Die Hälfte der rund 45 000 Fussgängerstreifen in der Schweiz entspricht nicht den Sicherheitsvorschriften. Das ergab eine Untersuchung des TCS. Einige Kantone haben begonnen, diese Übergänge ersatzlos zu entfernen – statt sie zu sanieren.
Im Kanton Appenzell Ausserrhoden zum Beispiel wurden in den letzten drei Jahren rund 40 Streifen aufgehoben. Und im Kanton Bern sind in den letzten 12 Monaten deren 29 verschwunden. Auch im Wallis sind Zebrastreifen entfernt worden. Zahlen will der Kanton dem K-Tipp nicht mitteilen.
Urban Keller vom Bau- und Umweltdepartement des Kantons Appenzell Ausserrhoden sagt, das Aufheben eines Fussgängerstreifens erhöhe die Sicherheit: «Für das Überqueren der freien Strasse braucht es keinen Fussgängerstreifen – die Verantwortung liegt dann beim Fussgänger.»
Strassen verengen für mehr Sicherheit
Thomas Schweizer vom Fachverband der Fussgängerinnen und Fussgänger widerspricht. Das Entfernen der Streifen würde die Sicherheit nicht erhöhen, sondern verringern: «Tatsache ist, dass viele Leute nach wie vor an diesen Stellen über die Strasse gehen. Neu machen sie dies einfach ohne Vortritt. Die Autofahrer sind nicht mehr verpflichtet zu halten.» Deshalb braucht es laut Schweizer andere Sicherheitsmassnahmen, wie etwa Vorschriften, das Tempo zu drosseln, Mittelinseln oder Verengungen der Strasse. «Wenn Strassen verengt werden, kann jeweils nur ein Auto auf einmal über den Streifen fahren.»
- Beispiel in Teufen AR: Dass das ersatzlose Entfernen eines Fussgängerstreifens die Situation verschlechtert, zeigt ein Beispiel in Teufen AR beim Entsorgungspark Studach (Bild oben links): Martin Mauretter, der gleich gegenüber wohnt: «Die Strasse wird hier nach wie vor überquert – von Schulkindern, Dorfbewohnern und Wanderern.» Und seit es den Streifen nicht mehr gebe, sei es bereits mehrere Male zu gefährlichen Zwischenfällen gekommen. Mauretter: «Schulkinder zum Beispiel laufen nun auf der Strassenseite ohne Trottoir die Bahngleise entlang, weil sie sich nicht mehr über die Strasse getrauen. Einmal sind ein paar Schüler dabei fast von einem Zug erfasst worden.»
Auch Thomas Schweizer ist der Ansicht, dass in Teufen die Situation ohne Streifen gefährlicher sei als früher mit Streifen: «Hier hätte man besser eine Mittelinsel gebaut. Erst recht, wenn Schulkinder den Weg nutzen.» Zudem hätte man zwischen Bahnlinie und Strasse einen geschützten Bereich errichten sollen, damit die Fussgänger nicht auf Zug und Autos gleichzeitig achten müssen. «Aber das ist nicht gratis zu haben.» Schweizers Fazit: «Dies ist ein klassisches Beispiel dafür, wie Sicherheit zu Ungunsten der Fussgänger reduziert wird.»
- Beispiel in Basse-Nendaz VS: Ähnliche Beispiele gibt es im Wallis – so etwa im Dorf Basse-Nendaz: Dort wurden insgesamt drei Fussgängerstreifen ersatzlos entfernt, einer davon im Zentrum des Dorfes (Bild oben rechts). Die Sichtweite sei zu kurz gewesen, begründet Ambroise Baechler, zuständig für Strassenbau in der Gemeinde, den Entscheid. Doch auch hier gehen die Leute laut Jean-Marie Bornet, Sprecher der Kantonspolizei, nach wie vor über die Strasse: «Es gab einen Grund, weshalb sich an dieser Stelle ein Fussgängerstreifen befand.» Und Schweizer kritisiert: «Hier hätte man besser das Tempo reduziert, statt den Streifen zu entfernen.»
- Beispiel in Wohlen BE: Anders ist man in Wohlen mit der Situation umgegangen. Dort hat man nicht den Übergang beseitigt, sondern das Tempo der Fahrzeuge durch Verengen der Strasse wirksam reduziert. Dass die Kantone solche baulichen Massnahmen aus Kostengründen scheuen, bestätigt Urban Keller vom Kanton Appenzell-Ausserrhoden: «Eine Sanierung kann schnell sehr viel Geld kosten. Es ist gut möglich, dass man letztendlich einen Streifen aufhebt, weil die Kostenübernahme für die Sanierung nicht zustande kommt.» Das überrascht Fussgängervertreter Schweizer nicht: «Selbstverständlich geht es auch ums Geld.» Eine Sanierung sei oft mit einem aufwendigen Planungsprozess verbunden und könne schnell 100 000 Franken kosten. «Beseitigen ist daher einfacher und billiger.»
Schweizer: «Würden innerorts auf den Hauptachsen vermehrt Schwellen errichtet, um das Tempo zu drosseln, könnten gefährliche Fussgängerstreifen mit einfachen und relativ günstigen Mitteln sicherer gemacht werden.»
Sicher über die Strasse
Damit ein Fussgängerstreifen sicher ist, muss er bestimmte Kriterien erfüllen:
- Genügend Sichtweite: Der Streifen sollte so angelegt sein, dass er von einem Autofahrer mit Tempo 50 aus mindestens 55 Meter Entfernung zu sehen ist.
- Angepasste Geschwindigkeit: Je langsamer das Auto, desto kürzer der Bremsweg. Zudem sinkt die Anzahl Todesfälle bei einem Zusammenprall mit abnehmendem Tempo: Werden bei Tempo 50 rund 80 Prozent der Fussgänger getötet, sind es bei Tempo 30 nur noch rund 10 Prozent.
- Mittelinsel: Sie halbiert das Risiko für Fussgänger, denn man kann eine Strasse in Etappen überqueren.
- Markierung und Signaltafel, die einen Fussgängerstreifen ankünden: Die Autolenker fahren langsamer und vorsichtiger.
- Beleuchtung: Viele Unfälle auf Fussgängerstreifen geschehen in der Nacht. Deshalb müssen sie gut beleuchtet werden.