücke einsetzte. Der Zahnersatz war nur zwei Millimeter zu lang – doch das reichte aus, um den Nerv dauernd zu schädigen und das bleibende Taubheitsgefühl hervorzurufen.
Die Versicherung zahlt ein Schmerzensgeld
Immerhin: Mit Hilfe eines Anwalts konnte die Patientin erreichen, dass die Haftpflichtversicherung ihres Zahnarztes zahlt. Die Frau erhält die bezahlten Honorare von 3000 Franken zurück, die Versicherung ersetzt ihr die Nachbehandlungskosten von rund 3000 Franken – und sie zahlt der Patientin auch ein Schmerzensgeld von 5000 Franken. Hat der Arzt mit seinem Fehlgriff seine Sorgfaltspflicht verletzt, also einen eigentlichen Kunstfehler begangen? Das hätte ein Gericht klären müssen.
Doch vor dieser Instanz hätte es die Patientin schwer gehabt. Denn es wäre an ihr gelegen, dem Arzt einen Fehler nachzuweisen. Dazu hätte sie beim Gericht das Einholen eines medizinischen Gutachtens beantragen müssen, und in diesem hätte ein anderer Zahnarzt seinem Berufskollegen einen klaren Kunstfehler attestieren müssen. Es sei «in Zivilprozessen ein echtes Problem», unabhängige Gutachter zu finden, sagt der Zürcher Rechtsanwalt Christian Christen, der oft Patienten in Haftpflichtfällen gegen Zahnärzte vertritt. Für ihn ist klar: «Zahnärzte verderben sich nur ungern gegenseitig das Geschäft.»
Schweizer Zahnärzte klären schlecht auf
Doch so weit kam es hier nicht. Denn der Zahnarzt hatte die Patientin nicht über die Risiken des Eingriffs aufgeklärt. Und nach solchen Nachlässigkeiten nimmt das Bundesgericht die Ärztinnen und Ärzte streng in die Pflicht. Wenn ein Arzt nicht umfassend über die möglichen Risiken aufgeklärt hat (bzw. wenn er die Aufklärung nicht beweisen kann), haftet er quasi automatisch für jeden Misserfolg – egal was passiert. Welcher Fehler dann auch immer geschieht – der Arzt haftet und muss den Patienten dafür entschädigen.
So war es auch im konkreten Fall. Und deshalb lenkte die Haftpflichtversicherung des Arztes schliesslich ein – ohne den Prozessweg zu beschreiten. Anfänglich hatte sie nichts von einer Entschädigung wissen wollen. Das Beispiel zeigt: Selbst wenn man dem Arzt keinen Behandlungsfehler vorwerfen kann, haftet er in der Regel, falls ein Risiko eintritt, über das er hätte informieren müssen. In diesem Fall muss der Patient den allfälligen Kunstfehler nicht beweisen.
Kleine Einschränkung: Vor Gericht können sich Ärzte mit dem Einwand wehren, der Patient hätte auch in Kenntnis der möglichen Risiken der Behandlung zugestimmt. Dieses Argument hat das Bundesgericht schon oft akzeptiert. Doch der Arzt muss diese sogenannte hypothetische Einwilligung des Patienten mit konkreten Anhaltspunkten beweisen – und das ist nicht leicht.
Das Beispiel zeigt auch: Schweizer Zahnärzte sind noch keine Weltmeister der Risiko-Aufklärung – obwohl die Standesordnung sie verpflichtet, den Patienten auf «die bekannten Risiken» hinzuweisen. Haftpflichtanwalt Christen kritisiert: «Wo tuts denn weh? Nicht selten bildet dieser Satz des Zahnarztes die einzige verbale Kommunikation, bevor er sich ans Werk macht.»
Betäubungsspritze ist ebenfalls ein Risiko
Im Fachblatt «HAVE» schreibt der Zürcher Haftpflichtanwalt Thomas Grieder, die Aufklärung in der zahnärztlichen Praxis habe noch nicht «die erforderliche Aufmerksamkeit erlangt». Margrit Kessler von SPO Patientenschutz sieht einen «riesigen Nachholbedarf», besonders beim Ziehen von Weisheitszähnen. In deutschen Praxen würden regelmässig Merkblätter abgegeben, weiss Anwalt Christen. Deutsche Gerichte hatten sich auch schon of mit Schäden durch Betäubungsspritzen zu befassen oder mit Nervenschädigungen nach dem Ziehen eines Weisheitszahnes. Und es zeigte sich: Blieb die Aufklärung über Risiken aus, stand der Zahnarzt im Abseits.
Andere Mediziner sind in der Schweiz diesbezüglich viel weiter – etwa die Gynäkologen. Auf ihrer Homepage (www.sggg.ch) finden sich standardisierte Aufklärungsprotokolle für rund 30 verschiedene Eingriffe. Gynäkologen können diese abgeben, mit eigenen Notizen ergänzen und von der Patientin unterschreiben lassen. Dann ist die Patientin gut informiert – und der Arzt im Falle einer Risikoverwirklichung ein Stück weit entlastet.
Die Zahnärztegesellschaft SSO hat nichts dergleichen. Sie bietet den angeschlossenen Zahnärzten lediglich Patienteninfo-Broschüren zum Verteilen an. Der K-Tipp hat die Patienteninfo über Zahnimplantate angeschaut; die Risiken werden heruntergespielt. So ist zum Beispiel nur von «temporärer Empfindungsstörung» die Rede, und die mögliche Nervenschädigung fehlt ganz. Zum Vergleich: In der Patienteninformation eines Zahnarztes aus dem deutschen Ebersbach steht, eine Nervenschädigung könne gelegentlich auch zu einem «dauernden Taubheitsgefühl» führen – genau wie bei der Patientin aus dem Raum Zürich.
Wenn der Arzt gepfuscht hat
So können Opfer eines Behandlungsfehlers vorgehen:
- Suchen Sie zuerst das Gespräch mit Ihrem Arzt bzw. Zahnarzt.
- Wenden Sie sich an eine Patientenberatungsstelle (www.patientenstelle.ch oder www.spo.ch). Achten Sie aber darauf, dass die Beratungsstelle Ihren Fall bald an einen entsprechenden Fachanwalt weiterleitet.
- Auf Patientenfälle spezialisierte Anwälte finden Sie bei der Rechtsberatungsstelle UP für Unfallopfer und Patienten (www.rechtsberatung-up.ch).
- Falls Sie eine Rechtsschutzversicherung haben, sind Sie in der Regel im Vorteil. Viele Krankenkassenversicherte haben auch einen eigenen Patientenrechtsschutz; konsultieren Sie Ihre Police. Aber: Wenn der Fall schon eingetreten ist, ist es für den Abschluss einer Rechtsschutz-Versicherung zu spät.
- Wenn Sie mit der Behandlung durch Ihren Zahnarzt unzufrieden sind, können Sie sich an die Begutachtungskommission der kantonalen Zahnärztegesellschaft in Ihrem Wohnkanton wenden. Die Adressen finden Sie auf www.sso.ch.
- In einigen Kantonen bestehen zusätzlich staatliche Instanzen, die ebenfalls als Schlichtungs- und Begutachtungsstellen arbeiten. Auskunft darüber geben die kantonalen Gesundheits- bzw. Sanitätsdirektionen.